Die Hürden für E-Lkw aus dem Weg räumen – „zack, zack und zack“
„Nur von Euro 5 auf Euro 6 umstellen – wie langweilig!“ Sascha Hähnke, Geschäftsführer der Remondis Sustainable Services GmbH, verbindet eine gewisse Hassliebe zur aktuellen Antriebswende. Seit Jahrzehnten im Logistiksektor, skizziert er den Irrsinn des Wandels in Form von enormen Preisschwankungen bei Strom und Wasserstoff, der gekappten KsNI-Förderung und den in seinen Augen völlig falsch reinvestierten CO2-Maut-Mehreinnahmen. Er ist es aber auch, der sagt: „Klimaschutz kennt keinen Wettbewerb und die alternativen Antriebe sind alternativlos“. Für junge angehende Logistiker sei es „eine brutal spannende Zeit, die sie miterleben dürfen“. Die Hürden müssten jetzt eine nach der anderen abgeräumt werden – und das auf der Marathondistanz.
Hähnke trifft bei unserer Online-Konferenz electrive LIVE auch auf Christian Zimmermann von Daimler Truck. Die Kundensicht reibt sich also mit der Herstellerperspektive – sollte man meinen. Tatsächlich sitzen sie bei der Transformation eher nebeneinander in der Achterbahn. „Den neuesten Diesel hätten sie uns nicht zur Kundenerprobung hingestellt. Was ich sagen will: Das Verhältnis zwischen OEMs und Flottenbetreibern ändert sich. Wir werden zu Sparringspartnern“, beschreibt Hähnke dieses Phänomen der Transformation.
„Die Komfortzone verlassen“
Und die Allianz muss noch weiter reichen: Daimler-Mann Zimmermann will auch die Netzbetreiber in der Achterbahn neben sich wissen. „Wir haben eine Vision, der Weg ist klar. Aber wir wissen, dass wir abhängig von weiteren Playern sind. Wir hoffen, im Stromnetz mehr Bewegung zu sehen, mehr Weitsicht und Investitionswille. Wir müssen uns alle auf den Weg machen.“ Auch für Remondis-Manager Hähnke ist das Wichtigste in der aktuellen Situation, dass alle Akteure „ein Verständnis für die gemeinsame Mission bekommen“.
Die aktuelle Lage in Deutschland, das sind etwa 600 bis 700 Zulassungen schwerer E-Lkw in 2023. Das sind sämtliche Hersteller, die in die Vorinvestition gegangen sind, um E-Fahrzeuge zu entwickeln. Das sind viele Logistiker, die durchzurechnen versuchen, ob sich der Umstieg auf alternative Antriebe für sie lohnen könnte. Das geht aus der von electrive-Chefredakteur Peter Schwierz moderierten Show klar hervor. Gleichzeitig hat die Politik regulatorische Leitplanken mit Lenk-Ambitionen geschmiedet – inklusive strengen CO2-Flottenzielen in der EU und einer Maut-Erhöhung für Diesel in Deutschland. Und: Während ein initiales Lkw-Ladenetz vom Bund gefördert wird, sind die Zuschüsse für E-Lkw durch die Haushalts-Turbulenzen der Regierung über Nacht abgeschafft worden. Zum Diskurs über Regulatorik und Ladeinfrastruktur haben wir in einer anderen Speaker-Zusammensetzung hier schon berichtet.
Die beiden Vertreter von Remondis und Daimler Truck blicken bei electrive LIVE zusammen mit Jan Wohlmuther und Luis Obermeier von der Beratungsfirma Accenture eher auf den ersten Teil dieser Auflistung: auf das Ökosystem von E-Lkw. Eine Grundeigenschaft von Ökosystemen ist aber, dass alles mit allem zusammenhängt. In diesem Kontext wird deutlich: Verdaut haben die Sprecher die gekappte KsNI-Förderung noch nicht. „Wir spüren das Förder-Aus natürlich“, schildert Daimler-Vertriebsprofi Zimmermann. „Viele Kunden waren in der Vorbereitung der nächsten Förderrunde. Es war ein herber, abrupter Schlag. Alle rechnen nun neu. Aber das Finanzielle ist nur eine Seite. Viel schlimmer ist die politische Signalwirkung.“ Kunden fragen sich nun wieder, ob die Elektrifizierung das Richtige ist und warum sich die Politik abwendet.
Remondis-Vertreter Hähnke, der für den gesamten Rethmann-Unternehmensverbund 11.000 Lkw nennt, leitet das Reizthema mit den Worten ein, dass er ja schon viel erlebt habe. Aber der Fakt, dass die Mauterhöhung acht Wochen vor ihrer Einführung noch nicht quantifizierbar war, parallel die KsNI-Förderung abgeschafft wurde und nun die Maut-Mehreinnahmen nicht einmal zurück zur Unterstützung des Antriebswandels in die Branche fließen, sondern an die Bahn weitergereicht werden, sind für Hähnke „kein Zustand“. „Wir haben fast eine Maut-Verdoppelung bekommen, nur weil wir Diesel fahren! Die Mehreinnahmen aus der Maut stehen uns einfach zu. Wir fahren sie ein!“
„Ohne Förderung zögern alle“
Hähnke ist in der Branche gut vernetzt. Er geht davon aus, dass ohne die Förderung aktuell die Nachfrage nach E-Lkw verschwindend gering ist. Zurzeit kommen zeitversetzt noch bezuschusste Elektro-Trucks auf den Markt. Bei Remondis geht das noch bis Dezember so. Erst danach wird sich die Delle in der Zulassungsstatistik zeigen. „So ehrlich müssen wir sein: Da warten gerade alle ab. Und HVO ist jetzt das willkommene Mittel zur Überbrückung, solange keiner weiß, wie es mit der Förderung weitergeht.“ Das an öffentlichen Tankstellen erhältliche HVO aus China bezeichnet er dabei unumwunden als Etikettenschwindel. Klimaschutz gleich null.
Für Hähnke ist der Stotterstart der E-Mobilität beim Lkw aber kein Grund zur Resignation: Einige der oben angerissenen Hürden seien schon geschafft, die Ausreden werden weniger: „Die Reichweiten bei BEV werden länger – zack -, Gefahrgüter können inzwischen transportiert werden – zack -, die Preise gehen in die richtige Richtung – zack.“ Woran es gerade am meisten fehlt, ist aus seiner Sicht ein Planungshorizont, um in die Investition gehen zu können. „Zum Beispiel eine Maut-Befreiung von 6 bis 8 Jahren.“ Aktuell sei die TCO angesichts zu vieler Unbekannter kaum kalkulierbar: „Wir fahren nicht mal auf Sicht, wir fahren im Nebel.“ Es könne kein Zustand bleiben, sich von Jahr zu Jahr hangeln zu müssen.
Bei Daimler Truck kondensiert die Verunsicherung der Kunden: „Der Mittelstand, der bei den Bestellungen jetzt nachziehen müsste, wartet auf das nächste Anreizprogramm. Das setzt uns natürlich unter Druck. Wir versuchen, kostenseitig runterzukommen. Und Hebel gibt es auch im Ökosystem, zum Beispiel bei den Stromtarifen“, schildert Zimmermann. Ein Zurück zum Diesel, wie von einigen Parteien im EU-Wahlkampf gefordert – wäre seinen Worten zufolge „eine Katastrophe“ für seinen Arbeitgeber. Insofern erwartet der Stuttgarter Hersteller aus der Politik „klare Statements“.
Hähnke ist für Eigeninitiative: „Ich rate jedem dazu, mal mit dem Depotladen und einem überschaubaren Fuhrpark anzufangen. Es wird zu viel darüber geredet, was noch nicht geht und zu wenig darüber, was schon geht.“ Jeder mit einem Starkstromanschluss in der Werkstatt könne mit einem mobilen Ladegerät sofort einen E-Lkw über Nacht mit 40 kW laden. Eine fixe Ladeinfrastruktur dauert den Experten zufolge dagegen von der Idee bis zum ersten Ladevorgang schon mal ein, zwei Jahre. Logistiker müssten sich in dieser Lage „das ersten Mal richtig mit ihrem Gelände befassen“. Stichwort: Netzanschluss.
Kooperationen können ein Weg sein
Ein weiterer Mutmacher sind Partnerschaften. Hähnke plädiert dafür, sich zu vernetzen und gemeinsam stark zu machen. „Das haben wir auch gemacht, mit Ludwig Meyer Logistik, mit Duvenbeck bin ich kontinuierlich im Gespräch. Wir dürfen nicht müde werden, die OEMs und die Politik zu treiben. Sonst sind wir die Getriebenen.“
Auch Jan Wohlmuther, bei Accenture Head of Charging Infrastructure EU, empfiehlt Logistikern, jetzt nicht zu zögern, sondern den ersten Schritt zu machen. „Gerade kleinere und mittlere Unternehmen müssen dabei aber an die Hand genommen werden.“ In seiner Präsentation zeigte Wohlmuther mit seinem Kollegen Luis Obermeier zuvor, wie Lkw-Bauer durch die eMobility-Ära von ihrem klassischen Kerngeschäft deshalb immer mehr in die Beratung gehen. Neun von zehn Herstellern sind auf diesem Feld bereits aktiv. Wie tief OEMs darüber hinaus in den Ökosystem-Aufbau bei den Kunden gehen, ist im Fluss und entwickelt sich unterschiedlich. Mit Daimler Truck und Scania haben jüngst aber gleich zwei Unternehmen Töchter für den Aufbau von Ladeinfrastruktur in Kundendepots gegründet.
Wohlmuther prognostiziert übrigens, dass Europa beim E-Lkw-Hochlauf bis 2040 zeitlich und mengenmäßig vor Nordamerika und China liegen wird. Wie er darauf kommt? „Der Grund ist die EU-Regulatorik. Das ist ein sehr wirksamer Mechanismus, der die Gravitation zwischen Angebot und Markt erhöht.“ OEMs gerieten unter Druck, ihre E-Lkw-Absätze zu erhöhen und müssten dadurch die Anschaffungspreise attraktiv machen, für Langlebigkeit und Einsatzfähigkeit der Elektro-Trucks sorgen. „Wer dann als Kunde noch immer nicht zugreift, ist gut in Ausreden“, so Wohlmuther. Wenn es sich aber mit Blick auf die TCO lohnt, könnte sich die Kostensensibilität der Logistiker auszahlen: „Die Branche setzt sich aus viel Mittelstand mit niedrigen einstelligen Margen zusammen. Wenn der Umbruch kommt, kann es sehr schnell gehen.“
Großes Fragezeichen hinter Restwert von E-Lkw
Ob die Antriebswende nur mit Batterie-elektrischen Fahrzeugen gelingt, dazu hat Vollblut-Logistiker Hähnke eine klare Meinung: „Es ist ein Märchen, wenn wir glauben, dass 200.000 bis 300.000 E-Lkw nach vier Stunden unterwegs eine freie Ladestation genau dort finden, wo sie diese brauchen.“ Er stelle sich bei den alternativen Antriebstechnologien nicht mal die Frage der Effizienz. „Das spielt keine Rolle, es wird nicht alles per BEV gehen.“ Die Branche wachse langsam aus dem Diesel heraus, aber die „Parallelwelt“ des Infrastruktur-Aufbaus sei noch nicht soweit. „Schauen Sie sich mal die Raststätten um 18 Uhr an und stellen sie sich vor, dass 50 Prozent der Lkw dort laden müssten!“ Hähnke plädiert für viel Depotladen (und im Zweifel dafür die Transportrouten anzupassen) – und ansonsten: Technologieoffenheit. „Wir werden die anderen alternativen Antriebe brauchen, um Zeit zu gewinnen!“ Dabei denkt er nicht nur an Wasserstoff, sondern auch an nachhaltige Kraftstoffe wie BioCNG und HVO aus verlässlichen Quellen.
Ein unterschätztes Thema ist aus Sicht von Hähnke übrigens der Restwert von E-Lkw. „Wir wissen nicht, was die Batterie nach sieben, acht Jahren noch wert ist. Wir wissen so gut wie nichts über den zweiten Vermarktungsweg. Das werden wir lernen müssen. Auch mal leidvoll. Klar ist: Die Finanzwelt muss sich genauso wandeln wie wir.“ Grundsätzlich ist er überzeugt, dass die Antriebswende „richtig Geld kostet“. Nicht nur die Logistiker, sondern alle vom Hersteller bis zum Konsumenten. Transport wird teurer und die Produkte dadurch auch. „Wir müssen aus der Komfortzone heraus. Wer glaubt, mit einem Regierungswechsel kehren wir einfach wieder um, der träumt. Die Klimaziele sind anders nicht zu erreichen.“
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