Neuer VW ID.4 im Test: Warum nicht gleich so?
Bei VW herrscht Chaos. Vor allem bei der Plattform-Strategie sind Änderungen fast schon an der Tagesordnung. Letztlich wirkt sich dies auch auf zukünftige Modelle aus. Stichwort Trinity. Aber auch in der Vergangenheit lief es nicht immer rund. So musste der ID.3 von Anfang an viel Kritik einstecken. VW hat nachgebessert und das Modell auf einen Stand gebracht, den man zum Marktstart erwartet hätte. Beim ID.4, der 2021 auf den ID.3 folgte, hagelte es wesentlich weniger Kritik. Und dennoch gab es von Beginn an für das zweite Modell auf Basis des Modularen E-Antriebs-Baukastens (MEB) Potenzial nach oben. Und so kündigten die Wolfsburger für den Elektro-SUV im Sommer vergangenen Jahres eine Modellpflege an. Ja, es hat es sich deutlich was getan, wie unser Test mit der Allrad-Variante ID.4 Pro 4MOTION zeigt.
Nur ein halbes Facelift
Erst im Jahr 2026 soll der ID.4 ein „richtiges“ Facelift erhalten und in diesem Zuge vermutlich auf den weiterentwickelten MEB+ umgestellt werden. Dann dürfte das Modell sicherlich auch äußerlich eine Frischekur erfahren. Bedeutet im Umkehrschluss, dass bei der jetzigen Modellpflege am Exterieur nichts geändert wurde. So mutet das Gefährt durch seine bullige Front und dem breit gestalteten Heck weiterhin sehr wuchtig an. Die größeren Änderungen betreffen vor allem die inneren Werte – nicht nur beim Antrieb, sondern auch im Innenraum. Beim Einstieg fällt direkt das gewachsene Touch-Display am Armaturenbrett auf, welches nun auf 12,9 Zoll kommt. Zuvor waren es zehn Zoll (optional zwölf Zoll). Und endlich sind auch die Touch-Slider für die Klima- und Lautstärkeregelung unterhalb des Displays beleuchtet.
Bevor die erste eigene Fahrt losgehen konnte, musste erst einmal das Radio leiser gestellt werden, denn offenbar hatte der Überführungsfahrer die Harman-Kardon-Anlage ausgekostet. Aus Gewohnheit versuchte ich an den rechten Touch-Bedienfeldern des Lenkrads die Lautstärke zu ändern. Das war wohl nichts. Denn VW hat das Multifunktionslenkrad neugestaltet, weshalb sich die Anordnung der Bedienfelder geändert hat. Die Lautstärkeregelung befindet sich jetzt im linken unteren Bereich des Lenkrads. Sehr gut. Immerhin löse ich durch die geänderte Bedienung an den Lenkradspangen zumindest bei einer Lautstärkeregelung nicht ungewollt etwas im Infotainment-System aus. Perfekt ist auch das neue Multifunktionslenkrad noch nicht: Es kam im Test immer noch zu Fehlbedienungen, da die Touch-Bedienfelder insgesamt weiterhin mehr schlecht als recht funktionieren.
Gewöhnen werde ich mich wohl auch nicht an das von Volkswagen genannte „Digital Cockpit“, womit das Fahrerinformationsdisplay gemeint ist. Dabei beziehe ich mich vor allem auf die Anmutung. Es wirkt deplatziert und billig, womit es trotz des sonst qualitativ durchaus überzeugenden Gesamteindrucks bei der Verarbeitung Abzüge gibt. Mir fiel jedoch auf, dass irgendwas an dem „Digital Cockpit“ fehlte. Richtig, der Wählhebel für die Fahrstufen wurde vom Fahrerinformationsdisplay gelöst und separat – wie beim ID.7 – als Lenkstockhebel ausgelegt. Aus meiner Sicht ergonomisch die bessere Entscheidung.
Gesteigerte Effizienz trotz höherer Leistung
Viel wichtiger als die Änderung von Bedienfeldern oder Positionierung eines Wählhebels ist die Technik „unter der Haube“ – sowohl beim Antrieb, dem Verbrauch, der Ladeleistung als auch dem Infotainment-System. Widmen wir uns zunächst jedoch vor allem dem Herzstück des Elektro-SUV. Der ID.4 war vom Start weg schon kein Verbrauchsmonster, diesen Stempel durften sich andere E-Autos innerhalb des VW-Konzerns aufdrücken lassen. Mit Blick auf die Konkurrenz – Tesla und BMW lassen grüßen – gab es dennoch Luft für Verbesserung. Und so haben die Wolfsburger nachgelegt und der SUV-Baureihe ID.4 an der Hinterachse den neuen und effizienteren Elektromotor aus dem ID.7 spendiert, der intern als APP550 bezeichnet wird. Es bleibt zwar bei dem bekannten Aufbau mit dem in das Motorgehäuse integrierten Pulswechselrichter, Rotor, Stator, Kühlmantel, Getriebe und Getriebegehäuse. Es wurden jedoch alle Komponenten weiterentwickelt. Um den Fahrbericht nicht endlos lang werden zu lassen, finden Sie die Details zum neuen Motor von meinem Kollegen Sebastian Schaal aufbereitet an dieser Stelle.
Konzentrieren wir uns also auf die neuen Leistungsdaten, denn hier hat sich ebenfalls spürbar was getan. In den heckgetriebenen Modellen ID.4 Pro und ID.5 Pro – ja, auch der ID.5 hat all die hier genannten Updates erhalten – kommt der neue E-Motor nun auf eine Leistung von 210 kW, der somit 60 kW mehr bietet als das Pendant der Vorgänger. Das Drehmoment stieg von 310 auf 545 Nm. Bei der getesteten Allrad-Variante ID.4 Pro 4MOTION kommt ebenfalls der neue APP550 zum Einsatz. An der Vorderachse befindet sich zudem noch ein E-Motor mit einer Leistung von 80 kW. Trotz dessen liegt auch hier die Systemleistung wie beim Pro bei 210 kW.
Zwar mag die gestiegene Systemleistung von 195 kW auf die besagten 210 kW beim Allrad-Modell gering erscheinen, doch allein der Heckmotor für sich genommen wurde um 60 kW stärker. Die Maschine an der Hinterachse wurde also keineswegs gedrosselt, sie leistet bei moderater Fahrweise den Vortrieb allein. Nur wenn mehr Leistung angefordert wird, schaltet sich der Frontmotor dazu – und erhöht das System-Drehmoment auf 679 Nm (vor dem Facelift: 472 Nm). Oder anders ausgedrückt: Der zusätzliche Frontantrieb kommt immer dann ins Spiel, wenn die Situation es verlangt, etwa bei schneller Kurvenfahrt oder auf glattem Untergrund. Schluss ist weiterhin bei 180 km/h, das war bei dieser Variante schon vorher so. Lediglich beim Pro stieg die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h auf nun ebenfalls 180 km/h.
Die adaptive Fahrwerksregelung DCC hat VW übrigens weiter verfeinert und auch der Fahrdynamikmanager wurde optimiert. Da meine Fahrten mit dem Vorgänger allerdings schon etwas her sind, fällt mir ein direkter Vergleich hierzu ehrlicherweise schwer. Für den Nachfolger gilt: Egal ob buckelige Pisten, kurvige Landstraßenfahrten oder schnelle Reisen auf der Autobahn, die Fahrwerksabstimmung im ID.4 kann sich sehen lassen. Entspanntes Reisen ist mit dem E-SUV also möglich und die hervorragende Geräuschdämmung, selbst bei hohen Geschwindigkeiten, kommt noch dazu. Doch auch sportlichere Fahrweisen sind mit dem ID.4 drin und er hält dabei souverän die Spur.
Höhere Effizienz = mehr Reichweite
Bei all den kleinen Updates am Antrieb ist die Batterie mit 77 kWh Netto-Energieinhalt gleich geblieben. Da der neue Antrieb aber etwas effizienter ist, steigt auf dem Papier die Reichweite: Für den ID.4 Pro 4MOTION gibt VW eine WLTP-Reichweite von bis zu 535 Kilometer an, zuvor waren es noch 517 Kilometer. Das Plus an mehr Reichweite von 3,5 Prozent ist also überschaubar. Auf der Straße wird die Fahrweise also einen deutlich größeren Einfluss haben als der kleine Zugewinn bei der Norm-Reichweite.
Unterwegs war ich, so fair muss man sein, vorwiegend unter idealen Bedingungen. Temperaturen von um die 20 Grad, viel Sonne und wenig Wind. Demzufolge bewegten sich die Verbrauchswerte laut dem Bordcomputer bei überwiegenden Autobahnfahrten mit 120 bis 130 km/h zwischen 18,5 und 19,5 kWh/100 km, woraus Reichweiten zwischen 420 bis rund 390 Kilometer resultierten. Als Autobahnreichweite würde ich aber eher in Richtung der 350 Kilometer angeben, wenn die Bedingungen mal nicht ganz so ideal sind. Auf Stadt- und Landstraßen lagen die Verbrauchswerte deutlich darunter (zwischen 15,5 und 17,5 kWh/100 km), womit Reichweiten um die 450 Kilometer möglich waren. Da Verbrauchswerte sehr individuell sind, kann ich hier freilich nur von meinen Erfahrungen sprechen. In der Praxis konnte ich aber feststellen, dass sich der neue Allradler auf dem Niveau des alten ID.4 mit Hinterradantrieb bewegen lässt. Das Plus von 3,5 Prozent mag nicht nach viel klingen, sie sind dennoch mess- und spürbar. Wenn die Fahrweise stimmt.
Kürzere Ladezeit am Schnelllader
Mess- und spürbar war auch die deutlich gesteigerte DC-Ladeleistung der 77 kWh großen Batterie. Zum Marktstart konnte die Allrad-Variante nur mit bis zu 135 kW in der Spitze geladen werden. Die Ladezeit von zehn auf 80 Prozent lag bei rund 35 Minuten. Mittlerweile wurde die maximal mögliche Ladeleistung laut dem technischen Datenblatt auf 175 kW angehoben – übrigens auch für die überarbeitete Pro-Variante. Der gleiche Ladevorgang soll aufgrund der höheren Ladeleistung nun innerhalb von 28 Minuten abgeschlossen sein. Das sind sieben Minuten schneller als zuvor.
Die Ladekurve zeigt, dass VW über einen sehr langen Zeitraum sogar bis zu 185 kW zugelassen hat. Das Plateau konnte bis etwa zu einem State of Charge (SoC) von 37 Prozent gehalten werden, ehe die Leistung deutlich abnahm. Binnen acht Minuten wurde die Batterie von zehn auf 40 Prozent geladen, 13 Minuten benötigte der Ladevorgang auf 50 Prozent. Nach 32 Minuten war der SoC von 80 Prozent erreicht und damit vier Minuten länger als die Angaben auf dem technischen Datenblatt.
Die drei bis vier Minuten länger dürften im Alltag kaum ins Gewicht fallen. Zur Wahrheit gehört auch, dass ich vor der Aufzeichnung lange mit hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn unterwegs war, das Fahrzeug während des Ladevorgangs in der Sonne stand und die über 30 Grad für den ID.4 offenbar herausfordernd waren. Dennoch hätte ich unter den Bedingungen eine Ladezeit von 30 Minuten erwartet. Und dann wären da noch u.a. die Südkoreaner, die mit einer deutlich besseren Ladezeit, wenn auch auf 800-Volt-Basis, mit unter 20 Minuten im Idealfall glänzen können.
Im Lademenü zeigt der ID.4 mittlerweile die zum aktuellen Zeitpunkt maximal mögliche Ladeleistung an. Auch, wie lange das System zum Vorkonditionieren (heizen als auch kühlen) der Batterie benötigt, um die mit dem jeweiligen State of Charge maximal mögliche Ladeleistung bereitstellen zu können. In der Regel übernimmt das System dies bei aktivierter Routenplanung automatisch. Bei Bedarf kann aber auch der Fahrer manuell die Vorkonditionierung starten. In der Praxis funktionierten beide Optionen wirklich gut. Ein Pluspunkt an dieser Stelle. Zuverlässig war auch die automatische Ladestopp-Planung entlang meiner Routen – wenn auch nicht perfekt. Häufig waren es die menschlichen Bedürfnisse, die Abweichungen der von VW geplanten Stopps erforderten.
Upgrade beim Infotainment-System
Wo wir gerade beim Infotainment-System sind. Von dem deutlich größeren Touch-Display sprach ich bereits. Verschwiegen habe ich bislang, dass das neue System, welches mit der Software-Version 4.0 ausgeliefert wird, deutlich schneller arbeitet. Insgesamt läuft die Bedienung wesentlich flüssiger als vorher. Darüber hinaus hat VW auch an der Menüstruktur gearbeitet. Die Leiste am oberen Bildschirmrand verfügt über einen Menü-Button, über den schneller auf die Apps zugegriffen werden kann. Daneben angeordnet ist ein Button für das neue „Car Control Center“, das den direkten Zugriff auf die wichtigsten Fahrzeugfunktionen bietet – sie können vom Fahrer übrigens individuell konfiguriert werden. Das Hauptmenü und das „Car Control Center“ sind jederzeit sicht- und damit sofort aufrufbar, ohne die aktive App beenden zu müssen. Besonders vorteilhaft zeigte sich dies, um den Hinweis bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung für die jeweilige Fahrt deaktivieren zu können. Mit der neuen Anordnung kann dieser mit nur drei Schritten ausgeschaltet werden. Natürlich soll man sich an Höchstgeschwindigkeiten halten, versteht sich von selbst. Bei gelegentlich falsch oder gar nicht erkannten Geschwindigkeitsbegrenzungen, was bei kaum einem Hersteller einwandfrei funktioniert, kann der Hinweis jedoch schnell nervig werden. Eine zweite Touch-Leiste befindet sich im Display zudem am unteren Rand, über die der direkte Zugriff auf Klima- und Belüftungsfunktionen dauerhaft möglich ist.
Angetan war ich nicht nur von der vereinfachten Bedienung, sondern auch von den Assistenzsystemen. Die sind weiterhin auf einem sehr hohen Niveau und müssen sich keineswegs verstecken. Auf jeden Assistenten einzugehen, würde den Rahmen sprengen. Zumal mit der Modellpflege keine Innovation Einzug hielt. Vor allem die adaptive Rekuperation zeigte sich bei all den Fahrten als kaum mehr wegzudenkenden Helfer. Auf freier Bahn segelte der ID.4 so lang es möglich war, bei Einfahrten in Ortschaften, vor Kreiseln oder auch Kurven fand eine sehr sanfte Verzögerung statt. Ein Hinweis sei jedoch auf den Konfigurator gestattet. In der Basis gibt es nur sehr wenige Assistenten wie eine Einparkhilfe (Warnsignale), automatische Distanzregelung oder auch dem Spurhalteassistent „Lane Assist“. Ich würde jedoch mindestens den Kauf des normalen Assistenzpakets für 1.350 Euro empfehlen, bei dem u. a. eine Rückfahrkamera oder auch der Parkassistent dabei sind. Den vollen Komfort gibt es dann mit dem größten Assistenzpaket für 3.120 Euro.
Fazit
Und da wären wir auch schon beim Preis. In der Basisausstattung kostet der ID.4 Pro 4MOTION mit Infotainment-System derzeit 51.320 Euro. Bis Ende September gibt Volkswagen noch einen Bonus, womit der Einstiegspreis auf 47.750 Euro sinkt. Mit etwas Ausstattung liegt dieser aber schnell wieder bei deutlich über 50.000 Euro (Bonus inklusive). Ein Model Y mit Allradantrieb und vergleichbarer Reichweite liegt derzeit bei 54.990 Euro. Wer den „Enhanced Autopilot“ haben möchte, zahlt aber 3.800 Euro extra. Der BMW iX2 hat mit 64,8 kWh eine deutlich kleinere Batterie und somit weniger Reichweite. Die „vergleichbare Variante“ des E-SUV beginnt bei 57.000 Euro. Nur, um einmal zwei Wettbewerber aufzuführen.
Die Wahl für den ID.4 dürfte am Ende aber von mehr Faktoren als dem reinen Listenpreis abhängen. Und sollte es ein ID.4 werden, muss eine Entscheidung zwischen den Motorisierungen her. Ein Punkt könnte sicherlich die Anhängelast sein, die beim ID.4 Pro 4MOTION immerhin 1.400 Kilogramm (gebremst, 750 Kilogramm ungebremst) beträgt. Beim Pro sind es 1.200 Kilogramm (gebremst, 750 Kilogramm ungebremst). Wer also weder den Allradantrieb noch die volle Anhängelast benötigt, sollte auf den ID.4 Pro zurückgreifen. Dieser ist derzeit inklusive Bonus und Infotainment-Paket bereits ab 42.765 Euro erhältlich.
Zum Schluss kann gesagt werden, dass Volkswagen dem ID.4 ein gutes, aber auch notwendiges Update spendiert hat. Das Elektro-SUV fährt sich komfortabel, bringt viel Platz mit und muss sich aus technischer Sicht nicht vor der Konkurrenz verstecken. Aber: Auch wenn VW ein gutes Gesamtpaket liefert, gibt es die erwähnten Optimierungspotenziale.
44 Kommentare