Tesla will den Semi nach Europa bringen – aber frühestens 2026
Den Tesla Semi muss man erstmal finden. Er ist ein wenig in die Ecke gepresst, steht am Rand der Halle 12 – direkt neben Volkswagen Nutzfahrzeuge mit einem ungleich größeren Stand. Und MAN ist auch nicht weit. Dennoch bilden sich regelmäßig Schlangen vor dem Batterie-elektrischen Truck von Tesla. Einmal auf den Fahrersitz zu gelangen, das dauert. Noch viel länger sind die Schlangen in Halle 11, wo die Testfahrten stattfinden. Wer auf den Beifahrersitz möchte, um eine Runde mitzufahren, der nimmt schon mal einige Stunden Wartezeit in Kauf.
So auch Fritz-Gerhard Hamann. Der mittelständische Spediteur aus Holzminden (sieben Sattelzüge und 18 Wechselbrückenzüge, davon schon drei elektrisch) hat schon 2019 einen Tesla Semi vorbestellt. 17.000 Euro hat er damals angezahlt. Nun will er in den Truck – und wissen, wann er in Europa ausgeliefert wird. Und diese Frage stellen sich viele Messe-Besucher – neben den Spediteuren auch die Ingenieure der anderen Hersteller. Alle schauen sich den E-Lkw aus der Nähe an, wollen wissen wie Tesla es geschafft hat, bei voller Zuladung um 65 Prozent effizienter zu sein als vergleichbare Diesel-Lkw.
Am Dienstagabend dann hält Dan Priestley einen viel beachteten Vortrag auf der IAA. Er leitet die Lkw-Entwicklung bei Tesla – und tritt sehr bescheiden auf. Zu Beginn seiner Keynote lobt er vor allem die anderen Hersteller für deren schnelle Entwicklung elektrischer Trucks für Kurz-, Mittel- und Langstrecken. „Die OEMs haben einen großartigen Job gemacht“, sagt der Tesla-Manager. Dann aber legt er los und packt die Infos zum Semi aus. Und macht klar: „Jetzt wollen wir ein Teil davon sein.“ Priestley hebt in seinem 15-minütigen Vortrag (Video weiter unten) besonders die Wettbewerbsfähigkeit des Tesla Semi hervor und äußert sich zum Europa-Start. Hier sind die wichtigsten Aussagen:
- Marktreife des Tesla Semi: Priestley betont, dass der Tesla Semi in Nordamerika bereits im Einsatz ist und eine Reichweite von 800 Kilometern pro Ladung erreicht. Die meisten Exemplare rollen bekanntlich im kalifornischen Fuhrpark von PepsiCo. Die hohe Reichweite widerlegt laut Priestley das Argument, dass Elektro-Lkw nicht für Langstrecken geeignet sind.
- Kosten- und Effizienzvorteile: Tesla hat den Semi von Grund auf als Batterie-elektrisches Fahrzeug entwickelt, um Kosten zu senken und die Effizienz zu maximieren. Priestley hebt hervor, dass der Semi in der Lage ist, Diesel-Lkw in Sachen Betriebskosten zu unterbieten, indem er eine deutliche Verbesserung des Batteriegewichts und damit eine Reduzierung der Kosten pro Kilometer erreicht.
- Ladetechnologie: Der Semi ist mit proprietärer Megawatt-Ladetechnologie ausgestattet, die schnelles Laden ermöglicht und somit sicherstellt, dass das Fahrzeug so wenig Zeit wie möglich stillsteht. Tesla hat bereits Testläufe mit Kunden wie PepsiCo durchgeführt, bei denen ein Semi in einem 24-Stunden-Betrieb über 1.700 Kilometer gefahren ist, sagt Priestley und ergänzt: „Wir werden dafür sorgen, dass die Kunden die Ladelösungen bekommen, die sie benötigen – etwa Depotladen wie bei PepsiCo oder etwas Ähnliches wie das Supercharger-Netzwerk.“
- Robuste Leistung: Priestley betont zudem, dass der Tesla Semi unter extremen Bedingungen getestet wurde – von steilen Anstiegen in Kalifornien bis hin zu eisigen Temperaturen in Alaska. Diese Tests würden beweisen, dass der Semi auch für die anspruchsvollen europäischen Strecken geeignet ist.
- Zukunftspläne für Europa: Das ist wohl der Part des Vortrages, der die Zuhörer am brennendsten interessiert: Priestley macht klar, dass Tesla den Semi auch in Europa einführen will. Der Lkw werde dazu an europäische Vorschriften und Marktbedürfnisse angepasst. Vor 2026 ist mit dem Debüt aber nicht zu rechnen. Die Produktionskapazität in der noch im Bau befindlichen Fabrik in Nevada soll bis 2026 auf mehr als 50.000 Fahrzeuge pro Jahr ausgebaut werden. Genau diese Massenfertigung soll eine signifikante Senkung der Kosten ermöglichen. Mitte März brachte Tesla-CEO Elon Musk bei einem Besuch in Grünheide auch das dortige Werk als künftigen Produktionsstandort des Semi ins Gespräch.
- Einhaltung strenger Effizienzkriterien: Tesla setzt auf eine extrem niedrige Energieverbrauchsrate von 100 kWh pro 100 Kilometer, was den Semi zu einem der effizientesten elektrischen Lkw machen soll. Interessant: Daimler Truck hat bei seiner Europa-Tour mit dem eActros 600 über den gesamten Tourverlauf einen Durchschnittsfahrverbrauch von 103 Kilowattstunden pro 100 Kilometer erzielen können. Das entspricht einem Dieselverbrauch von rund 10 Liter pro 100 Kilometer – gewöhnliche Diesel-Lkw brauchen eher 25 Liter.
- Wartungsfreundlichkeit: Ein weiterer Vorteil des Tesla Semi ist seine hohe Zuverlässigkeit. Priestley betont, dass 95 Prozent der aktuellen Flotte eine Betriebszeit ohne größere Ausfälle aufweisen und Reparaturen in der Regel innerhalb von 24 Stunden durchgeführt werden können.
Dan Priestley stellt den Tesla Semi in Hannover – natürlich – als innovative und wirtschaftlich wettbewerbsfähige Lösung für den europäischen Markt dar. Tesla plane, die Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs weiter voranzutreiben und die Kosten durch die vertikale Integration zu senken. Entscheidend wird neben dem Verbrauch die Nutzlast sein, einen Exkurs dazu können Sie hier nachlesen. Abschließend sagte Priestley: „Wir freuen uns, die Semi nach Europa zu bringen.“
Dass die Amerikaner noch einige Zeit brauchen werden, um den Semi für den europäischen Markt anzupassen, ist eine gute Nachricht für die heimische Industrie. Sie kann – wie beim eActros 600 geschehen – wettbewerbsfähige Produkte schon früher in den Markt bringen. Dass man Tesla nicht unterschätzen sollte, wissen natürlich alle Player. Und so waren rund um den Semi denn auch viele Logos auf den Jacken und Westen der Schaulustigen auszumachen. Von MAN über Daimler Truck bis Iveco. Denn sie alle wissen, wenn Tesla kommt, dann richtig. Und darauf will man ganz offensichtlich vorbereitet sein.
Das ist auch wichtig, wie Fritz-Gerhard Hamann bestätigt: „Wenn das stimmt, dass der Tesla Semi auch voll ausgeladen nur eine Kilowattstunde pro Kilometer braucht, dann wäre das sensationell.“ An seiner Vorbestellung hält er fest, auch wenn er nur „eine Mini-Runde gefahren“ sei. Ganz rational ist die Sache bei Spediteur Hamann allerdings auch nicht. „Ich fahre seit 2015 Tesla, die ganze Familie fährt Tesla, wir haben sogar einen Roadster.“ Da ist die Lage wohl klar.
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