E-Lkw: Wie gut ist die Straßenlage zwischen den regulatorischen Leitplanken?

Die Elektro-Lkw für den Hochlauf sind technisch ausgereift, nur Regulatorik und Ladeinfrastruktur hinken hinterher – so ein oft in der Branche skizziertes Lagebild. Ob das wirklich so ist, warum das Megawattladen der „Champagner“ des Ladens wird und ob noch mit E-Lkw-Bundesförderungen zu rechnen ist – wir haben die Antworten. Direkt von unserer Online-Konferenz electrive LIVE.

electrive live juni 2024 speaker

Der Mann mit den meisten Paraden ist Axel Blume – und das ganz ohne Torwarthandschuhe. Der Teamleiter Klimafreundliche Nutzfahrzeuge bei der NOW vermittelt bei der aktuellen Ausgabe von electrive LIVE die politische Sichtweise aufs Thema des Tages – und das bedeutet vor allem: die beschnittene KsNI-Förderung. Seine wichtigste Botschaft an die Logistiker im Land: „Warten Sie nicht auf den nächsten Förderaufruf. Es wird an dieser Stelle nichts passieren.“ Das gilt freilich nur für die Fahrzeugbeschaffung. Denn das Depotladen im Gewerbebereich und das landesweite Netz für öffentliche E-Lkw-Lader wird bezuschusst. „Da wir nur noch wenige Mittel zur Verfügung haben, kam es zu dieser Priorisierung der Ladeinfrastruktur-Förderung. Darüber ist keiner froh. Aber Aufgabe der Politik ist es, wenn nötig schwere Entscheidungen zu treffen.“ Viel Interpretationsspielraum lässt Blume nicht: „Gehen Sie in die Beschaffung. Im nächsten Haushalt wird es nichts geben“. Fazit: Nicht schön, aber wenigstens klar und deutlich.

Keine KsNI-Förderung mehr zu erwarten

Die Umstände mit der 2023er Haushaltskrise in Deutschland und diversen weltweiten Krisen sind bekannt. Hauke Hinrichs, CEO von Smatrics und somit Praxis-Experte durch und durch, hat auf das Förder-Aus dennoch einen anderen Blick: „In Deutschland ist das Schlimmste passiert, was man machen kann: Da wurde eine Unplanbarkeit erzeugt, was Schockwellen in die Branche entsendet hat.“ Anders in Österreich, wo Hinrichs wohnt und wirkt: Dort ist die Förderung „sehr stabil und vorbildlich“, was sich auch in niedrigeren Einbrüchen bei den Zulassungszahlen bemerkbar macht. Wohlgemerkt bei E-Pkw, denn bei E-Lkw – und das betont auch NOW-Mann Blume – gibt es bisher keinen Rückgang. Die Zulassungszahlen steigen sogar – freilich auf geringem Niveau. Grund dafür ist, dass zeitversetzt zu den inzwischen gekappten Förderzusagen noch immer über das KsNI-Programm bezuschusste Lkw in die Zulassung gehen. „Das wird auch noch eine Weile so bleiben. Die Frage ist, wie es danach weitergeht. Dass es eine kleinere Delle geben wird – ja vermutlich. Dann ist es Aufgabe der Hersteller, gute Angebote zu machen, um Kunden auch ohne Förderung zu überzeugen.“

Blume bringt auch aus sogenannten Cleanroom-Gesprächen mit den Lkw-Herstellern die Erkenntnis mit, dass Fahrzeugförderungen selbst unter OEMs durchaus umstritten sind. Die einen fürchten einen „Suchtfaktor“ und, dass Kunden dann ohne die Zuschüsse quasi nicht mehr zum Kauf zu bewegen sind. Die anderen halten Subventionen zum Anschub und zur anfänglichen Überzeugung für alternativlos. Da es nun keine Zuschüsse mehr gibt, hat sich dieser Richtungsstreit in Deutschland wohl von selbst erledigt.

Weniger öffentliches Geld, dann vielleicht vermehrte Wirtschafts-Allianzen, um Chancen und Risiken in diesem dynamischen Marktumfeld zu teilen? Genau das ist das Heim-Terrain von Dr. Kai Wallisch, Partner bei CMS Deutschland. Mit seinen Anwaltskollegen hat er u.a. das juristische Feld für Milence bestellt – das Lkw-Lade-Joint-Venture von Daimler Truck, Traton und der Volvo Group. Er skizziert, wie die gemeinsame Finanzkraft, die gebündelten Ressourcen und das Expansionspotenzial gerade in Zeiten sich neu bildender Märkte Großprojekte beflügeln kann, benennt aber auch die Limits, die interne Zielkonflikte und vor allem das Kartellrecht setzen können – und auch sollten. Dass solche wichtigen juristischen Schutzmechanismen anderswo in der Welt weniger streng angewandt werden, ist aus Sicht von Wallisch „ökonomisch herausfordernd“. Vor allem in einer wirtschaftlich immer enger zusammenwachsenden Welt.

Flottengrenzwerte für Trucks der Game-Changer

Die Rahmenbedingungen national lassen zwar zu wünschen übrig, immerhin ist aber die Regulatorik auf EU-Ebene in den vergangenen Monaten fortgeschritten: Schärfere Flottengrenzwerte, die Nutzfahrzeug-OEMs auf Linie bringen sollen, die AFIR für die grenzüberschreitende Ladeinfrastruktur, die Clean Vehicle Directive für die ÖPNV-Betreiber. „Wir stehen besser da als wir oft denken“, betont NOW-Vertreter Blume. Vor allem die neuen Flottenzielwerte sieht er als „Game Changer, als klaren Fahrplan für die Hersteller“. Und: „Wir wissen, die Vorlaufzeiten sind exorbitant mit 5 bis 6 Jahren von der Idee bis zum Fahrzeug, deshalb halte ich es auch für sehr gefährlich dieses Fass noch einmal aufzumachen. Wir müssen die Regulatorik beibehalten und die Leute machen lassen.“ Die Botschaft geht klar an das neu gewählte EU-Parlament, in dem künftig Parteien mehr Einfluss nehmen, welche die in Kraft getretenen Gesetzespakete des Green Deal wieder aufschnüren könnten.

Ohnehin ist bei den Herstellern der Elektroantrieb weiter der dominierende Technologiepfad, wie Blume sagt. Er berichtet von aktuellen Gesprächen mit den OEMs aber auch, dass neben dem Brennstoffzellenantrieb für spezielle Anwendungsfälle („diese Technologie ist nicht abgeschrieben!“) vor allem das Thema Wasserstoff-Verbrennungsmotor an Boden gewinne. Da Nutzfahrzeuge mit solchen Motoren unter dem neu geknüpften regulatorischen Rahmen zukunftsfähig bleiben, „merkt man in den aktuellen Gesprächen, dass sie für Hersteller wichtiger werden“.

Ganz ohne die Benennung nationaler Erfolge verabschiedet sich Blume übrigens nicht: Den CO2-Aufschlag bei der Lkw-Maut hält er für einen wichtigen Hebel, auch wenn er den deutschen Logistik-Verbänden beipflichtet, dass eigentlich ein Teil der Mehreinnahmen wieder in die Antriebswende des Straßengüterverkehrs zurückfließen und nicht nur in die Schiene investiert werden sollte. An dieser Stelle zeigt sich das Dilemma für Blume: Er agiert mit der NOW im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums als Schnittstelle zwischen Politik und Wirtschaft. Ein politischer Entscheidungsträger ist er nicht.

Europäisches Reservierungssystem für Truck-Charging

Die Maut trifft vor allem Lkw, die viel auf der Langstrecke unterwegs sind. Logistiker, die deshalb auf E-Lkw umsteigen wollen, haben in diesem Bereich aber noch ein ganz anderes Problem: Das Ladenetz ist noch rudimentär – und selbst wenn es da ist, braucht es aus Sicht von Smatrics-Chef Hauke Hinrichs ein europäisches Reservierungssystem. „Wenn ich mein Fahrzeug acht Stunden perfekt nutzen und nach vier Stunden für 45 Minuten laden will, dann muss genau zu diesem Zeitpunkt ein Lader da sein, funktionieren und frei sein. Wir kommen also an einem grenzüberschreitenden Reservierungssystem nicht vorbei.“ Vielleicht lässt sich ja noch ein bisschen Regulatorik-Schwung auf EU-Ebene mitnehmen, fragt electrive-Chefredakteur und Moderator Peter Schwierz? Schmunzeln in der Runde.

Klar ist: Das wird Neuland – ebenso wie das künftige Über-Nacht-Laden auf Autobahn-Rastanlagen, das es im Pkw-Bereich so nicht gibt. Dafür kann Hinrichs beim technischen Rollout der Lkw-Ladeinfrastruktur ein Stück weit beruhigen. Nein, das Rad muss nicht neu erfunden werden: „Wir wissen, welche Ladeleistungen in fünf Jahren etwa gebraucht werden, wir kennen den Platzbedarf – der Sprung von CCS und MCS wird gar nicht so groß. Wir haben seit den Anfängen des E-Pkw-Hochlaufs schon so viele Ladesysteme entwickelt, wir kennen uns damit aus, wie sich zukunftsfitte Anlagen bauen lassen. Das wird gar nicht so schlimm, wie wir alle denken.“ Ohnehin sieht er Megawatt-Charging als den „Champagner“ des Ladens – viel wichtiger wird in seinen Augen das Laden im Depot, das überwiegend über den bekannten CCS-Standard laufen wird. Da nicken auch die anderen Experten.

Außerdem plädiert Hinrichs für Kreativität bei den Technik-Kollegen, die mit dem Netzausbau befasst sind. Hoch- und Mittelspannung bescheinigt er in Deutschland vorneweg ein gute Performance. Interessant wird es unter diesen Ebenen, wo laut Hinrichs „bei physikalische Limits eben auch mal kreativ mit Pufferspeichern oder Energiemanagements hantiert werden muss“. Ohne Investitionen in die „jahrelang kaputt gesparten Verteilnetze“ geht’s aber nicht. Hinrichs sieht eine Riesen-Herausforderung, die beherzt angepackt werden muss – „sonst droht der nächste Flaschenhals“.

Grundsätzlich versprüht der Smatrics-Chef aber Optimismus und Hands-On-Mentalität. Seine Prämisse: Frühzeitig loslegen – mit gemeinsamen Piloten und mit einer gewissen Try-and-Error-Mentalität. „So haben wir unsere Erfahrungen z.B. beim Depotladen gesammelt. Wir haben tolle Pilotkunden und am meisten gelernt, wenn mal etwas nicht funktioniert hat.“ Im Lkw-Bereich, wo nur Geld verdient, wer fährt, wird es aus seiner Sicht allerdings nur ein kurzes Zeitfenster geben, in dem im regulären Betrieb „Kinderkrankheiten“ der neuen Technik geduldet werden. Deshalb: „Jetzt lernen, dann ein abgesichertes Gesamt-Ökosystem bauen, dann skalieren!“

1 Kommentar

zu „E-Lkw: Wie gut ist die Straßenlage zwischen den regulatorischen Leitplanken?“
Martin Borth, emde speditions GmbH
27.06.2024 um 14:23
Die Förderung der E-Lkw ist kostenmäßig nicht mehr notwendig, sofern die Mautbefreiung verlängert werden würde. Die Mauteinsparungen kompensieren zu fast 100% die Mehrkosten des Lkw, sofern man die günstigeren "Treibstoffkosten" mit einrechnen kann. Wesentliche Voraussetzung hierfür ist aber der günstige Stromeinkauf, welcher eigentlich (aus meiner Sicht zumindest) nur mittels eigener Ladeinfrastruktur auf dem Betriebsgelände realisierbar ist.Bevor also wieder Fördergelder für E-Fahrzeuge gefordert werden, sollten wir lieber eine höhere Förderung bei der Infrastruktur insbesondere bei den Ladestellen auf dem eigenen Beriebsgelände einfordern, denn die Kosten hierfür sind neben der Reichweite der Lkw aktuell der echte Showstopper.

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