Will Autobranche an CO2-Grenzwerten der EU rütteln?
Weder Absender noch Adressat des Dokuments sind bisher bekannt. Es soll sich aber um ein authentisches, internes Papier handeln, das der Nachrichtenagentur DPA vorliegt. Inhaltlich geht es um die derzeit angespannte Lage in der Autoindustrie, vor deren Hintergrund die beschlossene Verschärfung der CO2-Flottengrenzwerte die Hersteller in der EU in schwere Not bringen könnte. Gewarnt wird vor einem Schreckensszenario mit millionenfachem Jobverlust. Damit es nicht so weit kommt, wird vorgeschlagen, einen Notfallartikel zu nutzen, der schon bei Corona zum Einsatz kam. Die EU-Kommission könnte so die Einführung schärferer Vorgaben um zwei Jahre verschieben.
Denn: Die aktuelle Marktlage mit der geschwächten E-Auto-Nachfrage taugt den Verfassern des Schreibens zufolge nicht als Fundament. Die Industrie sei nicht in der Lage, eine bevorstehende Verschärfung von EU-Klimavorgaben einzuhalten, heißt es in dem Schreiben. „Folglich wird die EU-Industrie mit Strafzahlungen in Milliardenhöhe konfrontiert.“ Wer Strafen entgehen wolle, habe „kaum eine andere Wahl, als die Produktion erheblich zu drosseln, was Millionen von Arbeitsplätzen in der EU bedroht“.
Hintergrund ist, dass die EU-Staaten und das Europaparlament 2022 eine politische Einigung über strengere CO2-Emissionsnormen für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge erzielt und damit das Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 besiegelt hatten. Die Verschärfung der Normen erfolgt in drei Stufen – 2025, 2030 und 2035. Im Jahr 2026 soll die Entscheidung überprüft werden können.
Das Grund-Konstrukt der Flottengrenzwerte gestaltet sich dabei wie folgt: Hersteller können weiterhin Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auf den Markt bringen, müssen jedoch bei Überschreitung ihres Emissionsziels in einem bestimmten Jahr eine Prämie von 95 Euro pro Gramm CO2/km über dem Ziel pro zugelassenem Fahrzeug zahlen. Klar ist: Erreichen lassen sich die strengeren Grenzwerte für die Autobauer nur mit mehr Elektroautos, die den Schnitt drücken.
Laut „Spiegel“ ist das interne Schreiben dem europäischen Automobilverband ACEA bekannt. Es sei aber kein offizielles Papier des Lobbyverbands. Gut möglich ist, dass es einen kontextuellen Zusammenhang mit der Unruhe bei Volkswagen gibt. Das würde jedenfalls den Zeitpunkt der internen Veröffentlichung erklären. Zu den Befürworter der in dem Schreiben geforderten Verschiebung der Flottengrenzwerte gehört mit Hans Dieter Pötsch dann auch ein Volkswagen-Mann – konkret der VW-Aufsichtsratschef. „Wir wissen heute, dass die Nachfrage nach Elektroautos in Europa weit hinter den Erwartungen zurückbleibt“, sagte Pötsch laut Süddeutscher Zeitung jüngst auf den Wiener Elektrotagen. „Die Elektromobilität wird sich durchsetzen, aber es wird mehr Zeit brauchen. Deshalb müssen die CO2-Ziele für 2025, 2030 und 2035 adjustiert und an die Realität angepasst werden.“
Die Bundesregierung hat dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ zufolge bereits auf die Forderung reagiert. Sie lehnt die Forderung nach Erleichterungen bei den Normen ab. Bei den vergangenen Zielwertstufen hätten die Hersteller ihre Erfüllungslücke erst jeweils im Zieljahr geschlossen und nicht vorzeitig, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums der „Welt am Sonntag“. Das sei den allermeisten Herstellern weitestgehend gelungen, obwohl die Lücken in der Vergangenheit teils größer gewesen seien als jetzt. Und weiter: „Wir vertrauen darauf, dass die deutsche Automobilindustrie auch dieses Mal ihre Verlässlichkeit und technologische Kompetenz unter Beweis stellt und die Zielwerte erreichen wird.“
Auch die Umweltorganisation Transport & Environment bezeichnet die in dem internen Papier geäußerten Forderungen als „absurd“. Die Autohersteller hätten genügend Zeit gehabt, sich auf das seit 2019 bekannte CO2-Ziel vorzubereiten.
Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat sich nochmals zu den beschlossenen Flottengrenzwerten positioniert. Der Verband spricht sich dafür aus, den von der EU-Kommission erst für 2026 geplanten Review für die Flottenregulierung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf 2025 vorzuziehen. Auch bei der Flottenregulierung für schwere Nutzfahrzeuge solle das hier für 2027 vorgesehene Review um ein Jahr auf 2026 vorgezogen werden, heißt es. VDA-Präsidentin Hildegard Müller kommentiert: „Die Politik kann CO2-Reduktionsziele setzen – entscheidend sind neben den erheblichen Anstrengungen, die die Automobilindustrie leistet, aber die zur Erreichung der Ziele notwendigen Rahmenbedingungen.“ Sie konstatiert, dass die Schere zwischen ambitionierten Zielsetzungen in der Flottenregulierung und unterstützenden Rahmenbedingungen weiter auseinander gehe. „Darauf haben wir immer wieder hingewiesen und entsprechendes Gegensteuern gefordert.“
spiegel.de, sueddeutsche.de, rnd.de, transportenvironment.org, vda.de
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