Will Autobranche an CO2-Grenzwerten der EU rütteln?

Unruhe in der europäischen Autoindustrie: In einem in der Branche kursierenden Lobbydokument wird gewarnt, dass die CO2-Grenzwerte der EU Millionen Jobs kosten könnten. Gefordert wird in dem Papier deshalb, die für 2025 fixierte Verschärfung der Regeln um zwei Jahre zu verschieben. Die Haltung der Regierung dazu ist eindeutig.

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Weder Absender noch Adressat des Dokuments sind bisher bekannt. Es soll sich aber um ein authentisches, internes Papier handeln, das der Nachrichtenagentur DPA vorliegt. Inhaltlich geht es um die derzeit angespannte Lage in der Autoindustrie, vor deren Hintergrund die beschlossene Verschärfung der CO2-Flottengrenzwerte die Hersteller in der EU in schwere Not bringen könnte. Gewarnt wird vor einem Schreckensszenario mit millionenfachem Jobverlust. Damit es nicht so weit kommt, wird vorgeschlagen, einen Notfallartikel zu nutzen, der schon bei Corona zum Einsatz kam. Die EU-Kommission könnte so die Einführung schärferer Vorgaben um zwei Jahre verschieben.

Denn: Die aktuelle Marktlage mit der geschwächten E-Auto-Nachfrage taugt den Verfassern des Schreibens zufolge nicht als Fundament. Die Industrie sei nicht in der Lage, eine bevorstehende Verschärfung von EU-Klimavorgaben einzuhalten, heißt es in dem Schreiben. „Folglich wird die EU-Industrie mit Strafzahlungen in Milliardenhöhe konfrontiert.“ Wer Strafen entgehen wolle, habe „kaum eine andere Wahl, als die Produktion erheblich zu drosseln, was Millionen von Arbeitsplätzen in der EU bedroht“.

Hintergrund ist, dass die EU-Staaten und das Europaparlament 2022 eine politische Einigung über strengere CO2-Emissionsnormen für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge erzielt und damit das Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 besiegelt hatten. Die Verschärfung der Normen erfolgt in drei Stufen – 2025, 2030 und 2035. Im Jahr 2026 soll die Entscheidung überprüft werden können. 

Das Grund-Konstrukt der Flottengrenzwerte gestaltet sich dabei wie folgt: Hersteller können weiterhin Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auf den Markt bringen, müssen jedoch bei Überschreitung ihres Emissionsziels in einem bestimmten Jahr eine Prämie von 95 Euro pro Gramm CO2/km über dem Ziel pro zugelassenem Fahrzeug zahlen. Klar ist: Erreichen lassen sich die strengeren Grenzwerte für die Autobauer nur mit mehr Elektroautos, die den Schnitt drücken.

Laut „Spiegel“ ist das interne Schreiben dem europäischen Automobilverband ACEA bekannt. Es sei aber kein offizielles Papier des Lobbyverbands. Gut möglich ist, dass es einen kontextuellen Zusammenhang mit der Unruhe bei Volkswagen gibt. Das würde jedenfalls den Zeitpunkt der internen Veröffentlichung erklären. Zu den Befürworter der in dem Schreiben geforderten Verschiebung der Flottengrenzwerte gehört mit Hans Dieter Pötsch dann auch ein Volkswagen-Mann – konkret der VW-Aufsichtsratschef. „Wir wissen heute, dass die Nachfrage nach Elektroautos in Europa weit hinter den Erwartungen zurückbleibt“, sagte Pötsch laut Süddeutscher Zeitung jüngst auf den Wiener Elektrotagen. „Die Elektromobilität wird sich durchsetzen, aber es wird mehr Zeit brauchen. Deshalb müssen die CO2-Ziele für 2025, 2030 und 2035 adjustiert und an die Realität angepasst werden.“

Die Bundesregierung hat dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ zufolge bereits auf die Forderung reagiert. Sie lehnt die Forderung nach Erleichterungen bei den Normen ab. Bei den vergangenen Zielwertstufen hätten die Hersteller ihre Erfüllungslücke erst jeweils im Zieljahr geschlossen und nicht vorzeitig, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums der „Welt am Sonntag“. Das sei den allermeisten Herstellern weitestgehend gelungen, obwohl die Lücken in der Vergangenheit teils größer gewesen seien als jetzt. Und weiter: „Wir vertrauen darauf, dass die deutsche Automobilindustrie auch dieses Mal ihre Verlässlichkeit und technologische Kompetenz unter Beweis stellt und die Zielwerte erreichen wird.“

Auch die Umweltorganisation Transport & Environment bezeichnet die in dem internen Papier geäußerten Forderungen als „absurd“. Die Autohersteller hätten genügend Zeit gehabt, sich auf das seit 2019 bekannte CO2-Ziel vorzubereiten.

Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat sich nochmals zu den beschlossenen Flottengrenzwerten positioniert. Der Verband spricht sich dafür aus, den von der EU-Kommission erst für 2026 geplanten Review für die Flottenregulierung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf 2025 vorzuziehen. Auch bei der Flottenregulierung für schwere Nutzfahrzeuge solle das hier für 2027 vorgesehene Review um ein Jahr auf 2026 vorgezogen werden, heißt es. VDA-Präsidentin Hildegard Müller kommentiert: „Die Politik kann CO2-Reduktionsziele setzen – entscheidend sind neben den erheblichen Anstrengungen, die die Automobilindustrie leistet, aber die zur Erreichung der Ziele notwendigen Rahmenbedingungen.“ Sie konstatiert, dass die Schere zwischen ambitionierten Zielsetzungen in der Flottenregulierung und unterstützenden Rahmenbedingungen weiter auseinander gehe. „Darauf haben wir immer wieder hingewiesen und entsprechendes Gegensteuern gefordert.“

spiegel.de, sueddeutsche.de, rnd.de, transportenvironment.org, vda.de

4 Kommentare

zu „Will Autobranche an CO2-Grenzwerten der EU rütteln?“
ID.alist
16.09.2024 um 11:01
Wenn man die Ziele nach hinten verschiebt werden diese einfach später verfehlt. Das ist das schöne an klare Ziele, man weiß was man zu tun hat.
Holger Schever
16.09.2024 um 11:18
Hier nochmal nach Korrektur, mir war nicht klar, dass man nicht nachträglich editieren kann:War ja klar, dass das kommt. wenn die Automobilindustrie genauso viel Mühe auf den Hochlauf der emobility verwenden würde, wie die Sicherung der Dividenden und Boni, müssten wir darüber nicht reden. Dann säßen sie nämlich bei CDU und FDP auf dem Schoss, um deren Sabotage zu stoppen und in jeder Talkshow und bei jedem youtuber, um das emobility Bashing zu stoppen sowie den drohenden Nokia Effekt zu erklären.Dann hätten wir heute schon den ID2 und einen ID Golf sowie Audi A3 etron mit je 800V Systemen.
NoBi
16.09.2024 um 14:26
Wieviel Milliarden warn das an Strafzahlungen beim Diesel-Skandal? Da ging es ja auch nur um Umwelt und Gesundheit der Menschen ! Diese Milliarden fehlen halt jetzt. Selber Schuld !
TeaJay
16.09.2024 um 16:16
Ist ja nicht so, dass das Reduktionsziel seit vielen Jahren bekannt war und man darauf hätte hinarbeiten können. VW zahlte im Juni noch 4,5 Mrd € Dividenden aus und jetzt soll am einfachen Arbeiter gespart werden. Wo ist der Beitrag der Aktionäre? Das tote Pferd Verbrenner weiter zu reiten hilft auch nur noch begrenzte Zeit. Bis in 2 Jahren haben dann diverse chinesische Hersteller ihr Fabriken in Europa fertig und überrollen dann den Markt.

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