xpeng g9 fahrbericht sebastian schaal 2024 05
Bild: Sebastian Schaal
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Xpeng G9 im Test: Xpeng hat das, was VW sucht

Im Rahmen der China-Kooperation von Volkswagen und Xpeng wird der deutsche Hersteller auch die Plattform des Xpeng G9 nutzen. Wir haben das Elektro-SUV des chinesischen Herstellers unter die Lupe genommen – und zahlreiche Punkte gefunden, die auch europäische Kunden überzeugen könnten.

Dass sich große Konzerne immer wieder am Knowhow von Startups bedienen, ist keine Seltenheit – entweder über Projekt-Partnerschaften, Beteiligungen an Finanzierungsrunden oder das Startup wird gleich komplett übernommen. Meistens handelt es sich dabei aber um junge, hochspezialisierte Unternehmen und nicht um direkte Wettbewerber, die um dieselbe Kundschaft buhlen.

VW und Xpeng konkurrieren aber um eine deckungsgleiche Zielgruppe: chinesische Elektroauto-Käufer. Umso mehr hat überrascht, dass im Rahmen der 2023 geschlossenen KooperationVW mit Xpeng bis 2026 zwei neue Elektromodelle für China im oberen B-Segment entwickeln will. Genutzt werden soll dafür unter anderem die G9-Plattform von Xpeng.

Bei jenem G9 handelt es sich um ein 4,89 Meter langes Elektro-SUV, das Xpeng inzwischen auch in Deutschland anbietet. In der oberen Mittelklasse bietet das Modell eine 98 kWh große Batterie für bis zu 570 Kilometer WLTP-Reichweite und 800-Volt-Technik für schnelles Laden. Mit der Long-Range-Batterie unseres Testwagens ist der G9 ab 61.600 Euro erhältlich. Mit einer 78-kWh-Batterie mit LFP-Zellen ist das SUV bereits ab 57.600 Euro zu haben. Zum Vergleich: In dieser Preisregion bewegt sich bei Volkswagen der deutlich kleinere ID.4 GTX – mit 77-kWh-Akku als größtmöglicher Batterie.

Der große Unterschied: Während ein ID.4 selbst als GTX im Innenraum solide, aber wenig aufregende VW-Standardware bietet (und vermutlich kaum für einen „Wow-Effekt“ sorgt), ist das beim Xpeng anders. Drei große Bildschirme ziehen die Blicke auf sich, die in das Armaturenbrett integrierten Hochtöner des Soundsystems fahren beim Fahrzeugstart leise aus (was man etwa von teuren Audi-Modellen kennt) und auch die Sitze sind ausgesprochen bequem und komfortabel. Auch wenn unser Testwagen einen sehr schlichten, schwarzen Innenraum hat: Der erste Eindruck passt.

Bei electrive geht es aber nicht um eine Design-Kritik, sondern den elektrischen Antrieb. Aber auch der weiß zu überzeugen. Sowohl im „Standard Range“-Modell mit der 78-kWh-Batterie als auch im „Long Range“ unseres Testwagens ist ein 230 kW starker Heckmotor verbaut. Die 430 Nm Drehmoment sorgen auf Wunsch für eine ordentliche Beschleunigung (6,4 Sekunden auf 100 km/h), in der Spitze sind 200 km/h drin. Was diese Basis-Werte aber nicht aussagen, ist, wie fein abgestimmt der Antrieb ist. Die drei Fahrmodi Eco, Comfort und Sport unterscheiden sich beim Ansprechverhalten deutlich von eher sanften, aber präzisen Reaktionen auf das Fahrpedal bis hin zu einem unmittelbaren, aber immer noch gut dosierbaren Verhalten. Zum Allradantrieb des 405 kW starken Performance-Modells können wir keine Aussage treffen.

Verbrauch bleibt im Rahmen, große Batterie sorgt für hohe Reichweite

Auch beim Verbrauch gibt es keine negativen Überraschungen: Im Test-Schnitt haben wir den G9 mit 18,9 kWh/100km bewegt, trotz hoher Autobahn-Anteile. Dort sind je nach Reisetempo natürlich auch Verbräuche jenseits der 20 kWh/100km drin. Andererseits war es auch möglich, in der Stadt und über Landstraßen 15,4 kWh/100km im Bordcomputer zu erreichen – was bei einem nutzbaren Netto-Energiegehalt von 93,1 kWh eine rechnerische Reichweite von mehr als 600 Kilometern ergibt. Mit unserem Testverbrauch sind es immer noch üppige 493 Kilometer. Und auf der Autobahn sollten es im Sommer auf jeden Fall zwischen 375 und 400 Kilometern sein.

Für ein E-SUV dieser Preisklasse bewegt sich der G9 damit insgesamt in einem guten Bereich. Der Verbrauch setzt keine Maßstäbe, ist für ein Fahrzeug dieser Größe jedoch mehr als in Ordnung. Der Xpeng kann dann von seiner großen Batterie profitieren und so eine üppige Real-Reichweite bieten.

Maßstäbe setzt er für seine Preisklasse in einem anderen Bereich. Beim Schnellladen spielt der G9 ganz vorne mit. Obwohl Xpeng „nur“ 300 Kilowatt maximale Ladeleistung angibt, haben wir sogar 320 kW in der Spitze gesehen. Dieses Niveau kann der G9 zwar nicht lange halten, danach geht es aber eine Weile mit 270 kW weiter. In unserem Lade-Test bei hohen Außentemperaturen hat sich der Xpeng dabeu etwas verausgabt, ab ungefähr 40 Prozent Ladestand ist die Ladeleistung in einem Hyundai Ioniq 5 (noch mit der 77,4-kWh-Batterie, nicht mit dem neuen 84-kWh-Akku) oder dem Kia EV9 mit vergleichbar großer 98-kWh-Batterie etwas höher. Allerdings könnte bei unserem Test die Hitze eine Rolle gespielt haben, denn im Bereich von 75 bis 80 Prozent stieg die Ladeleistung wieder. Der gleich große, aber ungleich teurere Mercedes EQE SUV ist dem Xpeng an der DC-Säule in allen Belangen unterlegen. Das muss so deutlich gesagt werden.

Zudem gibt es – anders als etwa bei einem Tesla Model Y – nicht „die eine“ Ladekurve. Schließt man den G9 mit optimal vorkonditionierter Batterie mit einem höheren Ladestand an, ist mitunter eine höhere Ladeleistung möglich, weil die Batterie von dem 300-kW-Laden noch nicht zu heiß ist. Als wir in unserem Test mit einer halb vollen Batterie an einen EnBW-Hypercharger gefahren sind, flossen auf Anhieb über 200 kW in den Akku – dieses Niveau wurde noch eine Weile gehalten. Nach einer kurzen Frühstückspause und zwei Mails, was rund 20 Minuten gedauert hat, war der Akku komplett voll. Eine Empfehlung der Redaktion: Schmieren Sie sich zu Hause eine Stulle, weil für eine große Essenspause bleibt bei diesen Ladeleistungen keine Zeit. Dazu bietet sich das große Ablagefach in der Mittelkonsole an, da dieses gekühlt werden kann. Das AC-Laden dauert hingegen länger, weil es nur einen 11-kW-Lader gibt. Selbst gegen Aufpreis ist kein 22-kW-Bordlader erhältlich, was bei dieser Akku-Größe und den vielerorts üblichen Blockiergebühren nach vier Stunden Ladezeit das öffentliche AC-Laden eher unattraktiv macht.

Kurzum: Xpeng liefert ein 800-Volt-System mit extrem guter Schnelllade-Perfomance und hoher Real-Reichweite in einer Preisklasse, in der VW nur ein deutlich kleineres SUV mit geringerer Reichweite anbieten kann (auch wenn der neue Elektromotor im ID.4 durchaus effizient ist, wie der Fahrbericht von Daniel Bönnighausen zeigt). Man kann also sagen: Der Xpeng bietet das, was VW sucht. Und würde der G9 noch mit all den Skaleneffekten des VW-Konzerns gebaut, wäre vermutlich auch beim Preis noch etwas möglich.

Allerdings muss man auch sagen: An anderer Stelle hat VW das, was Xpeng braucht. So konnten etwa die Assistenzsysteme in unserem Test weniger überzeugen. Deren Grund-Funktionalität ist gut, wenn auch nicht ganz so fein abgestimmt wie bei so manch anderem Fahrzeug 2024. Ein Beispiel, wo es noch Luft nach oben gibt: Wenn man auf der Autobahn mit Tempomat (und gleichzeitig aktivierter Abstandsregelung) fährt, überholt wird und dieses Auto die Spur wechselt, um sich vor dem Xpeng einzufädeln, bremst der G9 kurz ab – obwohl das andere Auto schneller fährt und sich entfernt. Das sorgt, gerade auf gut gefüllten Autobahnen immer wieder für unnötige und nervige Verzögerungen. Ich gebe zu: Nach einer gewissen Zeit bin ich lieber manuell ohne Tempomat gefahren.

Ein weiterer Kritikpunkt ist vermutlich nur in Deutschland relevant: Der Tempomat arbeitet nur bis 130 km/h. Das wäre noch verschmerzbar, doch die Art und Weise, wie sich das System bei Tempo 130 deaktiviert, ist es eher nicht: Ein Piepsen und ein (rotes) Blinken, dass der Fahrer nun wieder die alleinige Kontrolle hat, wären ausreichend. Stattdessen aktiviert der G9 auch den Gurtstraffer und ruckelt dort mehrere Male – es fühlt sich zunächst nach einem großen Problem oder einer anstehenden Notbremsung an. Ja, es ist gut und wichtig, klar zu kommunizieren, wann das Auto noch in das Fahrsystem eingreift und wann nicht. Den Gurtstraffer auf der Autobahn zu aktivieren ist (für deutsche Verhältnisse) jedoch reichlich übertrieben.

Rund um den Tempomat ist ein kleines, nicht ganz durchdachtes Detail aufgefallen. Das System wird wie bei Tesla aktiviert: Wird der Lenkstockhebel für die Gangwahl während der Fahrt einmal nach unten gedrückt, aktiviert sich der Tempomat, bei zwei Mal die Spurhalte-Funktion. Wie bei Tesla ist der Lenkstockhebel rechts vom Lenkrad. Die Geschwindigkeit wählt man bei dem G9 aber mit dem Drehrad auf der linken Lenkradseite – rechts ist die Audio-Steuerung. Das ist bei Tesla intuitiver: Der rechte Lenkstockhebel und auch das rechte Drehrad sind dort für die Fahrassistenz zuständig. Das passt besser zusammen.

Hoher Fahrkomfort, niedriges Geräuschniveau

Dass Tempolimits nicht zuverlässig genug erkannt werden, ist derzeit leider noch Branchen-Standard. Hier gibt es nur wenige Fahrzeuge, die sich positiv abheben. Der Xpeng ordnet sich gefühlt eher im Durchschnitt ein. Das Gepiepe bei einer Überschreitung des (angeblichen) Tempolimits kann über ein Schnellwahl-Menü deaktiviert werden, es ist aber der Weg über den Touchscreen nötig. Die Ausstattung und Anzahl an Assistenten, die der G9 mitbringt, ist beeindruckend, einiges davon funktioniert auch gut – vieles aber nicht perfekt. Wie praktisch, dass Partner VW mit seinem „Travel Assist mit Schwarmdaten“ ein sehr gutes System entwickelt hat. Womöglich kann auch Xpeng von der VW-Technik profitieren.

Hat man sich mit den Assistenten abgefunden oder sie deaktiviert, ist der G9 ein komfortables und sauber abgestimmtes Auto. Die Federung ist eher weich abgestimmt, auf der Autobahn ist der Xpeng ein sehr angenehmes Langstreckenauto – dazu trägt auch die gute Dämmung bei, es ist im Innenraum verhältnismäßig leise. In Kurven kommen natürlich die eher komfort-betonte Abstimmung und das Leergewicht von 2,4 Tonnen zum Tragen, auch im Sport-Modus wird der G9 kein agiler Sportflitzer. Und nicht nur das Geräuschniveau und das gediegene Fahrwerk, sondern auch die Materialien innen und die Verarbeitung rücken den G9 näher an die Premiumhersteller als an die Volumenmarken.

Denn Platz gibt es reichlich: Mit meinen 1,85 Metern geht es vorne wie hinten sehr luftig zu, vermutlich könnten auch zwei Personen mit 1,95 Metern sehr bequem hintereinander sitzen – bei zwei Metern oder mehr könnte es gerade im Fond doch etwas knapper werden. In einem ähnlich langen Mercedes EQE SUV geht es auf allen fünf Sitzplätzen deutlich beengter zu.

Zudem bietet der Xpeng einige praktische Ablagen – das Fach unter der frei schwebenden Mittelkonsole zähle ich hier nicht dazu, da es während der Fahrt kaum erreichbar ist. Die kühlbare Ablage in der Mittelkonsole, zwei induktive Lade-Pads für Smartphones (wenn auch das Material etwas anfällig für kleine Kratzer wirkte und nach einigen Jahren womöglich nicht mehr gut aussieht) und die Ablagen in den Türen haben kaum Wünsche offen gelassen. Neben einem üppigen Kofferraum mit 660 Litern gibt es darunter noch eine weitere Ablage und auch einen 71 Liter großen Frunk unter der Fronthaube. Wenn das immer noch nicht ausreicht: Alle Antriebsvarianten dürfen (gebremste) Anhänger bis 1.500 Kilogramm ziehen.

Bei der Software und Bedienung blieb nach zwei Wochen im Test ein überwiegend positiver Eindruck. In der Mitte und vor dem Beifahrer befinden sich zwei jeweils 15 Zoll große Touchscreens – jener des Beifahrers ist übrigens so verspiegelt, dass der Fahrer von seinem Platz aus keine Inhalte sehen kann. Der Beifahrer kann also zum Beispiel einen Film schauen (es gibt auch die Möglichkeit, Bluetooth-Kopfhörer zu verbinden) oder über seinen Bildschirm bequem das Navi-Ziel ändern, einen passenden Ladestopp suchen oder schlichtweg die gewünschte Playlist wählen. Die ein oder andere Spielerei hat Xpeng auch integriert: Auf dem Beifahrer-Display gibt es eine Beauty-App, mit der die Lichtfarbe der LED rund um den Schminkspiegel in der Sonnenblende angepasst werden kann.

Aber auch in die relevanten Funktionen wurde Zeit gesteckt, die Menüstruktur ist logisch aufgebaut – man muss sich anfangs nur daran gewöhnen, welche Funktionen tatsächlich über das Menü an der linken Seite und welche über die Schnellwahl-Übersicht (einmal nach unten wischen) aufgerufen werden. Für die ein oder andere Funktion (etwa rund um die Scheinwerfer) wäre vielleicht noch eine Taste sinnvoll, aber in der Summe der Funktionen hat Xpeng das mit seiner Bedienoberfläche gut gelöst. Zügig und ruckelfrei läuft das System ohnehin. Das gesamte Fahrzeug und Infotainment kann mit Over-the-Air-Updates aktuell gehalten werden – so soll etwa auch noch die derzeit nicht verfügbare Integration von Apple Carplay und Android Auto folgen.

Fazit

Der Xpeng G9 bietet eine sehr gute technische Basis, um auch in Europa erfolgreich zu sein – selbst Details wie der versteckte Heckscheibenwischer sind gut gelöst. Der Antrieb ist zeitgemäß, beim Schnellladen können nur deutlich teurere Modelle wie ein Porsche Taycan mithalten. Bei den Assistenzsystemen gibt es noch etwas Feinabstimmung zu erledigen, das kann aber per Software-Update erfolgen. Insgesamt bietet der G9 viele Features teurerer Premiummodelle, preislich ist er aber nahe dem Volumensegment angesiedelt.

Beim Fahrzeug hat Xpeng also gut vorgelegt. Für den Markterfolg werden aber auch Faktoren wie Vertrieb und Service entscheidend sein. Immerhin traut der Hersteller – trotz der hohen Ladeleistung – seiner Batterie einiges zu: Es gibt acht Jahre Garantie auf die Hochvoltbatterie, auf das Fahrzeug sind es sieben Jahre oder 160.000 Kilometer.

1 Kommentar

zu „Xpeng G9 im Test: Xpeng hat das, was VW sucht“
Holger
25.08.2024 um 13:01
ich war schon bei ein paar yt videos etwas mistrausch. Bei 320 kW bei 5% SoC bin ich mal auf die Batteriegesundheit nsch 150k km gespannt, wenn leute 80 oder 90% schnellladen. Hab da noch zweifel...

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