LISKon 2024: Wissing bringt das „Deutschlandnetz für Lkw“ auf den Weg
In Berlin ist heute das Who-is-Who der deutschen Ladeinfrastruktur-Branche zusammen gekommen. An historischer Stätte in den Bolle Festsälen tauschen sich über 500 Besucher zu den Entwicklungen rund um den hiesigen Ladeinfrastrukturausbau aus. Besondere Schwerpunkte bilden dabei das Deutschlandnetz für E-Pkw und das initiale Ladenetz für E-Lkw – beides Großprojekte, die der Bund über Ausschreibungen steuert. Und einige der wenigen eMobility-Vorhaben, für die die Regierung überhaupt noch Förderungen vorsieht.
Zum künftigen Lkw-Netz hat Volker Wissing (FDP) schon in der vormittäglichen Grußrede ein paar Exklusivinfos parat, auf die die deutsche Lkw-Branche lange warten musste: In Deutschland startet die Ausschreibung für das initiale Lkw-Ladenetz diesen Sommer. Geplant sind entlang der Autobahnen bundesweit mindestens 350 Standorte mit 4.200 MCS- und CCS-Ladepunkten. Begonnen wird angesichts eines inzwischen selbst bei Laien zur Bekanntheit gelangten Gerichtsverfahrens (Tesla/Fastned vs. Autobahn GmbH) aber zunächst notgedrungen nur an unbewirtschafteten Rastanlagen. Die Netzanschlüsse werden aber auch an den bewirtschafteten Rastanlagen bereits unter Vorleistung des Bundes vorbereitet. Wissings Botschaft: Das „Deutschlandnetz für Lkw“ ist auf dem Weg.
Grob umrissen hatte diese Pläne vor ein paar Tagen bereits ein Artikel des „The Pioneer“. Wissing versichert vor den 500 Konferenzbesuchern, dass die zuständigen Verteilnetzbetreiber „demnächst“ die Aufträge für die benötigten Netzanschlüsse erhalten werden. Außerdem erwähnt er, dass zur Standortbestimmung der künftigen Ladehubs Lkw-Maut-Daten genutzt worden seien. Auf diesen datenbasierten Ansatz ist der Minister, der die „Digitalisierung“ in seinem Ministertitel ja noch vor dem „Verkehr“ führt, sichtlich stolz.
„Deutschland-Tempo für dieses strategische Projekt in der Bundesrepublik“
Johannes Pallasch, Sprecher der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur und Bereichsleiter bei der NOW GmbH, ergänzt in seiner anschließenden Rede, dass die Skalierung im Lkw-Ladebereich noch schneller erfolgen müsse als bei den Pkw, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Und hier gehe es nicht um Privatfahren, sondern um Warenketten. „Die Standorte sind definiert, jetzt folgt eine sehr, sehr große Ausschreibung“. Gleichzeitig fordert Pallasch von allen beteiligten Akteuren „eine Haltung, ein Deutschland-Tempo für dieses strategische Projekt in der Bundesrepublik“.
Wissing nutzt den Auftritt sonst vor allem als Gelegenheit, die bereits erfolgten Weichenstellungen zu betonen und Deutschland als internationalen Vorreiter im Ladeinfrastruktur-Rollout zu verorten. Die in den letzten Monaten einkassierten eMobility-Förderungen oder das Reizthema Wasserstoff umfährt er dabei weiträumig. Über die aktuelle Delle in der E-Auto-Nachfrage kommt er dafür ohne Umwege auf die geplanten Sonderzölle der EU auf E-Autos aus China zu sprechen. Ein Graus für Liberale – entsprechend fällt auch Wissings Einschätzung aus, dass hohe Einfuhrzölle für Elektroautos aus dem Ausland in diesem Fall eher schaden als helfen. „Denn sie führen nicht zu niedrigeren, sondern im Zweifel zu höheren Preisen – und nehmen auch noch Wettbewerb aus dem Markt.“ Wenn es denn Wettbewerbsungleichheiten gebe, sollt man sich eher mit der Frage beschäftigen, wie diese abgeschafft werden könnten – im Dialog. „Aber nicht die zu teuren Fahrzeuge noch teuerer machen. Ich glaube, das ist nicht zu Ende gedacht.“
Kunden entscheiden sich in Wissings Augen nur bei einem „überzeugenden Angebot“ für E-Autos. Und er kann das auch aus eigener Erfahrung bestätigen: Im Moderatoren-Gespräch erfahren wir, dass Wissing vergangenes Jahr von einem Hybrid- auf ein reines Elektroauto umgestiegen ist und an der heimischen Wallbox lädt. Er selbst hätte erst im Nachhinein im Alltag richtig realisiert, dass er öffentliche Ladeinfrastruktur in 100 bis 200 Kilometer Umkreis gar nicht brauche. „Das Entscheidende sind die Ladesäulen entlang der Fernstraßen. Die müssen verfügbar sein, da darf es keine Wartezeiten geben.“
Wo wir beim Deutschlandnetz wären: Wissing ist bemüht, Aufbruchstimmung zu signalisieren – und läutet im Saal jene Werbekampagne ein, die das 1.000-Standorte-Netz nun in der Breite bekannt machen soll. Der Slogan: „Das Deutschlandnetz ist da. Und bald auch da, da, da.“ Laut dem Verkehrsminister soll die Botschaft rüberkommen, dass die 9.000 Ladesäulen ganz Deutschland abdecken. „Wir streichen die Reichweitenangst aus dem Wortschatz“. Und zwar nicht irgendwann, sondern schnell. An dieser Stelle wird Wissing etwas unscharf, spricht einerseits davon, dass das Deutschlandnetz „Aktualität und Realität“ sei, Deutschland „ready“ sei und es sich um kein Zukunftsprojekt handele. Andererseits äußert er an anderer Stelle, dass man natürlich noch nicht am Ziel sei, weswegen „die Kampagne noch ein bisschen in die Zukunft gerichtet ist“. Ein einzelner Standort ist bisher bekanntlich in Düren eröffnet worden.
Klar ist unterdessen, dass Wissing beim Ladeinfrastruktur-Ausbau noch mehr Engagement der Gemeinden und Kommunen sehen möchte. Sie seien verantwortlich für die Genehmigungen in ihrem Einzugsgebiet. Außerdem betont der Minister, dass Lade- und Stromnetze zusammen gedacht werden müssten und er auch die Weichen für bidirektionales Laden stellen wolle. Bei alledem sollen Daten und Digitalisierung noch stärker genutzt und Akteuren – wie den Städten – verfügbar gemacht werden.
Mit einer Einordnung, wie es um den Roll-out in Deutschland steht, übernimmt Pallasch die Bühne – „Kilometer zwei eines Marathons“, damit stimmt er die versammelten Branchenvertreter auf die noch lange Reise der „größten Transformation in der Geschichte der Automobilindustrie“ ein. Die Message seines Auftritts: Wir müssen denken wie ein Nutzer. Das fängt bei der Kaufentscheidung an („Verbraucher müssen das Produkt toll finden“) und schließt das Ladeökosystem ein. Angesichts der seit Anfang des Jahres schwächelnden E-Auto-Nachfrage ist das Ladeangebot laut Pallasch etwas in den Vorlauf gekommen. Weitere E-Autos sollten also nicht zu lange auf sich warten lassen, um dem Roll-out-Gleichschritt bei Stromern und Ladern mit Blick auf die sensiblen ökonomischen Kalkulationen wieder näher zu kommen.
Pallaschs Tenor ist an diesem Tag grundlegend optimistisch, wenn auch nicht kritikfrei. Neben den bekannten Bremsklötzen, wie Netzanschlusskapazitäten oder der noch fehlenden Offenheit neuer Verbrauchersegmente nennt er aber vor allem ein Thema, das ihn „gerade nervös macht“: „Wir waren beim Thema Pricing schon einmal weiter. Wir kommen jetzt in letzter Zeit wieder in eine Welt rein, wo man sich als E-Mobilist wieder mehrere Ladekarten anlegt.“ Als Grund nennt er zunehmende Abomodelle von Ladesäulenbetreibern (CPOs), bei denen es die E-Mobility Provider schwer haben. Aus Pallaschs Sicht spielen einige CPOs ihre lokale Macht aus, bieten günstige Abo-Preise in ihrem Gebiet, aber lassen jenseits davon kräftig draufzahlen. Das Roaming wird so ausgehebelt, was laut Pallasch bei Bürgern zu „hoher Verunsicherung wegen der riesigen Preisspreizung und Tarifvielfalt führt“.
Quelle: Livestream zur Ladeinfrastruktur-Konferenz 2024 des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr in Berlin, bmdv.bund.de, linkedin.com
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