Mercedes soll Arbeit an E-Plattform „MB.EA-Large“ eingestellt haben
Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf vier Insider berichtet, soll die Entwicklung der „MB.EA-Large“ auf Eis liegen. Grund seien die enttäuschenden Absatzzahlen aktueller E-Luxusautos, die Mercedes zu „harten Einschnitten zwingen“, wie es in dem Bericht heißt. Das Investitionsvolumen zur Entwicklung der Plattform soll mindestens im mittleren einstelligen Milliardenbereich liegen.
Auf Anfrage von electrive teilt uns ein Sprecher des Unternehmens eher allgemein mit, dass Mercedes-Benz für die Weiterentwicklung seines Produktportfolios „nachhaltig Effizienzen zwischen neuen und existierenden Baureihen“ nutze und dass die Marktbedingungen und die Wünsche der Kundinnen und Kunden das Tempo der Transformation bestimmten. „Wir werden für jeden Kundenwunsch den perfekten Mercedes bauen. Bis in die 2030er-Jahre hinein können wir flexibel Fahrzeuge sowohl mit vollelektrischem Antrieb als auch mit elektrifizierten High-Tech Verbrennungsmotoren anbieten.“ Dazu habe man die Produktion antriebsflexibel aufgestellt. Nach der zuvor recht stringent verfolgten „Electric only“-Strategie klingt das nicht mehr.
Kurz zur Einordnung: Mitte 2021 machte die Konzernleitung publik, dass bei Mercedes-Benz ab 2025 gleich drei neue reine E-Plattformen debütieren sollen: Die MB.EA kündigten die Stuttgarter als jene Plattform an, die oberhalb der MMA (für CLA, sowie die nächste Generation des EQA und EQB) alle mittelgroßen und großen Pkw abdecken und „als skalierbares modulares System die elektrische Basis des künftigen BEV-Portfolios“ bilden soll. Für die Performance-Modelle wurde die „auf Spitzenleistung ausgelegte Elektro-Plattform“ AMG.EA angesagt. Auf Basis der ebenfalls neuen VAN.EA sollen zudem elektrische Vans und leichte Nutzfahrzeuge auf den Markt kommen. Alle weiteren neuen Plattformen sollten in der Folge ebenfalls rein elektrisch sein, hieß es.
Für die MB.EA-Plattform schwebten dem Autobauer dabei zwei verschiedene Ausprägungen vor: Die MB.EA-Medium für C-Klasse und GLC sowie die MB.EA-Large für die großen E-Fahrzeuge wie S-Klasse, GLS, E-Klasse und GLE. Um letztere geht es nun im „Handelsblatt“-Bericht. Sie soll dem Sparzwang zum Opfer fallen. Stattdessen sollen künftige große Luxusstromer beim Fertigungsprozess teils auf der bereits bestehenden Architektur EVA2 aufbauen. Bei der EVA2 handelt es sich um die 400-Volt-Plattform, auf der die Baureihen EQE und EQS basieren, also sowohl die Limousinen als auch die entsprechenden SUV-Modelle (inklusive des Maybach-Ablegers des EQS SUV). Früheren Gerüchten zufolge könnte bei der EVA2 der Wechsel auf 800 Volt Systemspannung bevorstehen. Bestätigt ist dies aber nicht.
Laut „Handelsblatt“ soll der mutmaßliche Entwicklungsstopp der MB.EA-Large-Plattform – zu dem sich der Hersteller selbst nicht äußern will – Teil einer größeren strategischen Neuausrichtung bei Mercedes-Benz sein. Hintergrund sei eine Fehleinschätzung von Konzernchef Ola Källenius, wonach der Absatz von E-Autos schneller steigen sollte. Mercedes wollte bekanntlich bis Ende des Jahrzehnts nur noch Elektroautos verkaufen – mit der Einschränkung „wo immer die Marktbedingungen es zulassen“. Dann sollten auch keine Plug-in Hybride mehr verkauft werden. Beim ausgegebenen Zwischenziel von 50:50 Prozent E-Autos und Verbrenner im Jahr 2025 sind die Plug-in-Hybride beim E-Anteil noch mit eingerechnet.
Da sich dies nicht halten ließe, müssen nach Informationen des „Handelsblatt“ nun die Lebenszyklen von wichtigen Verbrenner-Baureihen gestreckt und Geld für deren Modellpflege in die Hand genommen werden. „Mercedes steht in den kommenden Jahren vor der teuren und äußerst komplexen Aufgabe, das Portfolio an Verbrennern und Elektroautos auf dem neuesten Stand zu halten“, heißt es. Damit schwenke Mercedes auf den Kurs von Konkurrent BMW ein, der sich nie auf eine „Electric only“-Strategie eingelassen habe.
Auf der Hauptversammlung am vergangenen Mittwoch äußerte sich Ola Källenius wie folgt: „In den kommenden Jahren wird es beides geben: Elektroautos und hochmoderne, elektrifizierte Verbrenner. Wenn die Nachfrage da ist, bis deutlich in die 2030er-Jahre.“ Strategisch setze Mercedes zwar auf null Emissionen. „Das steht fest“, so der Konzernchef. „Die Transformation könnte aber länger dauern als gedacht.“
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