Elektroauto: 5 Learnings von der Automesse in China
1 – Vielfalt an Modellen und Marken ist Segen und Fluch zugleich
Schon der erste Nachmittag nach meiner Landung in Peking ist ein elektromobiler Offenbarungseid. All die Elektromodelle und Marken, über die wir bei electrive tagtäglich berichten, fahren hier bereits auf den Straßen. Und zwar nicht hin und wieder mal eines, wie das in Deutschland der Fall ist. Sondern in Scharen. Das zu erleben, beeindruckt mich schwer. Es ist das eine, darüber theoretisch zu schreiben – und das andere, es hautnah zu erleben. Zur Reduktion der Geräuschkulisse auf den riesigen Straßen tragen die vielen Stromer auch spürbar bei. Wo in Deutschland die Selbstzünder von roter Ampel zu roter Ampel dröhnen, herrscht hier ein stetes aber nicht störendes Grundrauschen – unterbrochen nur vom vielen Hupen auf den zugestauten Kreuzungen. Aber zurück zur Vielfalt: Mein durchaus geschultes Auge kann die vielen China-Stromer im Verkehr kaum auseinander halten. War das jetzt ein BYD oder doch ein SUV von Xpeng. Ist ein Arcfox vorbeigesaust oder war’s ein Wey?
Es ist kein Wunder, dass sich der Newcomer (und Messeliebling) Xiaomi knalliger Farben bedient, um in dem Design-Einheitsbrei der China-Stromer aufzufallen. Auch Tesla und die (kaum elektrisch präsenten) deutschen Marken erkenne ich besser, aber das liegt vielleicht auch an meiner Herkunft. Erste Neulinge wie Zeekr, eine Marke aus dem Geely-Konzern, haben verstanden, dass sie sich von der Masse abheben müssen, um begehrt zu werden. Hier können auch westliche Hersteller mit ihrer langfristigen Design- und Marken-Strategie punkten.
2 – In China geht es nicht um Hardware, sondern um Software
Wer in China mit dem Auto fährt, der fährt eigentlich nicht. Deshalb verfängt der BMW-Slogan „Freude am Fahren“ hier kaum. Man rollt in einer unfassbaren Blechlawine mit, eher gemächlich – oft genug auch gar nicht. Acht Kilometer von einem Hotel zu einem Pressetermin dauern schon mal 30 Minuten. Wer das miterlebt, der versteht auch, warum all die Bildschirme und Connectivity-Features in China so entscheidend sind. Aktuell verbringen vor allem die Mitfahrenden die Zeit am Screen – jenseits des Autos kleben sie ja auch unentwegt am Smartphone. In China wird das tägliche Leben digital organisiert. Das Essen bestellt, in allen Geschäften mit Alipay oder WeChat bezahlt. Und rund um die Uhr wird man beschallt und unterhalten. Dieser digitale Lebensstil hält Einzug ins Auto, denn man braucht ja ewig für die Fahrt zum Ziel – und hat somit Zeit, die mit Unterhaltung oder Kommunikation gefüllt werden soll und wird.
Hier lauern die Geschäftsmodelle nach dem Autoverkauf und wer jetzt denkt, dann kann man das Autofahren ja auch gleich lassen, der hat die Rechnung ohne die Chinesen gemacht: Wer zu Geld kommt, steht tatsächlich lieber hinter abgedunkelten Fenstern im Stau und genießt digital unterhalten die Privatsphäre auf vier Rädern, statt Bus, Bahn oder das Fahrrad zu nehmen. Dementsprechend drehten sich die Gespräche auf der Messe auch nicht um Ladekurven oder Reichweiten. Selbst mancher Hersteller geizte extrem mit technischen Details. Man kauft eben jene Batterie zu, die BYD oder CATL gerade liefern. Alles nicht entscheidend. „Aber schauen Sie mal, das Display hier!“ Das Auto der Zukunft soll sich seinen Weg durch den Stau ohnehin bald autonom bahnen. Da ist die Sprachsteuerung der vielen Features viel wichtiger. Und die Fortschritte sind beeindruckend, wie das Large Language Model im JIYUE 01 mir vor Augen führt.
3 – Bei der Batterietechnologie und -produktion ist China enteilt
Es ist früher Nachmittag, als CATL zur Präsentation seiner neuen Shenxing Plus lädt. Der Batteriegigant ist einer von ganz wenigen Zulieferern, die sich in den Messehallen einen eigenen Stand zwischen den Fahrzeugmarken leisten. Die Autoteile haben eigentlich ihren eigenen Messebereich. Hätte ich nicht in letzter Sekunde meine E-Mail-Einladung vorgezeigt, wäre ich ohne den nötigen QR-Code in der WeChat-App nicht mal in den Sitzbereich des Standes gelangt. Ein Gerät zur Übersetzung ins Englische hält man hier auch nicht für nötig. Insofern bleibt mir nur, den Folien zu folgen und mir so gut es geht die Ohren zuzuhalten. Und die vor Dominanz und Selbstbewusstsein strotzende Körpersprache der CATL-Vertreter zu verfolgen. Deren Lautstärke ist ohrenbetäubend. Fakt ist: Der Batteriegigant macht Fortschritte in beachtlichem Tempo, hat die Energiedichte seiner LFP-Zellen binnen acht Monaten auf 205 Wh/kg erhöht – und zwar auf Systemebene. „Die Innovationsgeschwindigkeit bestimmt, wer in der Branche führend ist“, prangt denn auch selbstbewusst auf einer Folie.
Es ist nicht zu erwarten, dass dieses Tempo nachlässt. Im Gegenteil: Ähnlich zur Solarindustrie wurde in China der Grundstein für eine atemberaubende Entwicklung der Batterietechnologie gelegt. Überall dort, wo die entsprechenden Hersteller (etwa CATL nahe Erfurt oder BYD in Ungarn) ihre Fabriken aufbauen, werden diese Fortschritte früher oder später in die Serienproduktion überführt. Es ist längst nicht ausgemacht, dass PowerCo und Northvolt mit dieser Dynamik mithalten können, auch wenn es wünschenswert wäre. Aber vielleicht können die europäischen Follower, wenn sie schon bei Preis und Tempo das Nachsehen haben werden, mit einer nachhaltigeren Produktion punkten. Das erscheint mir derzeit der einzige Anker. Die Frage wird sein, ob die Kunden dies goutieren – oder es der Regulator gar strategisch vorgibt, damit die europäische Batterieindustrie überhaupt den Hauch einer Chance hat gegen die chinesische Übermacht.
4 – Anpassung an Europa kostet chinesische Hersteller Zeit und Geld
Es gibt fast keine Hersteller-Premiere im China International Exhibition Center Shunyi, bei der es nicht auch um den Export geht. Wer nicht schon wie BYD mit seinen Elektroautos in Europa ist, der will es möglichst schnell schaffen. Zeekr wird (nach Aussage hochrangiger Vertreter beim Geely Media Drive am Rande der Auto China) noch diesen Herbst in Deutschland starten. Und selbst Hongqi, der Hersteller der chinesischen Staatskarossen, will respektable Elektroautos in wenigen Jahren nach Europa exportieren. Denn die CO2-Vorgaben in der EU lassen einen interessanten Markt entstehen – und der weitere Pfad zur Emissionsreduktion (Ein Verbrenner-Verbot gibt es bekanntlich nicht, auch wenn konservative Politiker dies gern behaupten!) ist vorgegeben und lässt sich somit in kalkulierbare Planungen umrechnen. Doch bei vielen Gesprächen höre ich raus: Die chinesischen Neulinge haben derzeit noch Mühe, die in Europa geltenden höheren Anforderungen an die Sicherheit der Fahrzeuge zu gewährleisten.
In China ist ein neues Elektroauto schnell entwickelt und in einer der vielen Fabriken produziert. Aber es muss – siehe Punkt 1 – in den Megacities auch nur gemütlich durch die Gegend rollen. In Europa gibt es hingegen andere Anforderungen – teilweise von der Kundschaft, teilweise von der Regulatorik. Faktisch bildet die deutsche Autobahn ohne Tempobegrenzung eine Markteintrittshürde. Kein chinesischer Hersteller will sich ein schlechtes Ergebnis beim Euro NCAP leisten. Und deshalb sind Heerscharen von Ingenieuren damit beschäftigt, die europäischen Anforderungen zu erfüllen. Dass sich die Newcomer vom Bollwerk Autobahn abhalten lassen, ist nicht wahrscheinlich. Aber sie müssen Zeit und Geld aufwenden, um ihre Elektroautos Europa-kompatibel zu machen. Und es macht chinesische Stromer teurer. Das bietet hiesigen Herstellern zumindest noch ein kleines Zeitfenster, um die eigenen Elektroautos auf die Räder zu stellen. Natürlich ist nicht gesagt, dass alle chinesischen Newcomer den ruinösen Preiskampf überleben werden. Vielversprechende Player wie Byton mussten schon aufgeben und Xpeng oder Nio schreiben riesige Verluste. Gut möglich, dass am Ende auch in China „nur“ große Konzerne wie Geely und BYD mit ihren E-Marken überleben. Ein Zögern kann sich in Europa aber dennoch niemand leisten!
5 – Ein Wohlfühl-Ökosystem der Elektromobilität ist die Chance
Und damit kommen wir nun zur gebremsten Kauflaune für Elektroautos in Deutschland. Die Elektromobilität wird im Vorfeld der Europawahl gerade von rechten und konservativen Parteien gleichermaßen abgeschrieben. Das abrupte Ende des Umweltbonus war die unnötige Steilvorlage dafür. Dem oder der Wählenden wird derweil ein Festhalten am Verbrenner oder dessen Reinwaschen mit synthetischen Kraftstoffen versprochen. Ich will es klar sagen: Beides ist Quatsch! Der Pfad ist klar, die Elektromobilität kommt. Auch in Deutschland. Ob es zwei oder fünf Jahre länger dauert, ist unerheblich. Entscheidend ist, ob die europäische Automotive-Industrie langfristig im Spiel bleibt – oder unter die (chinesischen) Räder kommt.
Gelingen könnte das mit einem viel stärkeren Fokus auf ein vollintegriertes Ökosystem, das bequem funktioniert und echten Mehrwert bietet. Oder wenigstens die weiterhin offensichtlichen Nachteile gegenüber dem Verbrenner aufwiegt. Die nächsten Kundengruppen nach den Technik-verliebten Early Adoptern wollen einfach von A nach B fahren. Und sie wollen den Fahrstrom erhalten, ohne mit Ladekarten- oder Apps zu hantieren oder QR-Codes zu scannen und auf mobilen Websiten ihre Kreditkartendaten einzugeben. Deshalb ist das verpflichtende Kreditkartenterminal eine gute Idee, auch wenn es die Charging-Industrie nervt. Und deshalb muss Plug and Charge so schnell und kundenfreundlich kommen wie nur irgend möglich. Anstecken und Kaffeetrinken – das ist Convenience, und ein schöneres Produkterlebnis als Diesel zu zapfen. Noch besser wäre es, die Vision vom bidirektionalen Laden so Realität werden zu lassen, dass beliebige Wallboxen und E-Fahrzeuge standardisiert miteinander reden.
Erst, wenn all’ die vielen Fragen, die uns in der Fachwelt täglich beschäftigen, dem Kunden ohne Bachelor in Energiewirtschaft beantwortet werden, entsteht ein Ökosystem mit Mehrwert. Wenn Ex-Diesel-Dieter dann mit seinem E-Auto am Strommarkt noch Geld spart (oder gar verdient), E-Autos automatisch in sonnen- und windreichen Zeiten Ökostrom-Überschüsse laden und somit das Energiesystem entlasten, dann ist viel gewonnen. Und mehr erreicht als in China, wo derzeit einfach nur Unmengen an E-Autos mit verwechselbarem Design auf den Markt geworfen werden. Europa kann den Unterschied machen. Aber wir müssen auch wollen – und aufhören uns vor lauter Pseudo-Technologieoffenheit verbal die Köpfe einzuschlagen. Denn sonst gewinnt China. Und das können selbst Konservative nicht wollen.
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