Erste Ausfahrt im Xiaomi SU7: Wie steht’s um die Fahrfreude im Smartphone auf Rädern?
Wo er auftaucht, steht er im Mittelpunkt und über die Autoshow in Peking schafft er es nur noch mit Leibwächtern. Denn als wäre die Rolle als CEO des drittgrößten Smartphone-Herstellers nicht schon bedeutend genug, geht der Chef des chinesischen Tech-Giganten Xiaomi jetzt auch noch unter die Autobauer: Im Dezember hat der Selfmade-Milliardär Lei Jun seinen elektrischen Erstling SU7 vorgestellt – und das Publikum auf dem größten Automarkt der Welt ist begeistert: Die Xiaomi-Stores sind noch voller als üblich, auf der Messe interessiert sich keiner für Porsche, Audi oder Mercedes, sondern steht stattdessen lieber eine halbe Stunde am Xiaomi-Stand in der Schlange und die Vorbestellungen knacken bald die 100.000er-Marke. Seit der Premiere des iPhones oder der Apple Watch hat keine technische Neuheit so einen Hype ausgelöst in China, erst recht kein Auto. Selbst ein neuer Tesla wird da zur Nebensache.
Dabei ist der Xiaomi alles andere als eine revolutionäre Neuheit. Denn so, wie sich Lei beim Aufbau seines Smartphone-Imperiums an Branchenführer Apple orientiert und dabei sogar die Posen seines Idols Steve Jobs imitiert hat, hat er sich bei seinem Aufstieg zum Autobauer ebenfalls prominente Vorbilder gesucht. Kein Wunder also, dass der SU7 von außen aus jeder Perspektive verdächtig nach Porsche Taycan aussieht.
Exakt fünf Meter lang spannt er sich deshalb in einem schnittigen Bogen über die drei Meter weit auseinander stehenden Achsen, der hinten sanft über einem Heckbürzel mit Klappspoiler ausläuft. Darunter gibt’s vorn wie hinten überraschend viel Platz fürs Gepäck und bei drei Metern Radstand auch im Fond mehr Sitzkomfort als im Porsche-Vorbild.
Während der Auftritt an den Stromer aus Stuttgart erinnert, kommt das Ambiente eher nach Tesla: Der SU7 ist nobel, aber eher nüchtern gestaltet und es bündelt sich alles auf einem riesigen Touchscreen, der quer vor dem Armaturenbrett zu schweben scheint. Einziges Gimmick ist das kleine Display hinter dem Lenkrad, das die Vitaldaten und das Tempo anzeigt – und sich mit dem Anlassen spektakulär in Szene setzt. Denn so, wie man es vom Bordcomputer des Bentley Continental kennt, dreht sich der Bildschirm ins Blickfeld und die schmucke SU7-Silhouette, die den Fahrer bis eben noch angefunkelt hat, verschwindet.
Allerdings ist das ein bisschen wenig für einen Tech-Giganten. Ja, die meisten Funktionen des Fahrzeugs lassen sich auch mit der Sprache steuern, der App-Store ist prall gefüllt und angeblich kann sich der SU7 mit all den anderen digitalen Lebenshelfern vernetzen, die Xiaomi im Alltag der Chinesen unverzichtbar machen – vom smarten Staubsauger über die Spielzeug-Drohne bis hin zum Kühlschrank und der Terrassen-Beleuchtung. Doch weder lassen sich im Auto selbst besonders innovative Infotainment- oder Digital-Features entdecken, noch sind die Bildschirmlandschaften sonderlich sehenswert. Schließlich gibt es hinten sogar nur Steckplätze fürs eigene Tablet – das natürlich am besten ebenfalls von Xiaomi kommt.
Auch beim autonomen Fahren hat der Newcomer noch nicht die Nase vorn, obwohl das den staugeplagten Chinesen viel wichtiger ist als der Sprintwert oder die Batteriekapazität. Zwar rühmt Lei den SU7 als future-proof und hat alles eingebaut, was es später mal für autonomes Fahren nach Level 4 braucht, bei dem der Fahrer die Hände dauerhaft in den Schoß legen und die Augen vom Verkehr abwenden darf. Doch fürs Erste tut sich die Stromlinien-Limousine auf einer Ausfallstraße von Peking ohne Fußgänger oder Radfahrer schon mit der von nervös nah am Lenkrad schwebenden Händen begleiteten, selbstständigen Spurführung noch schwer, vom automatischen Spurwechsel nach dem Antippen des Blinkers ganz zu schweigen. Da wird noch das ein oder andere Over-the-Air-Update nötig, bis die Anspannung einem Komfortgewinn weicht.
Dafür allerdings punktet das vermeintliche Smartphone auf Rädern in einer Disziplin, der die Chinesen bis dato nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt haben: Dem Fahren. Denn während Nio, Xpeng & Co für ihre Fahrwerke eine komfortable, aber eher belang- und gefühllose Abstimmung gewählt haben, kommt im Xiaomi tatsächlich so etwas wie Fahrfreude auf – die Lenkung ist direkt, die Bremsen sind bissig, die Struktur steif und die Anbindung an den Asphalt präzise – plötzlich ist der Weg das Ziel und das Ankommen wird zur Nebensache.
Schade, dass es in und um Peking eigentlich immer voll ist und die Polizei rigoros über das Limit von 120 km/h wacht. Denn der Xiaomi hat deutlich mehr drauf und eifert auch in dieser Hinsicht Porsche nach. Schon die 220 kW und 400 Nm starke Basis-Version mit ihrem einen Motor an der Hinterachse beschleunigt in 5,3 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und erreicht bis zu 210 km/h. Und wer sich für den SU7 Max entscheidet, bekommt für jeden Motor eine Achse und steigt mit 495 kW und 838 Nm weit auf der ersten Liga der Elektrolimousinen. Dann dauert der Standardsprint nur 2,8 Sekunden und es geht beim Kickdown mit bis zu 265 km/h voran. In China nur leider direkt in den Knast.
Die Energie dafür liefern Akkus, die Xiaomi bei führenden Quellen einkauft und in drei Paketen konfektioniert. Der Hecktriebler bekommt wahlweise eine BYD-Blade-Batterie von 74 kWh mit einer Systemspannung von 400 Volt oder einen 94 kWh großen CATL-Block mit dann 800 Volt und fährt damit 668 oder 830 Kilometer weit. Im Max läuft der CATL-Akku natürlich auch mit 800 Volt, hat 101 kWh und reicht in der etwas lässigeren China-Bewertung des CLTC für immerhin 800 Kilometer Reichweite. Während AC-Laden mit 11 kW etwas zäh wird, stellt Xiaomi für den Max am DC-Lader 220 Kilometer in fünf, 390 Kilometer in zehn und 550 Kilometer in 15 Minuten in Aussicht. Auch da muss sich der SU7 nicht vor einem Taycan verstecken.
SU7 | SU7 Pro | SU7 Max | |
---|---|---|---|
Antrieb | RWD | RWD | AWD |
Leistung | 220 kW | 220 kW | 495 kW |
Drehmoment | 400 Nm | 400 Nm | 838 Nm |
Beschleunigung | 5,3 s | 2,8 s | |
Höchstgeschwindigkeit | 210 km/h | 210 km/h | 265 km/h |
CLTC-Reichweite | 700 km | 830 km | 800 km |
Batteriekapazität | 73,6 kWh (LFP) | 94,3 kWh | 101 kWh |
Preis | 215.900 Yuan | 245.900 Yuan | 299.900 Yuan |
Die Parallelen zu Porsche enden aber, wenn die Rechnerei anfängt. So, wie Xiaomi den Rivalen Apple bei den Smartphones auch über den Preis ausgestochen hat, kostet der SU7 nur ein Bruchteil eines Taycans. Während die Schwaben ihren Stromer in China ab 1.038.000 RMB verkaufen, geht es im Xiaomi-Store schon bei 215.900 RMB oder ungerechnet knapp 28.000 Euro los. Selbst das Top-Modell ist mit 299.900 RMB (39.600 Euro) ein Schnäppchen. So unterbietet Mr. Lei sogar Tesla und das deutlich kleinere Model 3 um runde zehn Prozent. Kein Wunder also, dass ihm die Chinesen gerade die Bude einrennen und er seine notorisch ungeduldigen Landsleute sogar zur Konkurrenz schicken muss, wenn ihnen die mittlerweile mehr als sechs Monate Lieferfrist zu lang werden. Sie mögen dann doch bitte nur wenigstens chinesische Alternativen wählen, gibt er ihnen einen patriotischer Rat und empfiehlt die Autos von Luxeed, Nio oder Xpeng.
Xiaomi will in die Top Fünf der Autobauer
Solange der Hype in China hält und er mit der Produktion ohnehin nicht hinter her kommt, hat Lei natürlich keinerlei Veranlassung, über den Export nachzudenken. Doch über kurz oder lang wird er seine Autos auch im Rest der Welt anbieten – müssen. Schließlich ist der elektrische Erstling nur ein Etappenziel und Xiaomi hat noch viel mehr vor: Ganz unbescheiden hat Lei angekündigt, seine Firma in den nächsten 20 Jahren unter die Top Fünf der Autobauer zu führen, wofür er dann nicht nur Porsche überholen müsste, sondern wahrscheinlich auch Mercedes oder BMW. Immerhin einen Rivalen hat er schon abgehängt: Während sich Mr. Lei auf der Motorshow in Peking als PS-Held der Nation feiern lässt, hat Apple-Chef Tim Cook gerade amtlich die Pläne für ein iCar beerdigt.
Damit an seiner Überzeugung und Bestimmung nur ja keine Zweifel aufkommen, hat Mr. Lei sich ein auffälliges Zeugnis für seine Ambitionen überlegt – und auf jeden Xiaomi-Schlüssel seine eigene Unterschrift prägen lassen.
27 Kommentare