Software-Allianz: VW verbündet sich mit E-Auto-Hersteller Rivian
In wortgleichen Mitteilungen kündigen Volkswagen und Rivian an, auf Basis von Rivians bestehender Software- und Elektroarchitektur (Original: „E/E architecture & vehicle software“) eine Technologieplattform für softwaredefinierte Fahrzeuge zu schaffen. Dazu will das ungleiche Duo – Rivian wurde 2009 gegründet und ist noch im Aufbau seines Geschäfts, Volkswagen ist dagegen einer der größten Autokonzerne der Welt – ein 50:50-Joint-Venture gründen. Außerdem sagen die Wolfsburger zu, bis 2026 eine Summe von bis zu drei Milliarden Dollar in Rivian und von bis zu zwei Milliarden Dollar in das gemeinsame Joint Venture investieren zu wollen – jeweils abhängig vom Erreichen bestimmter Meilensteine.
Für Rivian mit seinen tiefroten Zahlen haben die finanziellen Aspekte der Kooperation hohe Priorität. 2023 fuhr der E-Auto-Hersteller unterm Strich einen Nettoverlust von 5,4 Milliarden US-Dollar ein. Cash-Nachschub ist also dringend geboten. Als Erfolg dürfte Rivian verbuchen, dass ein 50:50-Joint-Venture zustandekommen soll. Durch den Onlinehändler-Giganten Amazon hat das Unternehmen bekanntlich schon Erfahrungen mit Kooperationen gemacht, die nicht auf Augenhöhe verlaufen.
Im Zentrum der Partnerschaft mit Volkswagen steht die Entwicklung von Software-definierten Fahrzeugplattformen (SDV) der nächsten Generation, die „in den zukünftigen Elektrofahrzeugen beider Unternehmen eingesetzt werden sollen“, wie es heißt. Der Volkswagen-Konzern investiert dafür zunächst eine Milliarde US-Dollar (rund 935 Millionen Euro) in Rivian. Und erhält im Gegenzug schon direkt Zugriff auf die bestehende Software- und Elektroarchitektur des US-Unternehmens. Das ist auch aus Volkswagen-Sicht der Hauptvorteil der Partnerschaft: Die Wolfsburger sichern sich mit der Rivian-Technologie ein Pfund für die gegenwärtige und künftige Software-Entwicklung.
Bei dem Thema hängt Volkswagen bekanntlich immer noch stark hinterher. An sich hat der Konzern die Software-Entwicklung in seiner Tochter Cariad gebündelt. Doch die dortigen Probleme reißen nicht ab – und Cariad ist dadurch zum Nadelöhr für neue Fahrzeuganläufe avanciert. E-Autos von Porsche und Audi haben sich dadurch bekanntlich stark verspätet – teils um bis zu drei Jahre. Das Bündnis mit Rivian zeigt nun, dass Volkswagen händeringend weitere Wege sucht, um im kommenden Mega-Markt der Software-definierten Fahrzeuge mithalten zu können.
Schon vor wenigen Monaten erregte Volkswagen Aufmerksamkeit durch einen ähnlich gelagerten Deal mit einem E-Auto-Newcomer aus China: Mit Xpeng arbeitet Volkswagen in diesem Zuge ebenfalls an einer elektrischen und elektronischen Architektur (E/E-Architektur), die allerdings spezifisch in die für China konzipierte Elektroauto-Plattform CMP von VW integriert werden soll. Auch bei Xpeng hat sich Volkswagen im Zuge des Bündnisses eingekauft.
Der Einsatz der neuen Software wird in der Präsentation bereits kurz umrissen: Sie soll in der SSP zum Einsatz kommen, also jener Scalable Systems Platform, die 2028 debütieren soll. Diese Software soll dann noch auf einer „adapted E/E architecture“ aufbauen und teilweise auch bei der PPE (Premium Platform Electric) eingesetzt werden. Erst später – vermutlich ab 2032/2033 – ist das „next-gen SDV“ geplant, also das Software Defined Vehicle der nächsten Generation. Der MEB und die Weiterentwicklung MEB+ werden hingegen weiter auf die E3-Software von Cariad setzen. Mit der SSP sollen aber künftig auch Fahrzeuge wie ein elektrischer VW Golf entwickelt werden – also in Segmenten, in denen VW heute den MEB nutzt.
Die inhaltlichen Eckpunkte zur neuen Partnerschaft mit Rivian sind darüber hinaus noch nicht sehr detailliert. Beide Seiten sprechen davon, durch ihre Allianz schneller zu werden und die Kosten pro Fahrzeug senken zu können. Als Basis soll das „Zonal-Hardware-Design“ von Rivian im Mittelpunkt stehen. Voraussichtlich werde man „bestehende geistige Eigentumsrechte an das Joint Venture lizenzieren“, teilt Rivian mit. Aus Volkswagen-Perspektive lautet das Ziel denn auch, „die SDV-Pläne des Volkswagen-Konzerns zu beschleunigen und den Übergang zu einer reinen Zonenarchitektur zu vollziehen.“ Abgesehen von der Entwicklung wollen beide Unternehmen ihr jeweiliges Fahrzeuggeschäft separat halten.
Der jetzigen Ankündigung sind den Partnern zufolge etliche Monate mit Kompatibilitäts-Checks vorangegangen. Formal vollzogen werden soll die Gründung des Joint Ventures voraussichtlich im vierten Quartal 2024. Aus der VW-Präsentation zu dem Deal geht zudem hervor, dass jede Seite einen Co-CEO ernennen will. Im Fall von Rivian soll dieser auch Technikchef (CTO) sein, im Fall von Volkswagen wird der Co-CEO auch das operative Geschäft (COO-Posten) anführen. Namen werden in der Präsentation allerdings noch nicht genannt.
Während Rivian seine bestehende E/E-Architektur lizenziert und weiteres Know-how im puncto Fahrzeugsoftware einbringt, wird VW für die Prozesssteuerung zuständig sein und u.a. sein Homologations-Fachwissen einbringen – ein Punkt, bei dem Rivian von dem Know-how der Deutschen profitieren dürfte.
Volkswagen-Vorstandschef Oliver Blume betont: „Unsere Kunden profitieren von der gezielten Partnerschaft mit Rivian zur Schaffung einer führenden Technologiearchitektur. Durch unsere Zusammenarbeit werden wir die besten Lösungen schneller und zu geringeren Kosten in unsere Fahrzeuge bringen. Wir handeln auch im besten Interesse unserer starken Marken, die mit ihren ikonischen Produkten begeistern werden. Die Partnerschaft fügt sich nahtlos in unsere bestehende Software-Strategie, unsere Produkte und Partnerschaften ein. Wir stärken damit unser Technologieprofil und unsere Wettbewerbsfähigkeit.“
RJ Scaringe, Gründer und CEO von Rivian, äußert, dass sich sein Unternehmen seit seinen Anfängen auf die Entwicklung hochdifferenzierter Technologie konzentriert habe – „und es ist aufregend, dass eines der größten und angesehensten Automobilunternehmen der Welt dies erkannt hat“. Scaringe geht davon aus, dass die Rivian-Software und die damit verbundene zonale Architektur nun einem noch breiteren Markt zugänglich gemacht werde. Gleichzeitig sieht er den Kapitalbedarf seines Unternehmens gestärkt, um weiter zu wachsen. Den Aktionären gefällt’s: Die Rivian-Aktie schoss nachbörslich zweistellig nach oben.
rivian.com, volkswagen-group.com, vw-mms.de (Präsentation)
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