Nationale Leitstelle analysiert Ladesäulen-Bedarf bis 2030

Die Studie „Ladeinfrastruktur nach 2025/2030: Szenarien für den Markthochlauf“ der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur (Leitstelle) ist in einer aktualisierten Neuauflage erschienen. Die Analyse zu öffentlich zugänglichen Ladepunkten und Ladeleistung setzt Leitplanken für den Ausbau der kommenden Jahre.

Bild: Opel

Für die Neuauflage hat die Leitstelle wieder mit dem Reiner Lemoine Institut (RLI) zusammengearbeitet. Das Modell der Studie wurde demnach weiterentwickelt. Als „wichtige Grundlage“ wird nun auch die „Herstellerbefragung zu Marktentwicklung und Technologietrends bei E-Pkws“ genannt, welche die NOW GmbH im April veröffentlicht hat. Bei der ersten Auflage der Studie lag diese Auswertung noch nicht vor. Zudem wurden neue Erkenntnisse des Fahr- und Ladeverhaltens einbezogen.

Insgesamt haben die Partner fünf Szenarien für den öffentlichen Ladeinfrastruktur-Ausbau durchgerechnet. Neben dem Referenzszenario wurden dabei verschiedene Annahmen eingerechnet, etwa eine besonders geringe oder eben sehr gute Verfügbarkeit nicht öffentlich zugänglicher Ladepunkte, was auch Auswirkungen auf den Bedarf öffentlich zugänglicher Ladepunkte hat. Auch ein hoher Fokus auf das Schnellladen an HPC-Säulen wurde dabei als eigenes Szenario betrachtet.

Das Ergebnis: Je nach Szenario hat die Leitstelle einen Bedarf von 23,3 bis 32,4 GW installierter Ladeleistung im Jahr 2030 ermittelt. Das entspricht einem Bedarf von 380.000 bis 680.000 öffentlich zugänglichen Ladepunkten, davon 55.000 bis 90.000 HPC-Ladepunkte über 150 kW Ladeleistung. Im Referenzszenario, das die Basisannahmen kombiniert, ergibt sich ein Bedarf von 520.000 Ladepunkten, davon 68.000 HPC-Ladepunkte. Dabei werden insgesamt 37,8 TWh Energie in die E-Autos geladen – je nach Szenario werden zwischen 36 und 50 Prozent dieser Energie an öffentlich zugänglichen Ladepunkten bezogen.

Lade-Ausbau soll weiter vorausschauend geschehen

Die Leitstelle hält in der Mitteilung fest, dass der ermittelte Ladeinfrastrukturbedarf erforderlich sei, um den hohen Markthochlaufambitionen der Bundesregierung gerecht zu werden. „Unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt welcher E-Pkw-Bestand erreicht wird, bleibt der korrespondierende mindestens benötigte Bedarf an Ladeinfrastruktur unverändert“, heißt es dort. Ein Beispiel: In dem HPC-Szenario reduziert sich die Gesamtzahl an benötigten öffentlich zugänglichen Ladepunkten spürbar, die installierte Ladeleistung bleibt im Vergleich zum Referzenzszenario hingegen gleich.

Gleich bleibt auch die Grundannahme der Leitstelle (und einer der Leitgedanken hinter dem Deutschlandnetz), wonach der flächendeckende und bedarfsgerechte Ausbau der Ladeinfrastruktur nicht erst parallel zum Markthochlauf der E-Pkw aufgebaut werden darf, sondern vorauslaufend entstehen müsse. Mit der Studie will die Leitstelle „eine wichtige Entscheidungsgrundlage für privatwirtschaftliche Aktivitäten“ bieten, aber auch für Planungen rund um den Stromnetzausbau oder die Erstellung lokaler Masterpläne in Landkreisen und Kommunen.

Kurz zur Methodik: Für die wichtigen Fahr- und Ladeprofile wurde die Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD) als zentrale Datengrundlage genutzt. Im Rahmen der Umfrage wurden 156.420 Haushalte zu ihrem Mobilitätsverhalten jeweils an einem bestimmten Stichtag befragt. Aus den Befragungen resultierten Aufzeichnungen zu insgesamt rund 440.000 Pkw-Fahrten. Um das Mobilitätsverhalten einzelner E-Pkw zu simulieren, wurden aus den MiD-Daten synthetische dreimonatige Fahrprofile erstellt. Da sich das Fahrverhalten in unterschiedlichen Raumtypen (z. B. ländlich oder städtisch) und je nach verfügbarem Fahrzeug (z. B. Kleinwagen oder Oberklasse) unterscheidet, wurde in der Untersuchung eine Differenzierung vorgenommen. Zusammen mit dem Fahrzeugbestand des KBA und den Ergebnissen der Hersteller-Befragung zu deren geplanten Fahrzeughochlauf wurde dann ermittelt, in welchem Jahr wie viel in den regionalen Fahrprofilen elektrisch gefahren und geladen wird.

Das Ergebnis – die Leitstelle kalkuliert mit 13,4 Millionen Batterie-elektrischen Autos und 3,2 Millionen Plug-in-Hybriden im Jahr 2030 – legt direkt eine potenzielle Schwäche der Methodik offen: Die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass sich die Pläne der Hersteller auch wieder ändern können. Mercedes-Benz hat sich von seinem „Electric only“-Ansatz bis 2030 verabschiedet, Tesla hat seine (sehr ambitionierten) Ziele für 2030 ebenfalls einkassiert und auch der große Stellantis-Konzern ist deutlich vorsichtiger geworden, wie die jüngsten Schlagzeilen um die Batteriefabriken in Kaiserslautern und Termoli zeigen. Diese Planänderungen als Reaktion auf die derzeitige Nachfrage dürften in der Studie noch nicht berücksichtigt sein. Es muss aber auch erwähnt werden: Die Pläne der Hersteller können sich auch wieder schnell in die andere Richtung wenden. Diese Problematik bei Annahmen und Methodik solcher Studien ist immer gegeben.

AFIR-Vorgaben liegen unter dem erwarteten Bedarf

Zurück zur Studie: Da mehr als ein Viertel der Pkw-Fahrleistung in Deutschland auf Strecken mit mehr als 100 Kilometern entfällt, wird die Bedeutung des HPC-Ausbaus an Fernstraßen betont. Aber die Studie zeigt laut den Autoren auch, „dass das HPC-Laden im innerstädtischen Bereich zunehmend an Relevanz gewinnt und bis zu 12 Prozent der Ladepunkte im Jahr 2030 ausmachen könnte“. Und die Vorgaben der AFIR (ab 2025 mindestens 1,3 kW installierte Ladeleistung pro BEV und 0,8 kW pro PHEV) werden in allen Szenarien übertroffen. Der (prognostizierte) Bedarf wird also über den gesetzlichen Mindestanforderungen liegen.

Interessant ist auch, dass eines der betrachteten Szenarien die „digitale Optimierung“ ist. Im Gegensatz zum Referenzszenario wurde hier die Auslastung der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur ab dem Jahr 2025 schrittweise bis zum Jahr 2030 erhöht. Bereits heute sind die Standzeiten an Ladepunkten teilweise reguliert – die Blockiergebühr. „Es ist anzunehmen, dass sich das Ladeverhalten der Nutzerinnen und Nutzer in Zukunft durch Reservierungsfunktionen oder finanzielle Anreize verändert. Durch die gesteigerte Auslastung der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur und die Vermeidung von Spitzenlasten sinkt der Schwellenwert zur Bestimmung des Bedarfs an Ladeinfrastruktur“, heißt es in der Studie.

Im Ergebnis bietet diese „digitale Optimierung“ aber nur eine geringe Verbesserung zum Referenzszenario. Der „Worst Case“ mit der höchsten Anzahl benötigter Ladepunkte im öffentlichen Raum ist das Szenario mit einer geringen Verfügbarkeit nicht-öffentlicher Ladepunkte. Die Szenarien mit HPC-Fokus und hoher Verfügbarkeit liegen spürbar unter der Referenz, bei dem HPC-Fokus werden etwa 26 Prozent weniger Ladepunkte benötigt. Das verdeutlicht auch die Tabelle mit dem in der Studie ermittelten Bedarf an öffentlich zugänglichen Ladepunkten im Jahr 2030:

KundenparkplatzStraßenraumLade-HubLade-Hub AchseGesamt
Referenz86.300365.80022.20045.500520.000
Geringe Verfügbarkeit109.500497.80028.50045.400681.000
Hohe Verfügbarkeit64.600258.30016.80045.700386.000
Digitale Optimierung78.500350.60016.80035.100484.000
HPC-Fokus65.100228.60044.60046.100384.000

Blickt man auf die installierte Ladeleistung, ist das Bild anders: Hier kommt der HPC-Fokus auf 28,6 GW installierte Leistung, also etwas über der Referenz mit 27,5 GW. Vorteilhaft sind hier die Szenarien mit hoher Verfügbarkeit nicht-öffentlicher Ladepunkte und die „digitale Optimierung“, wo nur 23,3 oder 23,6 GW installiert werden müssten. Das Szenario mit der geringen Verfügbarkeit nicht-öffentlicher Ladepunkte schneidet auch hier mit 32,4 GW am schlechtesten ab.

Ein ähnliches Bild zeigt sich übrigens, wenn man etwas weiter denkt. In der Simulation wurde auch eine Berechnung für 2035 durchgeführt. Bis dann kann – wiederum mit geringer Verfügbarkeit nicht-öffentlicher Ladepunkte – sogar ein Bedarf von 1.100 GW installierter Ladeleistung entstehen. Im besten Fall – mit 582 GW – wird fast nur die Hälfte benötigt. Der Vergleich der Zahlen von 2030 und 2035 zeigt aber: Der wirklich große Schub kommt erst noch. Früher oder später.

BDEW kritisiert die Studienergebnisse

„Die aktualisierte Studie bietet eine einzigartige datenbasierte Planungsgrundlage für Ladeinfrastruktur in Deutschland – bedeutsam für alle Stakeholder und die Fahrzeug- und Energiebranche insgesamt. Das ambitionierte Ziel von 15 Millionen E-Pkw bis 2030 bleibt für die Ausbaustrategie und den erfolgreichen Markthochlauf der Elektromobilität richtungsweisend“, sagt Kurt-Christoph von Knobelsdorff, Geschäftsführer und Sprecher der NOW GmbH. „Gleichwohl verändern die dynamischen Entwicklungen sowohl bei Ladetechnologien als auch auf dem Fahrzeugmarkt die Anforderungen an das Gesamtsystem der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur erheblich. Für dieses wird perspektivisch die Ladeleistung planerisch eine immer größere Rolle spielen.“

Kritik an den Studienergebnissen kommt übrigens umgehend vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „Alle Zahlen zeigen, dass der Ausbau des öffentlichen Ladeangebots auf Hochtouren läuft. Die Ladebranche blickt daher mit großer Skepsis auf die Studienergebnisse“, sagt Kerstin Andreae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung. „Es ist zwar positiv, dass das technisch veraltete Ziel von einer Million Ladepunkten bis 2030 endlich ad acta gelegt wird und die installierte Ladeleistung als Messgröße verwendet werden soll. Beunruhigend ist jedoch, dass die Studie das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Pkw in 2030 zurücknimmt.“ Der BDEW fordert daher Maßnahmen von der Regierung, das 15-Millionen-Ziel noch zu erreichen – und nicht das Ziel abzusenken. Der Expertenbeirat Klimaschutz im Mobilitätssektor (EKM) des Bundesverkehrsministeriums geht zum Beispiel von nur 10,5 Millionen E-Fahrzeugen aus. „Ein großes Problem ist auch, dass die Netzbetreiber verpflichtet sind, ihren Netzausbau auf die Prognosen des Verkehrsministeriums aufzusetzen. In der Konsequenz führt die Überschätzung des Bedarfs an Ladeleistung zu unnötigen Kosten, die am Ende von den Verbraucherinnen und Verbrauchern gezahlt werden müssen“, so Andreae.

Der ADAC weist darauf hin, dass mit dem weiteren Hochlauf die Zahl der E-Fahrer ohne heimische Wallbox erheblich steigen wird, weshalb „die Bedeutung der öffentlichen Ladeinfrastruktur weiter zunehme“. „Es ist wichtig, dass 2030 jeder Haushalt in seinem näheren Umfeld, entweder privat oder öffentlich, eine passende Lademöglichkeit vorfindet, damit Elektromobilität für alle Autofahrer zu einer realistischen Option wird“, so der Autoclub. „Die erhebliche Spannbreite der Bedarfsschätzung an öffentlichen Ladepunkten macht aber deutlich, es braucht attraktive E-Fahrzeugmodelle und dies auch im unteren Preissegment, wenn sich die politischen Erwartungen an Elektromobilität erfüllen sollen. Hier sind die Autohersteller gefordert, die Angebotspalette bei Kleinwagen und Mittelklasse noch deutlich zu verbessern.“

now-gmbh.de, now-gmbh.de (Studie als PDF), Info per E-Mail (BDEW-Statement, ADAC)

6 Kommentare

zu „Nationale Leitstelle analysiert Ladesäulen-Bedarf bis 2030“
Frank Holzapfel
05.06.2024 um 15:26
Die Bedeutung wohnortnaher AC Ladeinfrastruktur ohne Standzeitbeschränkung, zum Laden während der Nacht , und günstiger AC Ladestromtarife (HPC = teuer) wird in meinen Augen unterschätzt. Auch die Erfordernisse von netzdienlichem Laden, bei dem ein Ladestand bis zu einem frei gewählten Zeitpunkt vorgegeben und vom Netzbetreiber nach Verfügbarkeit die Ladung gesteuert wird, spielt in der Analyse leider keine Rolle. Die verengt Fokussierung auf HPCs führt in meinen Augen in die Irre. Wir brauchen eine große Anzahl öffentliche AC Ladesäulen in den Wohngebieten!! Momentan gibt es diese in meinem Umfeld gar nicht, da die Verwaltung den Betrieb öffentlicher Ladeinfrastruktur durch die Bürger auf deren privatem Grund mittels Stellplatzsatzungen verbietet und keine eigenen Anstrengungen zum Aufbau eines Ladenetzes unternimmt.
Alexander
05.06.2024 um 16:13
Definiere "Wohngebiete". Die Frage ist ja immer: Ist es dem EV-Besitzer möglich, selber für die Lademöglichkeit zu sorgen. In klassischen EFH-Wohngebieten mit einem großen Anteil an Wohneigentum macht das keinen Sinn: Da soll jeder selber für seine Wallbox sorgen, die Hausstromtarife sind ohnehin günstiger als die öffentlichen Tarife. Bei Wohngebieten mit hohem Mietanteil sieht das evtl. anders aus. HPCs sind m. E. aber auch sehr wichtig, um in der Praxis langstreckentauglicher zu werden, können aber auch in der Stadt eine gute Ergänzung zu den AC-Ladern sein. Natürlich nicht im Wohngebiet, aber an den Punkten mit geringerer Verweildauer wie z. B. Einkaufsmärkten. Wenn ich beim Wocheneinkauf für 100 EUR meine Energiemenge für die Woche nebenbei laden kann, dann kann auch die 5 EUR teurere DC-Ladung komfortabler sein als das wohnortnahe AC-Pendant. Wichtig ist, die Strategie immer nachzujustieren, da ich nicht glaube, dass man aus dem aktuellen Verhalten das zukünftige Verhalten extrapolieren kann: Die aktuellen E-Auto-Nutzer sind keine repräsentative Stichprobe für alle Autofahrer. Wie die sich verhalten, wird zum Teil erst die Zukunft zeigen.
Heinz W.
06.06.2024 um 16:39
Es geht doch nicht nur ums billigere Laden. Die Batterie altert beim Schnelladen deutlich schneller und wirklich keiner möchte sich eine neue kaufen müssen. Zudem kann man die AC-Lader an jede Straßenlampe schrauben, ohne einen neuen Trafo (wie beim HPC) setzen zu müssen, dh. ohne teuren Tiefbau. Warum das mit den Straßenlampen bis heute nicht so in den Städten gemacht wird, verstehe ich auch deshalb nicht.
Henning Rittstieg
06.06.2024 um 22:34
Hallo Heinz W. Wissen Sie, ob an den Laternen typischerweise die 230V auch dann zur Verfügung stehen, wenn die Laternen NICHT leuchten?
Max
05.06.2024 um 15:58
Für das Jahr 2035 werden also eine kumulierte installierte Ladeleistung zwischen 582 und 1.100 GW für notwendig erachtet. Selbst wenn man von einer maximalen Gleichzeitigkeit von nur 20 % ausgeht, bedeutet das eine zusätzliche Last zwischen 116 und 220 GW. Die heutige elektrische Spitzenlast in Deutschland beträgt ca. 80 GW. Wer wird so viele Offshore-Windräder und H2-Gaskraftwerke finanzieren und aufbauen wollen, um eine Gesamtlast von 200 GW (ohne Laden zuhause und ohne Wärmepumpenheizungen) decken zu können?
Bla
05.06.2024 um 19:52
Was für ein Blödsinn… Würde bedeuten das bei 10 Mio Fahrzeuge 2 Mio gleichzeitig maximale Last ziehen würde zum gleichen Zeitpunkt. Installierte Leistung hat wenig mit Spitzenlast zu tun. Zudem ist bereits prognostiziert, dass die deutsche Spitzenlast bis 2030 deutlich ansteigen wird…

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