mercedes benz g 580 eq 2024 01
Bild: Mercedes-Benz
FahrberichtAutomobil

Erste Ausfahrt im Elektro-G: So fährt sich der surrende Saurier von Mercedes-Benz

Ihr Charakter ist zwar in Granit gemeißelt und ihre Form auch. Aber selbst gusseiserne Tradition schützt die Mercedes G-Klasse nicht vor der Moderne. Deshalb gibt es den Methusalem im Mercedes-Programm jetzt auch als Elektroauto. Wir haben diese riesige Stromdroschke bereits getestet.

Gut Ding will Weile haben. Und so richtig hetzen lassen sie sich bei der G-Klasse am Stuttgarter Außenposten in Graz ohnehin nicht. Denn erstens sind Österreicher ja gemütliche Menschen. Und zweitens gibt es den Methusalem im Mercedes-Programm jetzt schon seit 45 Jahren und wer auch immer bei den Schwaben gerade das Sagen hat, gewährt dem Geländewagen Bestandsschutz. Deshalb hat es jetzt dann auch sechs Jahre gedauert, bis Ola Källenius das Versprechen eingelöst hat, das Arnold Schwarzenegger seinem Vorgänger Dieter Zetsche bei der Präsentation des aktuellen Modells 2018 in Detroit abgerungen hat – und die G-Klasse jetzt tatsächlich elektrisch fährt.

Nach vier Jahren Entwicklung und mehr Scheiben von der PR-Salami als es der größte Heißhunger treuer Fans verdauen kann, surrt der Saurier nach den Sommerferien zu Preisen ab 142.622 Euro zu den Händlern und beweist schon dabei seine Sonderstellung. Denn als erster Mercedes beugt er sich nicht dem Marketing-Konstrukt EQ und fährt deshalb ganz klassisch als G 580 vor. Und selbst den albernen LED-Grill der Elektromodelle können Traditionalisten diesmal abbestellen.

Aber die G-Klasse hat mit EQE oder EQS auch nicht viel mehr als den Ladestecker gemein. Denn einfach ins Regal greifen, das funktioniert nicht, wenn man der G-Klasse treu bleiben will, sagt Chefentwickler Fabian Schossau. Und Kompromisse ließ das Lastenheft nun mal nicht zu, genau wie das Selbstverständnis. Weil eine G-Klasse ohne Leiterrahmen keine G-Klasse mehr ist, hat Schossau zum Beispiel eine neue Batterie konstruiert, die jetzt wie ein Big Mac in Doppelpack zwischen den Stahlstreben steckt und – sie meinen es schließlich ernst mit dem Gelände – gegen Steine und Stöße von unten mit einer fast drei Zentimeter dicken Verbundfaser-Platte geschützt ist.

Auch an der Starrachse im Heck wird nicht gerüttelt und an der Geländeuntersetzung erst recht nicht. Deshalb gibt es nicht zwei oder drei, sondern vier Motoren, die alle voneinander unabhängig arbeiten und jeder auch noch ein zweistufiges Übersetzungsgetriebe haben, damit sich der Offroader nicht mit schmerzlich niedrigen Drehzahlen durchs Gelände quälen muss.

Der konstruktive Aufwand ist gewaltig und nur die wenigsten Kunden werden ihn tatsächlich zu würdigen wissen. Doch wer sich mit dem G 580 tatsächlich mal ins Abseits wagt, der erlebt die G-Klasse als Geländewagen von altem Schrot und trotzdem ganz neu. Denn ohne jede Einschränkung kraxelt sie steinige Steigungen hinauf, die jedem Fußgänger den Atem rauben, nur um danach auch die steilsten Hügel kontrolliert hinunter zu kriechen. Dabei scheut sie weder Schräglagen noch Steinbrocken und auch kein Wasser. Im Gegenteil: Wo für die Verbrenner bei 70 Zentimetern Tiefe Schluss ist, watet der elektrische G durch bis zu 85 Zentimeter Wasser, selbst wenn Akkus und Antrieb da längst abgetaucht sind.

Also alles wie immer mit dem G im Gelände? Fast. Denn statt lautstark zu brüllen, ist die elektrische G-Klasse natürlich flüsterleise und man hört bei offenem Fenster nicht viel mehr als das Zwitschern der Vögel und das Knirschen der Kiesel unter den Reifen. Außerdem macht sie es dem Fahrer noch leichter als bisher. Nicht nur, dass die E-Motoren keine Sperren brauchen, man muss sich nicht mal mehr ums Tempo kümmern und überlässt das Spiel mit Gas und Bremse allein der neuen G-Crawl-Funktion, die den Vierkant aus Graz wie ein Offroad-Tempomat mit stoischer Ruhe über Stock und Stein treibt. Und selbst zum Lenken braucht man kaum mehr als den keinen Finger.

Während dieser Autopilot fürs Abenteuer noch eine halbwegs sinnvolle Einrichtung ist, haben sich die Entwickler auch zu zwei eher fragwürdigen Funktionen verleiten lassen: Um den Wendekreis zu verringen und den Spaß beim Driften zu steigern, drehen die äußeren Räder in engen Kehren schneller als die inneren und heben das Heck so förmlich um die Kurve. Und wer noch weniger Platz hat oder noch mehr Show machen will, der kann mit dem G-Turn und gegenläufigen Rädern auch wie ein Panzer auf der Stelle kehren und die G-Klasse zum Brumm-, sorry: Summkreisel machen. Das lieben sie nicht nur bei Youtube & Co, sondern auch im Reifenhandel.

Aber nicht nur im Gelände bietet die elektrische G-Klasse eine faszinierende Mischung aus vertrauten Erfahrungen und neuen Erlebnissen. Sondern auch auf der Straße fühlt sich der Vierkant ein bisschen anders an. Mit den vier Motoren kommt sie auf 432 kW und 1.164 Nm und rangiert damit auf dem Niveau eines AMG-Modells. Dass es den Koloss deshalb in 4,7 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 katapultiert, wird niemanden überraschen. Und mit 180 km/h ist er genauso schnell wie der G 500. Doch während man bei den Verbrennern im Dialog mit dem Beifahrer spätestens jenseits des Ortschilds die Stimme heben und auf der Autobahn fast schreien muss, sind hier zumindest auf der Landstraße noch Gespräche in Zimmerlautstärke möglich. Außerdem liegt er mit dem zentnerschweren Akku deutlich besser auf der Straße, so dass man auch enge Kurven mit mehr Zuversicht nimmt. Und dass die E-Maschinen beim Rekuperieren kräftig verzögern, ist bei so einem Trumm von Auto ebenfalls ein schönes Gefühl.

G 580 mit EQ Technologie
AntriebAWD
Leistung432 kW
Drehmoment1.164 Nm
Beschleunigung4,7 s
Höchstgeschwindigkeit180 km/h
WLTPReichweite473 km
Batteriekapazität116 kWh
Ladeleistung DC200 kW
Ladezeit DC 10-80%32 min
Preis142.621,50 Euro

Erst jenseits von 120 km/h sind es dann die Windgeräusche, die den Dialog erschweren. Denn auch wenn sie die Motorhaube ein wenig angehoben und für den Aircurtain vor den Reifen spezielle Schlitze in die Kotflügel geschnitten haben, wird aus einem Stahlwürfel kein Strömungswunder, räumt Chefingenieur Schossau ein. Deshalb ist der G 580 auch alles andere als ein Reichweitenwunder und der mit drei Lagen gekühlte Akku ist selbst im besten Fall nach 473 Norm-Kilometern leer. Danach wird wie beim EQS mit bis zu 200 kW Gleichstrom geladen, was noch halbwegs konkurrenzfähig ist. Nur an der Wallbox fällt der elektrifizierte Saurier zurück in die Steinzeit und muss sich mit 11 kW zufrieden geben. Da muss man schon früh Feierabend machen, wenn man tags drauf mit einem vollen Akku starten will.

Zwar hat sich Mercedes mit dem G 580 erfreulich nah Wesen der G-Klasse gehalten. Selbst wenn es so schwer war wie die Quadratur des Kreises oder in diesem Fall wohl eher die Kreisatur des Quadrats, ist dieses Auto deshalb in erster Linie eine G-Klasse und dann erst ein E- Fahrzeug. Doch in einer Disziplin mussten die Entwickler trotzdem schmerzhafte Kompromisse machen. Damit der knapp 3,1 Tonnen schwere Koloss auch weiterhin mit dem Pkw-Führerschein gefahren werden. darf, ist nicht nur die Zuladung auf bescheidene 400 Kilo limitiert. Sondern als erste G-Klasse seit 45 Jahren darf der G 580 auch keinen Anhänger ziehen. Wenn das mal nicht zum Haken an der Sache wird.

2 Kommentare

zu „Erste Ausfahrt im Elektro-G: So fährt sich der surrende Saurier von Mercedes-Benz“
Battie
28.05.2024 um 13:52
Danke für den guten und humorvollen Bericht. So sieht kritischer Autojournalismus aus!
Bruno
28.05.2024 um 16:41
Schade, dass es nach vier Jahren Entwicklung nicht gelungen ist eine zeitgemässe Neuauflage der G-Klasse hinzustellen. Leider ist auch der EQS nicht das zeitgemässe an eMobilität.I

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