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Bild: Daimler Truck
HintergrundInfrastruktur

Daimler Truck und Scania elektrifizieren die Kunden-Depots

Die Symbolwirkung für die Branche ist deutlich: Daimler Truck und Scania haben am gleichen Tag ihre neuen Lade-Lösungsanbieter für ihre E-Lkw-Kunden vorgestellt. TruckCharge und Erinion sollen die passende Ladeinfrastruktur zum neuen Elektro-Lkw bieten – und so mit der Ladetechnik dem E-Lkw zum Durchbruch verhelfen.

Denkt man an Lastwagen, fallen vielen zuerst die großen 40-Tonner auf der Autobahn ein. Wenn sie in Reih’ und Glied auf der rechten Spur dahinfahren, bei „Elefanten-Rennen“ so manch ungeduldigen Autofahrer ärgern oder auf dem Rastplatz den Großteil der Fläche belegen. Und genau diese Lkw sind es auch, die bei der Umstellung auf Elektro-Lkw als Gegenargument angeführt werden: Heute quer durch Deutschland unterwegs, morgen nach Osteuropa, nächste Woche im Kundenauftrag bis nach Spanien. Ohne ausreichende Ladeinfrastruktur quer durch Europa ein unfassbar komplexes Vorhaben.

Natürlich sind Fernverkehr-Lkw sehr wichtig. Was aber oft dabei vergessen wird: Viele Lastwagen bewegen sich gar nicht so weit von ihren Depots weg und stehen dort jede Nacht. Diese Lkw-Routen können bereits heute elektrifiziert werden, wenn im Depot geladen werden kann. Ganz ähnlich, wie beim E-Auto mit der Wallbox in der heimischen Garage oder auf dem Firmen-Parkplatz an den meisten Tagen im Jahr auf öffentliche Ladepunkte verzichtet werden kann. Und anders als der Dienstwagen oder Privat-Pkw fährt der Lkw im Nah- oder Regionalverkehr nicht einmal pro Jahr bis nach Kroatien in den Urlaub.

Was mit einer intelligent geplanten Ladeinfrastruktur und heutigen E-Lkw-Modellen bereits möglich ist, beweist die Spedition Dachser an ihrem Standort Dortmund: Zwei Volvo FH Electric mit 540 kWh großen Batterien sind tagsüber für langjährige Kunden im lokalen Shuttleverkehr im Einsatz – und das mit zwei Wechselbrücken, also mit einem 20-Fuß-Container auf dem Fahrzeug und einem weiteren auf dem Anhänger. In der Nacht fährt eines der Fahrzeuge zwei Mal zur Dachser-Niederlassung Köln, was je nach gewählter Route zwischen 95 und 100 Kilometer einfacher Strecke entspricht. Das andere Fahrzeug bedient die Dachser-Niederlassungen Neuss (ca. 70 km einfach) und Rheine (ca. 125 km einfach) in Rundlaufverkehren. Alles andere als Kurzstrecken, also.

600 Kilometer am Tag mit eigenem Ladepunkt

Das heißt: Innerhalb von 24 Stunden legen die beiden Fahrzeuge jeweils 600 Kilometer zurück, wenn man den Tages- und Nacht-Einsatz addiert. Dabei verzichtet Dachser auf Ladevorgänge entlang der Strecke, da die Routen genau kalkuliert und auf die Reichweite der Fahrzeuge abgestimmt sind. Geladen wird ausschließlich auf dem Betriebsgelände von Dachser.

In dem Dachser-Beispiel werden zwar E-Lkw von Volvo genutzt, es wäre aber auch der Einsatz vergleichbarer Modelle von Daimler Truck (etwa der neue eActros 600) oder von Scania möglich. Natürlich müssen die Fahrzeuge die nötige Reichweite bieten, um die Rundläufe mit voller Beladung zu schaffen, doch mit dem immer größer werdenden Modellangebot wird das Fahrzeug an sich eher austauschbar. Zentral für den Einsatz ist hingegen die Ladeinfrastruktur: Mit dem Schnelllader auf dem Betriebsgelände sind auf derart planbaren Routen schon hohe Tagesfahrleistungen möglich. Ist der Schnelllader sogar an der Laderampe installiert, kann die Batterie Strom für die nächste Tour ziehen, während die Fracht ausgeladen wird. Oder der Lkw parkt an einem Stellplatz und während des Ladens wird einfach eine neue Wechselbrücke aufgesetzt.

Planung, Bau und Betrieb genau solcher Lkw-Ladepunkte ist die Aufgabe zweier Unternehmen, die in dieser Woche vorgestellt wurden: Scania will mit seiner neuen Tochter Erinion bis 2030 40.000 neue Ladepunkte bei seinen Kunden installieren. Bei Daimler Truck werden alle bestehenden und künftigen Angebote rund um das Lastwagen-Laden in der neuen Einheit TruckCharge zusammengeführt. Ein konkretes Ziel für 2030 gibt es hier zwar nicht, die Mission ist aber gleich: Den eigenen Kunden soll eine markenoffene Ladeinfrastruktur für die Elektroflotte angeboten werden.

Übrigens: Das erst im Mai vorgestellte Angebot der Daimler-Truck-Tochter Mercedes-Benz Trucks zum „Depot Charging“ wird nun Teil von TruckCharge – und wohl ein Kern des Angebots. Unter dem Label „Depot Charging“ hatte Mercedes-Benz Trucks eben die Dienste um das Aufladen auf dem Betriebsgelände gebündelt – die Beratung, den Verkauf von Hardware (Lieferant ist Alpitronic) und den technischen Service sowie Finanzierungslösungen für die Ladeinfrastruktur. Auch bei Scania scheint eine Traton-einheitliche Ausweitung des Angebots (etwa für MAN) nur eine Frage der Zeit zu sein.

Was sowohl Daimler Truck als auch Scania betonen: Mit der Beratung und der Wahl der passenden Lade-Produkte sollen auch die Gesamtkosten rund um den Einsatz der E-Lkw sinken. Laut Daten von Scania, die durch Pilotprogramme mit Kunden bestätigt wurden, können Kunden angeblich mit einer Reduzierung des Investitionsbedarfs um bis zu 50 Prozent und betrieblichen Einsparungen von bis zu 15.000 Euro pro Lkw und Jahr rechnen. Ein weiterer Vorteil: Da das Ladesystem auf die jeweiligen Fahrzeuge und Routen angepasst werden kann, wird auch die Lebensdauer der Batterien optimiert. Eine beispielsweise 500 kWh große Batterie muss nicht mit 300 kW Ladeleistung (oder gar dem kommenden Megawatt-Charging) belastet werden, wenn für den Ladevorgang über Nacht feste zehn Stunden zur Verfügung stehen. Dann genügen auch niedrigere Leistungen, was Batterie und Stromnetz schont.

Nur: Die Kunden sind Spezialisten für den Gütertransport und haben (gerade in kleineren Betrieben) nicht unbedingt das Fachpersonal, das sich mit Infrastruktur-Planung, Detail-Fragen zur Ladeleistung und Förderanträgen für den Netzanschluss auskennt. Große Unternehmen wie Dachser können auch intern Knowhow von einem Test-Einsatz an einem Standort zu einem anderen transferieren. Sitzt aber die Geschäftsführung tagsüber selbst noch hinter dem Steuer und kümmert sich am Abend um die Buchhaltung, gibt es einfach keine Ressourcen – wo Erinion und TruckChage ansetzen wollen.

„Wir wollen E-Mobilität für unsere Kunden einfach und profitabel machen – auch über den Kauf von Elektro-Lkw hinaus“, sagt etwa Karin Rådström, CEO Mercedes-Benz Trucks. „Mit TruckCharge bündeln wir nun unser Angebot an Lösungen unter einer Marke und wir planen, das Portfolio kontinuierlich auszubauen.“

Ganz ähnlich äußern sich die Schweden: „Mit unserer Lösung können sich die Kunden beruhigt auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, während sich eine spezialisierte Ladeeinheit um die Hardware, Software, Finanzierung und Betriebsdienstleistungen kümmert, die erforderlich sind, um das Laden im großen Maßstab mit höchster Qualität und Kosteneffizienz zu betreiben“, erklärt Jonas Hernlund, Leiter Energie und Infrastruktur der Scania Group.  

Auch wenn sich die beiden Angebote von Daimler und Scania leicht unterscheiden (Scania bezieht etwa ausdrücklich das halböffentliche Laden mit ein), sind sowohl TruckCharge als auch Erinion herstellerunabhängig. Sie bieten die Infrastruktur auch für gemischte Flotten an und wollen Insellösungen vermeiden. Und auch außerhalb des eigenen Depots werden die Kunden nicht alleine gelassen oder in eine Insellösung gezwängt: Daimler Truck und Scania sind nicht nur Konkurrenten, sondern beim öffentlichen Laden (im Falle von Scania über die Muttergesellschaft Traton) auch Partner: Beide Hersteller sind an Milence beteiligt.

Sprich: Ist der Lkw doch einmal abseits geplanter Routen unterwegs, wäre auch das Laden im geplanten Netz von Milence möglich. Doch hier wird die Herausforderung beim öffentlichen Laden von E-Lkw umgehend deutlich: Noch sind die Milence-Ladeparks selten, auch „nur“ mit CCS und nicht dem superschnellen MCS ausgestattet (wobei das nach dem MCS-Rollout geändert werden soll) und selbst im derzeit geplanten Voll-Ausbau von 1.700 Ladepunkten innerhalb von fünf Jahren wird Milence alleine nicht die E-Lkw-Branche bedienen können. Die Standorte werden sich auf die Hauptverkehrsrouten konzentrieren, hier werden – aufgrund der besten Geschäftsaussichten – wohl auch die Konkurrenten zunächst verstärkt bauen.

Und abseits dieser Routen gibt es wohl weiter nur eine sichere Lösung: Die eigene Ladestation im Depot.

daimlertruck.com, scania.com

3 Kommentare

zu „Daimler Truck und Scania elektrifizieren die Kunden-Depots“
Björn
14.06.2024 um 07:42
Interessant das im Güterverkehr der Umstieg auf elektrische Antriebe wesentlich sachlicher und lösungsorientierter zu laufen scheint als im privaten Bereich. Dort herrscht ja leider Stammtisch Gegröle vor und auch 70% der Nachrichten beschäftigen sich mit postfaktischen Details der Antriebstechnik. Da ist es eine Wohltat so einen sachlichen Artikel zu lesen, vielen Dank.
Mirko Queda
14.06.2024 um 08:54
Wechselbrücken haben nichts mit 20 Fuß Containern zu tun
Herbert Wertig
14.06.2024 um 09:39
Das klingt wunderbar vernünftig und lösungsorientiert. Am Ende könnte der Nutzfahrzeugverkehr schneller auf E-Mobilität umgestellt sein als die PKW-Flotte.

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