Bundeskartellamt: Ladestrommarkt lässt Wettbewerb vermissen
Das Bundeskartellamt hat den Abschlussbericht seiner 2020 initiierten Sektoruntersuchung im Bereich der öffentlichen Ladeinfrastruktur vorgelegt. Die Haupterkenntnis: Der Wettbewerb bei der Versorgung mit Ladestrom funktioniert vielerorts nicht richtig. Laut Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, haben zahlreiche Städte und Kommunen geeignete öffentliche Flächen für Ladesäulen überwiegend oder sogar ausschließlich an das eigene kommunale Stadtwerk oder einzelne Anbieter vergeben. „Das hat jetzt unmittelbar zur Folge, dass es in vielen lokalen Märkten nur sehr wenige Anbieter von Ladesäulen und Ladestrom gibt. Dort ist die Konzentration so hoch, dass marktbeherrschende Stellungen entstehen“, so Mundt.
Im Ergebnis haben die Verbraucherinnen und Verbraucher dem Bundeskartellamt zufolge kaum Auswahl – „und die Gefahr höherer Ladestrompreise steigt, weil marktmächtige Anbieter keine Wechsel zur Konkurrenz befürchten müssen“. Ein Zustand, der durch bessere Rahmenbedingungen für Flächenvergaben eigentlich vermeidbar gewesen wäre, fährt Mundt fort.
Autobahn-Raststätten ein Thema für sich
Die Ergebnisse der Sektoruntersuchung zeigen im Detail, dass vor allem auf kommunaler Ebene eine diskriminierungsfreie Vergabe öffentlicher Flächen „zu oft unterbleibt“. Entlang der Autobahnen sei die Situation unterschiedlich, je nachdem, ob man bewirtschaftete Rastanlagen (solche mit Tankstelle, Restaurant etc.) oder einfache Rastplätze (reine Parkplätze, ggf. mit Toiletten) betrachtet. „An den einfachen Rastplätzen hat der Bund durch die Ausschreibung bundeseigener Flächen im Rahmen des sogenannten ,Deutschland-Netzes‘ die Voraussetzungen für einen offenen Marktzugang für Ladesäulen deutlich verbessert“, lobt das Kartellamt.
Bei den bewirtschafteten Rastanlagen sollen aber im Gegensatz dazu Parkplatzflächen auf der Grundlage langfristiger Konzessionen weiterhin insbesondere bei der Tank & Rast-Gruppe verbleiben. Hier besteht laut Analyse der Wettbewerbshüter ebenfalls die Gefahr, „dass die Tank & Rast-Gruppe durch die ausschließlich eigene Nutzung der Flächen oder die Vergabe von Flächen an nur einige wenige Ladesäulenbetreiber die Entstehung marktmächtiger Stellungen fördert“. Die künftige HPC-Ladeinfrastruktur an Autobahn-Raststätten ist aus diesem Grund bereits länger Gegenstand eines Rechtsstreits zwischen der Autobahn GmbH und Tesla/Fastned. Bis zu einem für 2025 erwarteten Urteil ist der Roll-out bei Tank & Rast schon länger zum Erliegen gekommen.
Bund und Städte haben keine Hoheitsrechte
Grundsätzlich ruft das Kartellamt in Erinnerung, dass Gebietskörperschaften wie der Bund, Städte und Kommunen bei der Vergabe eigener Flächen nicht hoheitlich, sondern wirtschaftlich tätig sind. Daraus folgt, „dass sie dem Kartellrecht unterliegen und im Zuge der Vergabe von öffentlichen Flächen den Wettbewerb zwischen verschiedenen, um die Flächen konkurrierenden Betreibern von Ladesäulen nicht beschränken dürfen“.
Was die aktuell vielerorts herrschenden Preisunterschiede an den Ladesäulen angeht, so können diese laut den Kartellfachleuten „auf punktuell missbräuchlich überhöhte Preise hinweisen“. Wenn Anbieter über lokale Marktmacht verfügen, erhöhe dies tendenziell den Anreiz und die Möglichkeit für Preiserhöhungen. Einzelne Preisüberhöhungen allein lassen laut Bundeskartellamt allerdings noch nicht den Schluss zu, dass die Ladestrompreise in Deutschland systematisch und flächendeckend überhöht seien. „Die Betreiber müssen noch ihre Investitionskosten für die errichtete Ladeinfrastruktur decken. Die Auslastung der Ladesäulen ist stellenweise aber noch sehr gering. Dies kann vereinzelt hohe Preise rechtfertigen“, heißt es im Bericht.
Roaming wird mitunter ausgehebelt
Apropos marktstarke Anbieter: Ein unter E-Auto-Fahrern ebenso bekanntes wie gefürchtetes Phänomen findet ebenfalls Eingang in den Report: Wer an einer Ladesäule per Ladekarte Strom über einen Mobilitätsdienstleister bezieht, ist dennoch lokal marktmächtigen Anbietern ausgeliefert. Denn diese legen die Preise und Bezugsbedingungen ihrer Ladesäule fest. Solche Betreiber „können auf diese Weise die Strompreise der konkurrierenden Anbieter für Ladestrom im Verhältnis zu den eigenen Preisen missbräuchlich so hoch ansetzen, dass dem konkurrierenden Anbieter keine auskömmliche Marge verbleibt („Preis-Kosten-Schere oder margin-squeeze“)“, analysiert das Amt. Die Konkurrenz könne dadurch vom Markt verdrängt oder vom Markteintritt abgehalten werden, was die Marktmachtprobleme zusätzlich befördert.
Auf Basis dieser Bestandsaufnahme führt der Bericht eine Reihe kartellrechtlicher Instrumente und Handlungsempfehlungen auf, um den Wettbewerbsdefiziten Herr zu werden. Vor direkten „regulatorischen Eingriffen insbesondere in die Preisgestaltung“ warnt das Amt aber ausdrücklich. Vielmehr empfiehlt es Folgendes:
- Rückgriff auf Kartellrecht: Mithilfe des Kartellrechts können im Einzelfall diskriminierungsfreie Vergaben öffentlicher Flächen durchgesetzt werden. Auch gegen die aufgezeigten missbräuchlichen Behinderungspraktiken können Kartellbehörden vorgehen.
- Rückgriff auf Fusionskontrolle: Die Fusionskontrolle wird das Bundeskartellamt im Bereich der Ladeinfrastruktur nach eigenen Angaben weiterhin stringent durchsetzen. Allerdings sind einzelne Zusammenschlüsse in diesem Bereich der Fusionskontrolle aufgrund der gesetzliche Aufgreifschwellen und der sogenannten Bagatellmarktklausel entzogen.
- Deutschlandnetz als Vorbild: Das Amt spricht sich für mehr öffentliche Ausschreibungen der Fördermittel gemäß dem Deutschlandnetz aus. Für das Entstehen wettbewerblicher Strukturen sind dabei die gewählte Losgröße und der Loszuschnitt von zentraler Bedeutung. Um die Anbietervielfalt und den Wettbewerb wirksam zu stärken, muss insbesondere die begrenzte lokale Reichweite der betroffenen Märkte berücksichtigt werden.
- Skepsis beim Durchleitungsregime: In einem regulierten Durchleitungsregime könnten Endkundinnen und Endkunden ihren Ladestromanbieter an der Ladesäule selbst wählen. Der Betreiber einer Ladesäule wäre dazu verpflichtet, den Strom alternativer Ladestromanbieter gegen ein Entgelt durchzuleiten. Beim initialen Lkw-Ladenetz des Bundes soll es solch ein Durchleitungsmodell geben. Aber: Das sogenannte Durchleitungsentgelt wäre zwar reguliert, aber dabei müssten die Kosten für Errichtung und Betrieb der Ladesäule voll berücksichtigt werden. Am Ende – so fürchten die Wettbewerbshüter – würden die Ladestromanbieter diese Kosten an die Endkundinnen und Endkunden durchreichen, die sie dann voll zu tragen hätten.
- Vorsicht bei staatlichen Preistransparenz-Initiativen: Die gestiegene Transparenz käme laut dem Bundeskartellamt nicht nur den Kunden, sondern unweigerlich auch den Anbietern zugute. Dies könnte einem koordinierten Preissetzungsverhalten Vorschub leisten und den Preiswettbewerb damit schwächen.
Amtspräsident Andreas Mundt betont, dass ein kartellbehördliches Einschreiten im Ladeinfrastruktur-Markt immer nur von Einzelfall zu Einzelfall geprüft werden könne. „In der Breite werden wirksame Verbesserungen hin zu mehr Wettbewerb insbesondere durch Anpassungen des gesetzlichen Ordnungsrahmens entstehen können. Vergaben öffentlicher Flächen sollten befristet und im Wege eines transparenten und diskriminierungsfreien Verfahrens erfolgen. Auch staatliche Fördermittel müssen grundsätzlich diskriminierungsfrei vergeben werden. Öffentliche Ausschreibungen der Fördermittel wie im Rahmen des Deutschlandnetzes sind hier das Mittel der Wahl“, fasst Mundt zusammen.
Regulatorische Eingriffe insbesondere in die Preisgestaltung hält Mundt dagegen aus heutiger Sicht für kontraproduktiv. „Sie können die Wirtschaftlichkeit privater Ausbauprojekte in Frage stellen, Angebote verdrängen und den angestrebten Ausbau der Ladeinfrastruktur sogar hemmen. Gleiches gilt für die derzeit geplante gesetzliche Vorgabe für Tankstellenbetreiber, in festgelegtem Umfang an ihren Tankstellen Ladeinfrastruktur zu errichten.“ Ein reguliertes Durchleitungsmodell wie bei den Stromnetzen sei ebenfalls der falsche Ansatz. „Es ist insbesondere derzeit nicht erkennbar, dass dies für Verbraucherinnen und Verbraucher zu günstigeren Ladestrompreisen führen würde“, so Mundt.
Die diesen Resultaten zugrunde liegende Sektoruntersuchung stieß das Bundeskartellamt Mitte 2020 an, nachdem „vermehrt Beschwerden über die Preise und Konditionen an den Ladesäulen“ eingegangen waren. Im Frühjahr 2021 wurde das Verfahren ausgeweitet, u.a. auf viele Stadtwerke und regionale Energieversorger, aber auch auf ehemalige Strommonopolisten wie E.On und die EnBW. Schon bei der Aufnahme der Untersuchung machte das Kartellamt deutlich, dass es bei seiner Analyse nicht nur um die Preise und die Abrechnungs-Praxis an Ladesäulen gehe, sondern auch um den Aufbau und die Standorte selbst.
spiegel.de, bundeskartellamt.de
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