Letzte Testfahrten: Mit dem Mercedes eActros 600 quer durch Norwegen
Kurz zur Tour selbst: In der vergangenen Woche sind in Frankfurt am Main zwei Vorserienexemplare des E-Lkw zur „eActros 600 European Testing Tour 2024“ aufgebrochen – zunächst nach Norden bis zum Nordkap. Vom nördlichsten Punkt Europas soll es dann auf dem Landweg zum südlichsten Punkt des Festlands gehen, nach Tarifa in Spanien. Auf dem Rückweg von Spanien nach Frankfurt fahren die beiden Lkw noch einen Schlenker durch die Benelux-Staaten. So geht es auf über 13.000 Kilometern durch 20 Länder – und das in rund fünf Wochen. Und nur mit öffentlich nutzbaren Ladepunkten.
„Die Fahrzeug-Technologie für die Transformation steht bereit. Der Batterie-elektrische Fernverkehr in Europa ist möglich“, sagte Karin Rådström, CEO von Mercedes-Benz Trucks, zum Auftakt. „Nun müssen Politik und Energiebranche im Schulterschluss mit der Industrie den Aufbau öffentlicher Ladeinfrastruktur vorantreiben.“ Die ersten Meter der Tour steuerte die Chefin übrigens persönlich einen der beiden Lkw.
Von dem Glanz und Sonnenschein des Tour-Auftakts in Frankfurt mit zahlreichen geladenen Gästen ist nichts zu spüren, als electrive wenige Tage später zusteigt. Auf dem Truck-Parkplatz an der E6 in Biri, unweit von Lillehammer, ist es grau und trüb. Durch den Nieselregen geht es zu den beiden eActros 600, die dort über Nacht geparkt waren. Über Hamburg, Fehmarn, Kopenhagen und Göteborg haben sie diesen Stellplatz am Ufer des Mjøsa erreicht, Norwegens größtem See. Von hier aus soll es zu den Fjorden an der Westküste gehen. 330 Kilometer mit einer anspruchsvollen Topografie.
500 Kilometer Reichweite – unter allen Bedingungen?
Auf dem Papier sollte das kein Problem sein: Mit drei Batteriepacks à 207 kWh ist der eActros 600 für den Fernverkehr ausgelegt. Mehr als 500 Kilometer sollen bei voller Beladung ohne Probleme mit einer Akkuladung möglich sein – oder in der Trucker-Logik ausgedrückt: Man bekommt die Batterie innerhalb der vierstündigen Fahrzeit nicht leergefahren. Um zu erproben, ob das nicht nur im Labor und abseits deutscher Autobahnen auch passt, ist Werner Kempfle mit einem kleinen Team und den beiden Vorserienfahrzeugen aufgebrochen. Kempfle ist Entwicklungsingenieur bei Daimler Truck und Co-Projektleiter des eActros 600. Wenn sich einer mit dem Fahrzeug auskennt, dann Kempfle.
Von den beiden Vorserien-Fahrzeugen, die von Lillehammer aus aufbrechen, ist aber nur eines für die Mitfahrt von Medienvertretern gedacht. Der zweite Lkw hat einen leicht anderen Entwicklungsstand, er ist auf den Bildern etwa an den aerodynamischen Radkappen zu erkennen. Auch Details wie die besser integrierten Trittstufen am Einstieg und die LED-Scheinwerfer sind näher an der Version, die Ende 2024 in die Serienproduktion gehen soll. In diesem Fahrzeug sind zwei Mess-Ingenieure unterwegs, die den Verbrauch und die Energieflüsse im Fahrzeug genau überwachen und mit zusätzlich installierten Sensoren aufzeichnen – es ist immer noch eine Entwicklungsfahrt, keine Ausfahrt mit dem finalen Serienmodell.
Das Fahrzeug, das Rådström in Frankfurt gefahren ist und in dem wir die kommenden Stunden mitfahren, ist auch ein besonderes Exemplar: Mit diesem Fahrzeug haben die Daimler-Ingenieure vor einigen Wochen den ersten Megawatt-Ladevorgang mit dem Ladestandard MCS demonstriert. Auf dieser Fahrt werden wir den auf der Fahrerseite verbauten MCS-Port nicht nutzen, sondern nur vorhandene CCS-Ladesäulen. Dass das Fahrzeug noch ein Prototyp ist, wird übrigens nicht nur an der Folierung deutlich: Der CCS-Port ist ordentlich mit einer Blende verkleidet, unter der Klappe für den MCS-Anschluss ragt nur die Ladebuchse entgegen – die Blende samt Status-LED fehlt hier noch. Funktion ging hier ganz klar vor Design.
Als Kempfle den eActros 600 langsam von dem Parkplatz nahe Lillehammer steuert und auf die E6 Richtung Norden einbiegt, erklärt er den Hintergrund der Tour. „Zum einen soll demonstriert werden, was das Produkt heute schon kann – quer durch Europa, nur mit öffentlichen Ladestationen in einem 40-Tonner“, sagt der Projektleiter. „Dabei wird man ganz klar sehen, dass die Fahrzeuge bereit sind und es jetzt auf die Infrastruktur ankommt, zumindest im Fernverkehr.“ Mercedes-Benz Trucks verweist selbst darauf, dass etwa 60 Prozent der Langstreckenfahrten der eigenen Kunden in Europa kürzer als 500 Kilometer sind – womit Ladeinfrastruktur auf dem Betriebshof sowie an den Be- und Entladestellen für diese Fälle ausreichend ist. Nur darüber hinaus, also quasi im paneuropäischen Fernverkehr, sind öffentliche Lkw-Ladestationen wirklich notwendig.
Falls Sie sich fragen, wie sich das Fahren in einem E-Lkw anfühlt: Es ist ein wenig wie eine Mischung aus Elektroauto und einem Zug. Es ist erstaunlich, wie das 40 Tonnen schwere Gespann beschleunigt. Mühelos ist Tempo 80 erreicht, ohne Schaltrucke, ohne Vibrationen, ohne hochdrehenden Dieselmotor – leise, stark und mit beeindruckendem Durchzug. Mit luftgefedertem Sitz und Fahrwerk wirkt das Fahrgefühl in der Kabine aber gerade in dem hohen Fernverkehrs-Lkw deutlich von der Straße entkoppelt – fast wie in einem Zug. Dass Kempfle den eActos 600 hat anrollen lassen, habe ich nur anhand des Blicks aus dem Fenster gesehen. Gespürt hat man nichts. Bei Reisetempo können natürlich nicht mehr alle Unebenheiten ausgefedert werden. Komfortabel ist es allemal.
Fahrer müssen sich nicht umgewöhnen
Auch Elektro-spezifische Elemente wie die Rekuperation sind so ausgelegt, dass sich die Fahrer nicht umgewöhnen müssen. Geht der Fahrer vom Strompedal, wird nicht rekuperiert, sondern möglichst effizient gesegelt. Beim Tritt auf das Bremspedal verzögert das Fahrzeug zunächst elektrisch, bevor dann auch mechanisch gebremst wird. Zudem ist eine manuelle Rekuperation möglich: Analog zum Retarder des Diesel-Lkw kann der Fahrer mit einem Hebel in fünf Stufen verzögern. Auf der stärksten Stufe würde sogar so etwas wie ein One-Pedal-Driving möglich sein – im E-Lkw soll aber eher über das Segeln die maximale Effizienz ausgenutzt werden. Und der Tempomat mit Gelände- und Streckenerkennung regelt das Tempo ohnehin meist selbst.
Dass der neue E-Lkw beeindruckt, berichtet auch Kempfle von seinen Besuchen bei Kunden. Seit fünf Jahren beschäftigt sich der Ingenieur mit Elektro-Lkw, er ist auch privat elektrisch unterwegs und kennt die Vorzüge und Vorurteile der elektrischen Mobilität bestens. „Wenn ich mit einem E-Lkw bei Kunden war, waren vor allem die Fahrer skeptisch, sie wollten eher bei ihrem gewohnten Diesel bleiben“, sagt Kempfle. „Nach nur einem Tag waren sie überzeugt und haben ihrem Chef gesagt, dass sie nichts anderes mehr fahren wollen. In einem Fall war der Fahrer von Kollegen umringt, die sich erkundigen wollten. Obwohl davor selbst noch skeptisch, hat er den Elektro-Lkw verteidigt!“
Um hier Fahrern, den Mitarbeitern in der Distribution und auch den Eigentümern selbst die aus dem E-Auto bekannte Reichweitenangst zu nehmen, hat sich das Team von Kempfle dazu entschieden, im Display nicht nur den Ladestand und die Rest-Reichweite anzuzeigen. Der Bordcomputer kann auch die verbleibende Fahrzeit berechnen. Bei Abfahrt mit 99 Prozent im Akku waren das 510 Kilometer oder 6:53 Stunden – mehr, als ein Fahrer während einer Schicht zurücklegen kann.
Wo kann der E-Lkw laden?
Der Knackpunkt bleibt das Laden: Ist eine eigene Ladesäule im Depot vorhanden und die Strecke im Falle des eActros 600 kürzer als 500 Kilometer, ist der Einsatz – sofern kostentechnisch darstellbar – ohne größere Probleme möglich. Wie hoch die Hersteller die Bedeutung des Depotladens sehen, hat sich in der vergangenen Woche gezeigt: Da haben sowohl Daimler Truck als auch die Traton-Marke Scania eigene Tochtergesellschaften vorgestellt, die Kunden beim Bau und Betrieb eigener Lkw-Ladeinfrastruktur mit einem Komplettangebot unterstützen sollen – im Falle von Daimler Truck heißt der Anbieter TruckCharge, Scania hat die neue Tochter Erinion genannt.
Wenn die ersten eActos 600 ausgeliefert werden, wird das Fahrzeug (anders als unser Vorserienmodell in Norwegen) nur das CCS-Laden mit maximal 400 kW ermöglichen. Die Kunden können für das MCS lediglich eine Vorrüstung bestellen. Sobald die MCS-Technologie verfügbar und herstellerübergreifend standardisiert ist, soll sie für diese Modelle des eActros 600 nachrüstbar sein – noch ist der MCS offiziell in Erarbeitung. Daher sind auch die rund 30 Minuten Ladezeit, die Daimler Truck für den Hub von 20 auf 80 Prozent angibt, noch eine Aussage auf Basis einer internen Simulation.
Kemfple ist aber überzeugt, dass viele Kunden das MCS-Laden gar nicht benötigen werden. Selbst mit 400 kW an einer entsprechenden CCS-Säule ist es möglich, während der 45-minütigen Pflicht-Fahrpause so viel Strom nachzuladen, dass die Batterie im nächsten Fahr-Slot von vier Stunden nicht leer gefahren werden kann.
Wer bei der Ladeleistung eher in Pkw-Sphären unterwegs ist und bei Angaben von 400 kW oder mehr um die Haltbarkeit der Batterie fürchtet, muss sich – wie ich – erst noch an die Größe von Lkw-Batterien gewöhnen: Selbst 400 kW entsprechen bei verbauten 621 kWh im eActros 600 einer C-Rate von 0,64. 400 kW stressen den Akku also nur so gering, wie wenn ein Tesla Model Y Long Range mit 50 kW geladen wird – wo etwas über 250 kW in der Spitze möglich sind. Auch bei den anfänglich geplanten MCS-Ladeleistungen wird der Akku nicht sonderlich stark belastet. Daimler Truck geht daher davon aus, dass die Batterie die volle Lkw-Nutzungsdauer von 1,2 Millionen Kilometern übersteht. Zum Einsatz kommen bekanntlich LFP-Zellen von CATL. Für die Lithium-Eisenphosphat-Batterie hat man sich bei Daimler Truck übrigens nicht wegen der geringeren Kosten, sondern vor allem wegen der Robustheit entschieden.
Während ich mit Kempfle spreche, ging es bei der Fahrt vor allem bergauf. Als wir nach rund 2,5 Stunden auf einem Rastplatz halten, sind noch 65 Prozent im Akku. Obwohl wir nur knapp 160 Kilometer zurückgelegt haben, ist die angezeigte Reichweite um glatte 200 Kilometer gesunken – stand jetzt würden wir noch 310 Kilometer weit kommen – oder 5:06 Stunden Fahrzeit. Der Verbrauch laut Bordcomputer: 124,0 kWh/100km. 40 Tonnen wollen eben die Steigung hoch bewegt werden.
Fahrerwechsel nach 160 Kilometern
Ab dem Rastplatz übernimmt Christian Österle das Steuer von Projektleiter Kempfle. Österle ist Ingenieur für die Software- und Funktionsentwicklung des Thermomanagements, im E-Lkw ein nicht zu unterschätzendes Feature. Schließlich sind zumindest bei den Elektroautos LFP-Zellen dafür bekannt, bei niedrigen Temperaturen nicht so gut zu performen – gerade an der Ladesäule.
Für den Lkw kann Österle das entkräften. „Die Batterie wiegt etwa 4,5 Tonnen, das ist eine enorme, thermische Masse“, so der Ingenieur. „Selbst wenn das Fahrzeug über Nacht bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt geparkt wird: Wenn die Batterie einmal ihre Temperatur hat, kühlt sie nicht so schnell aus.“ Ist sie doch einmal ausgekühlt, etwa nach dem Fahr-freien Sonntag, kann sie ein elektrischer Heizer mit 12 kW Leistung wieder auf Temperatur bringen. Der optimale Bereich liegt übrigens bei etwa 20 Grad, auch wenn während des Schnellladens einzelne Zellen auch 45 Grad erreichen können.
Oft ist es aber gar nicht nötig, die elektrische Akku-Heizung anzuwerfen. Denn der Fall, dass ein E-Lkw mit fast leerem Akku geparkt wird und dann mit nur kurzer Anfahrt und kaltem Akku an die Ladestation gesteuert wird, kommt eher selten vor. Es ist eher die Regel, dass nach Ankunft im Depot geladen wird – entweder für eine schnelle Weiterfahrt mit anderem Fahrer oder es wird langsam über Nacht geladen. So oder so: Bei Abfahrt ist der Akku voll und warm. Und selbst wenn die Batterie während der Fahrt erwärmt werden muss, kann der eActros 600 auf andere Wärmequellen im Fahrzeug zurückgreifen, bevor Strom aus dem Akku für das Heizen verwendet wird.
eActros 600 hat keine Wärmepumpe
Eine Wärmepumpe, serienmäßig in vielen Elektroautos verbaut, hat der Fernverkehrs-Lkw übrigens nicht. „Auf der Langstrecke hat das keine Vorteile, im Verteilverkehr mit dem eActros 300/400 hingegen schon“, erklärt Österle. Im Fernverkehr ist der eActros 600 idealerweise vier Stunden lang am Stück in konstanter Fahrt unterwegs – ein ganz anderes Szenario als im Verteilverkehr, wo auf einer Tour womöglich mehrere Kunden angefahren werden und im städtischen Stop&Go-Verkehr andere Energieflüsse im Fahrzeug gefragt sind.
Bei den Testfahrten mit dem eActros 300 haben die Ingenieure festgestellt, dass vor allem an einer Komponente genügend Wärme abfällt: der E-Achse mit den beiden Elektromotoren. Diese Wärme würde eigentlich über das Kühlsystem abgeführt werden. Mit zusätzlichen Ventilen und einer angepassten Steuerung haben Österle und seine Kollegen die verschiedenen Kühlkreisläufe aber so verbunden, dass die Wärme der E-Achse weiter genutzt werden kann – etwa für die Temperierung der Batterie.
Oder auch im Innenraum. Bei unserer Testfahrt quer durch Norwegen sind wir inzwischen in den Bergen angekommen, die E15 führt nördlich des Jostedalsbreen Nasjonalpark durch Täler und Tunnel in Richtung der Fjorde. Teilweise liegt noch Schnee neben der Fahrbahn. Dennoch wurde zu keinem Zeitpunkt Strom aus dem Akku genutzt, um den Innenraum zu heizen – wir hatten die Klimaanlage auf 21 Grad eingestellt. Bei dem Zwischenstopp hatte Österle einen Laptop an das Fahrzeug angeschlossen und die Live-Daten der Kühlkreisläufe aufgerufen. Die grob 50 Grad des Antriebs-Kühlkreislaufs waren mehr als genug, um Batterie und Kabine warm zu halten. Die Heizung ist kein einziges Mal angesprungen.
Verbrauch von knapp über 100 kWh/100km
Das blieb auch bis Stryn so, unserem Etappenziel am Innvikfjorden. Der Blick auf den Bordcomputer zeigt: Nach 329 Kilometern und 5:44 Stunden Fahrzeit sind noch 38 Prozent im Akku – ausreichend für 220 Kilometer oder weitere 3:50 Stunden. Theoretisch wären also sogar 550 Kilometer bei der nicht gerade flachen Topografie möglich gewesen. Daimler Truck selbst spricht nur von 500 Kilometern Reichweite, die „unter spezifischen Testbedingungen, nach Vorkonditionierung mit einer 4×2 Sattelzugmaschine mit 40t Gesamtzuggewicht bei 20°C Außentemperatur im Fernverkehrseinsatz“ intern ermittelt worden seien.
Da der zweite Teil der Etappe wieder bergab bis auf Meereshöhe geführt hat, lag der Verbrauch im Schnitt bei 106 kWh/100km. Wenn man bedenkt, dass ein Elektroauto mit zwei Tonnen vermutlich auch 15-20 kWh/100km benötigt hätte, erscheint ein knapp dreistelliger Verbrauch beim 40-Tonner plötzlich sehr effizient. Bei den Bergab-Passagen ist der Verbrauch teilweise auf bis zu 84 kWh/100km gesunken. Auf den steilsten Abschnitten hat der eActros 600 mit bis zu 480 kW rekuperiert – möglich wären sogar bis zu 600 kW.
Selbst bei Fahrten um die 300 Kilometer wie unserer hält Kempfle die größere Batterie des eActros 600 für sinnvoll und hilfreich: Wenn ein Logistiker den E-Lkw für jeweils 300 Kilometer in der Tag- und Nachtschicht einsetzt, würde auch ein Fahrzeug mit etwas über 300 Kilometern realer Reichweite genügen. Aber: „Dann muss alles passen. Eine Umfahrung auf der Strecke oder ein Stau kann den ganzen Zeitplan durcheinanderbringen“, sagt der Projektleiter und erzählt von einem Kundenbesuch: „Es gab ein technisches Problem mit dem Anhänger, das hat uns in der Nacht zwei Stunden gekostet. Also waren wir wieder erst später im Depot zum Laden und das Fahrzeug konnte erst mit Verzögerung in die Tagschicht gehen – weil es jedes Prozent Ladestand benötigt hat.“ Der eActros 600 hätte hingegen noch 200 Kilometer Puffer geboten.
Obwohl noch nicht ganz leer, geht es für uns nun an die Ladestation. Bisher war es an allen Stationen der Tour möglich, die Gespanne ohne Probleme zu laden – die Infrastruktur war für E-Lkw bereits mit etwas Planung gut genug ausgebaut. Anders in Stryn bzw. der nahegelegenen Ortschaft Loen, die eher auf Tourismus als auf Fernverkehrstransporte ausgelegt sind. Hier gibt es nur zwei E-Auto-Ladestationen, genau genommen UFC200 von Delta Electronics. 200 kW je Ladepunkt sind möglich, werden beide CCS-Anschlüsse genutzt, wird die Leistung geteilt. Ausreichend für Pkw, wenig für den E-Lkw. Und: Die Ingenieure müssen auf einem nahegelegenen Parkplatz erst einmal absatteln und die Trailer sichern. Denn die Stellplätze an der Ladestation sind nicht für 16,88 Meter lange Gespanne ausgelegt. Selbst nur mit dem eActros 600 wird es schon eng.
„Die Testfahrt soll zeigen, was heute geht – und das sind eben größtenteils CCS-Ladestationen“, sagt Kempfle, der sich die ganze Tour ausgedacht hat – und CEO Karin Rådström mit Beharrlichkeit von seinem Vorhaben überzeugen musste. „Uns ging es nicht darum, mit Megawattladen möglichst schnell von A nach B zu kommen. Sondern genau die Herausforderungen zu erleben und zu lösen, vor denen auch unsere Kunden stehen. Und das bedeutet manchmal eben noch Absatteln und Rangieren.“ Und: Anders als bei vielen geplanten PR-Touren gibt es hier kein Backup. Die beiden Fahrzeuge sind Prototypen und werden nur von einem Van mit dem Orga-Team begleitet. Kein Werkstatt-Truck, keine Ersatzteile. Geht etwas kaputt, muss improvisiert werden – oder der Tour-Tross steht.
In Loen treffen die beiden großen E-Lkw auf großes Interesse an der Ladesäule. Nicht nur E-Autofahrer, die ihren Pkw gerade laden, sprechen die Daimler-Entwickler an. Auch Passanten fragen nach Fotos – und laut Kemfple wollte bei einem früheren Stopp sogar die Polizei einen Schnappschuss mit ihrem Einsatzwagen und den beiden ladenden Lkw. In Loen kommt sogar ein lokaler Spediteur vorbeigefahren – obwohl es Samstagnachmittag um 17:30 Uhr ist, hat er von den beiden Prototypen im Nachbarort gehört. Und musste auf einen Plausch vorbeikommen.
Kurz vor Schluss doch noch ein kleines „Problem“
Die Fahrt selbst war erstaunlich unaufgeregt. Obwohl noch ein Vorserienexemplar, hat der eActros 600 bereits eine hohe Reife. Beim Laden hat sich dann aber doch noch gezeigt, dass es eine Test- und Entwicklungsfahrt ist: Der Start des Ladevorgangs hat nicht sofort geklappt, es hat drei Versuche benötigt, bis eine passende Ladekarte oder -App gefunden war, mit der die Säule in Loen freigeschaltet werden konnte. Das Kabel musste also mehrmals ein- und ausgesteckt werden, bis der Ladevorgang tatsächlich gestartet ist. Obwohl der Strom mit 200 kW floss, hat die Status-LED am Ladeport nicht grün geblinkt. Ein Fehler, der vor Kunde nicht mehr passieren sollte – und von den Ingenieuren umgehend an die Kollegen in Deutschland gemeldet wurde.
Solange dies das größte „Problem“ auf der 13.000 Kilometer langen Tour bleibt, wird Kempfle dem Produktionsbeginn Ende des Jahres wohl sehr entspannt entgegenblicken.
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