Ford E-Transit Custom: Elektro-Transporter mit Kipp-Lenkrad fürs Pausenbrot
Die Ein-Tonnen-Klasse ist das Wettbewerbs-intensivste Segment bei den leichten Nutzfahrzeugen. Ford hat lange an seinem E-Transit Custom entwickelt, jetzt ist der Elektro-Transporter marktreif. Er wird sowohl als BEV als auch als Plug-in-Hybrid und Verbrenner angeboten und läuft auf einem Antriebs-flexiblen Band im Ford-Otosan-Montagewerk im türkischen Yeniköy vom Band. Das Modell positioniert Ford unter dem größeren E-Transit (seit 2022 auf dem Markt) und über dem kleineren Kompakttransporter E-Transit Courier, der für 2025 vorgesehen ist. Die Pkw-Variante des neuen Stromers nennt sich E-Transit Tourneo. So viel zur nicht immer ganz leichten Nomenklatur.
In der DACH-Region sollen die Auslieferungen des neuen strombetriebenen Ein-Tonnen-Lieferwagens im vierten Quartal beginnen. Der Einstiegspreis liegt bei 48.700 Euro netto. Verantwortet wird der Marktstart von Ford Pro, der 2021 ins Leben gerufenen Ford-Geschäftseinheit für Dienste rund um Nutzfahrzeuge. Interessant ist, dass die Amerikaner über eine Produktkooperation mit Volkswagen auch einen elektrischen VW-Ableger auf der Transit-Custom-Plattform bauen werden. Doch das an dieser Stelle nur am Rande.
Drei Motor-Varianten mit 100, 160 oder 210 kW
Schauen wir zunächst genauer ins Datenblatt des E-Transit Custom. Der Transporter fährt als Hecktriebler in drei Motorisierungen mit 100, 160 oder 210 kW vor. Die Batterie mit NMC-Chemie setzt sich aus 276 Zellen zusammen, kommt auf einen Energiegehalt von 64 kWh und soll bis zu 337 Kilometer Reichweite ermöglichen. Laden kann der E-Transporter mittels eines rechts vorne angebrachten Ladeports mit 125 kW DC oder 11 kW AC, was zu Ladezeiten von 39 Minuten (10 bis 80 % SoC) bzw. 6,7 Stunden führen soll. Als Netto-Nutzlast gibt Ford bis zu 1.011 Kilogramm an, als maximale Anhängelast beachtliche 2.300 Kilogramm. Das Ladevolumen beträgt maximal 6,8 Kubikmeter.
Bei der erstmaligen Vorstellung des Modells 2022 wurden teils noch abweichende Werte genannt, etwa 74 kWh Batteriekapazität und eine höhere Reichweite von 380 Kilometer. Ford Pro begründet die geschrumpften Werte mit nötigen Anpassungen während der Entwicklungsphase. Gegenüber dem „großen Bruder“ E-Transit, dem Ford im kommenden Frühjahr eine Longe-Range-Version zur Seite stellt, kann der Custom höhere Lasten ziehen (2.300 vs. 750 kg), er lädt aber länger (39 vs. 28 Minuten) und kommt auch weniger weit (327 vs. 402 km). Die Stoßrichtung beider Transporter variiert aber auch: Ford positioniert den kleineren E-Transit Custom allen voran als Fahrzeug für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – also für jene Betriebe, die quasi ihren Arbeitstag am und im Fahrzeug verbringen. Auf den Punkt bringt Ford das mit einem kippbaren Lenkrad, das in der ersten Kippstellung als Halter für einen Laptop und in der ganz waagrechten Stellung als kleiner Tisch fürs Mittagessen fungieren kann.
Kurztrip durch Frankfurts Außenbezirke
Genau solche Features sind es, die Ford Pro bei einem ersten Fahrtest in Frankfurt am Main hervorhebt. Der sieben Kilometer lange Kurs durch Frankfurter Vorstädte selbst vermittelt zwar ein bisschen Fahrgefühl, aber gibt noch keine Aufschlüsse in puncto Effizienz, Verbrauch, geschweige denn zum Ladeverhalten. Denn: Am Ende der kurzen Ausfahrt zeigt der Ladestand noch immer 91 Prozent.
Bereitgestellt hat Ford uns einen L1H1-Kastenwagen der Ausstattung „Sport“ in der Farbe „Digital Aqua Blue“. Es handelt sich also um den etwas kleineren Kastenwagen mit 5,05 Meter Länge und 5,8 Kubikmetern Ladevolumen. Die L2-Variante ist 40 Zentimeter länger und auch etwas höher – so kommt sie auf das genannte maximale Volumen von 6,8 Kubikmeter. Neben dem Kastenwagen stehen Kunden auch die Karosserievarianten Doppelkabine, Kombi und MultiCab zur Auswahl, zudem die vier Ausstattungslinien Trend, Limited, Sport sowie MS-RT (nur letztere gibt es mit 210 kW).
Limited Van L1H1 | Sport Van L1H1 | MS-RT Van L1H1 | |
---|---|---|---|
Power (kW) | 100 | 160 | 210 |
Maximale Reichweite (km) | 325 | 308 | 275 |
Leergewicht (kg) | 2.255 | 2.263 | 2.257 |
Netto-Nutzlast (kg) | 970 | 962 | 968 |
Zulässiges Gesamtgewicht (kg) | 3.225 | ||
Anhängelast (kg) | 2.300 |
Wir sitzen also im optisch ansprechenden „Sport“ mit speziellen Dekorstreifen und 17-Zoll-Leichtmetallfelgen. Der Einschaltknopf findet sich oben angeflanscht am 13-Zoll-Touchscreen, der im Cockpit als Infotainmenteinheit (inkl. Infotainmentsystem „SYNC 4“) dient. Gegenüber dem größeren E-Transit hat das Modell keinen Fahrstufen-Drehknopf, sondern einen ans Lenkrad gewanderten Lenkradstock mit dieser Funktion. Wir starten die Kurztour mit einer angezeigten Reichweite von 285 Kilometern. Nach der rund 20-minütigen Probefahrt sind davon noch 270 Kilometer übrig. Die mittlere Motorisierung von 160 kW bleibt an diesem Tag im dichten City-Verkehr von Frankfurt weitgehend ungetestet, denn für Beschleunigungen fehlt es an Freiraum. Dafür überzeugt der Ein-Tonner mit agilem Fahrverhalten und vor allem der einen oder anderen Raffinesse an Bord.
Das kippbare Lenkrad hatten wir schon erwähnt. Zudem haben die Entwickler die Vorderräder samt ihrer Federbeintürme etwas verschoben, um mehr Platz im Cockpit zu schaffen. Das spürt man vor allem in Form des flächigen Kabinenbodens. Außerdem ist der Airbag des Beifahrers ins Dach gewandert, sodass das Armaturenbrett ein zusätzliches Staufach beherbergt, das groß genug ist, um beispielsweise einen Laptop aufzunehmen. Ebenfalls an Bord: eine Reihe Fahrassistenten, serienmäßige 5G-Konnektivität, ein Smart Mirror oder ein 2,3-kW-Stromanschluss zum Betrieb externer Geräte.
Zum technischen Aufbau des Fahrzeugs präzisiert Ford, dass der Antriebsmotor direkt am Heckboden angebracht und um 90 Grad gedreht sei, um den Laderaum zu maximieren. Die Batterie ist in den Ladeboden integriert, „sodass keine separaten Crashstrukturen erforderlich sind“. Weiter soll das Fahrwerk mit Einzelrad-Aufhängung an der Hinterachse für mehr Traktion, Handling und Lenkpräzision sorgen. Und: Ford bezeichnet den E-Transit Custom als sein erstes Elektrofahrzeug, das serienmäßig eine Wärmepumpe zum Heizen und Kühlen des Innenraums nutzt.
All diese Stellschrauben zur Gewichtsreduktion, zu mehr Platz und Effizienz bei weniger Wartung haben laut Ford Pro das Ziel, die Betriebskosten zu drücken. Als Kunden nimmt der Hersteller dabei vor allem KMUs in den Fokus, die „in der Regel kein eigenes Depot und keinen Vollzeit-Flottenmanager haben“. Vor diesem Hintergrund zeigten die Amerikaner kürzlich bereits ein 22-kW-Heimladegerät, das auf die Bedürfnisse von kleineren und mittleren Betrieben zugeschnitten ist und pünktlich zum Launch des E-Transit Custom in Europa herauskommt. Das neue Ladegerät ist für den Use Case konzipiert, dass Fahrer ihren Firmenwagen außerhalb ihrer Arbeitszeiten über Nacht bei sich daheim aufladen. Bei dem in Frankfurt zum Fahrevent ausgestellten Wallbox-Exemplar handelte es sich übrigens um ein KEBA-Produkt mit Ford-Branding.
Fokus auf kleine und mittlere Unternehmen
Der E-Transit Custom und sein Ökosystem inklusive Telematik, Flotten- und Lademanagement sowie Software-Updates soll also jene digitalen Dienste, die bisher angesichts ihrer personellen Ressourcen vor allem größeren Fuhrparks vorbehalten waren, auch für kleine und mittlere Unternehmen nutzbar machen, wo die Betriebschefs häufig neben all ihren Aufgaben auch die Flotte managen. Hans Schep, General Manager von Ford Pro Europa, ist überzeugt, dass dazu ein holistischer Ansatz benötigt wird. Man wolle „den kleinen Unternehmen ohne Flottenmanager die Produktivität einer großen Flotte ermöglichen“. Viele Kunden tasten sich in Scheps Augen zurzeit an die Thematik heran. Kaufen zunächst zwei oder drei E-Transporter. Ford sei bestrebt, sie dabei dicht zu begleiten. Als Beispiele werden in Frankfurt etwa die dort ansässigen Firmen Heidinger und Haefner vorgestellt, ein Bäckereibetrieb sowie ein Spezialist für Klimatechnik.
„Kleine Unternehmen sind das Herzstück der europäischen Wirtschaft und unverzichtbar für unsere Gemeinden – und viele von ihnen verlassen sich auf Ford Transporter“, führt Schep aus. Ihre Erkenntnisse hätten geholfen, Elektro-, Plug-in-Hybrid- und Diesel-Transporter zu entwickeln, die für Kunden in jedem Gewerbe und an jedem Standort geeignet seien.
Die ersten E-Transit Custom-Modelle werden im Spätsommer dieses Jahres in ersten Märkten zu den Händlern rollen, gefolgt von allen Märkten in der EU im Jahr 2025. Auch auf die offizielle Ankündigung eines VW-Ablegers dürften wir nicht mehr lange warten müssen. Denn es ist schon länger bekannt, dass Volkswagen Nutzfahrzeuge 2024 die nächste Generation seines Transporters auf den Markt bringen wird – eben auf Basis einer mit Ford geteilten Plattform und unter anderem auch rein elektrisch. Damit geht einher, dass der neue VW Transporter nicht mehr in Hannover, sondern ebenso wie die Ford-Baureihe in der Türkei gebaut wird.
Die Kooperation von VW (Nutzfahrzeuge) und Ford geht noch auf die Zeit der früheren Konzern-CEOs Herbert Diess bei VW und Jim Hackett bei Ford zurück. Damals wurde nicht nur die MEB-Kooperation für den Ford Explorer und ein weiteres Ford-Modell aus Köln mit MEB-Technik der Wolfsburger geschlossen, sondern auch eine Zusammenarbeit der Sparten für leichte Nutzfahrzeuge sondiert. Im Ergebnis übernimmt der Pickup VW Amarok die Technik vom Ford Ranger (inklusive Plug-in-Hybrid) und der VW Transporter rückt eben enger an den Ford E-Transit Custom heran.
Plug-in-Hybride für schwer elektrifizierbare Flotten
Zunehmende Konkurrenz aus China fürchtet Ford-Topmanager Hans Schep übrigens nicht. Es gebe seit langem einige große etablierte Player im europäischen Markt und im Ein-Tonnen-Segment herrsche der meiste Wettbewerb, teilt er gegenüber electrive mit. Die Eintrittshürden seien bei leichten Nutzfahrzeugen höher als bei Privat-Pkw. Nicht zu unterschätzen ist aus seiner Sicht etwa ein dichtes Servicenetzwerk, auf das Gewerbekunden essenziell angewiesen sind.
Bei seinen Transportern geht Ford mit dem Angebot von Plug-in-Hybriden als Alternative zu klassischen Verbrenner- und reinen Elektrofahrzeugen unterdessen einen recht eigenwilligen Weg. Schep betont, dass „Plug-in-Hybride für unsere Kunden als Alternative sehr wichtig sind“. Auch diese zahlten auf die langfristigen EU-Klimaziele ein und ermöglichten schon jetzt die Einbindung von E-Fahrzeugen in sonst schwer zu elektrifizierenden Anwendungsfällen. Auf die Frage, ob es sich um eine Übergangstechnologie handele, verweist Schep auf das von der EU beschlossene Verbrenner-Aus für 2035, wodurch PHEVs zwangsläufig auslaufen werden. Brennstoffzellenantriebe als weitere Alternative für Unternehmen mit großem Radius sieht der Ford-Pro-Geschäftsführer für Europa im Transporterbereich übrigens nicht kommen – im Gegensatz zu Renault oder Mercedes, die H2-Varianten ihrer großen Lieferwagen planen.
Von der benachbarten Produktion des E-Transit und des E-Transit Custom in der Türkei verspricht sich Ford Pro übrigens durchaus eine Kostenreduktion. Nicht nur bei einigen Gleichteilen, sondern auch zur Vereinfachung der Lieferbeziehungen mit Zulieferern. Als Zelllieferanten agieren bekanntlich LGES und Sk On, die Ford Otosan aus Polen und Ungarn beliefern. Die Pläne für ein eigenes avisiertes türkisches Batteriezellenwerk in Regie von LG Energy Solution und Koç zur Eigenversorgung des Transporter-Werks von Ford Otosan liegen unterdessen auf Eis. Hintergrund ist ein vom Ford-Konzern eingeschlagener Sparkurs als Reaktion auf Milliarden-Verluste bei der Ford-Elektrosparte Model e und einer sich abschwächenden Nachfrage.
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