EU-Staaten stimmen für Sonderzölle auf chinesische E-Autos
Wie mehrere Diplomaten gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (DPA) bestätigten, haben die Mitgliedsstaaten im EU-Rat am Freitag über die geplanten Sonderzölle auf importierte E-Autos aus China abgestimmt – und sich in Summe dafür ausgesprochen. Inzwischen hat die Kommission die Abstimmung und das Ergebnis bestätigt. Deutschland soll (wie erwartet) gegen die Pläne gestimmt haben.
„Der Vorschlag der Europäischen Kommission, endgültige Ausgleichszölle auf die Einfuhren von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen (BEV) aus China einzuführen, hat heute die notwendige Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten für die Einführung von Zöllen erhalten. Dies ist ein weiterer Schritt zum Abschluss der Antisubventionsuntersuchung der Kommission“, teilt die EU-Kommission mit. Eine Durchführungsverordnung der Kommission mit den endgültigen Untersuchungsergebnissen muss bis spätestens 30. Oktober 2024 im Amtsblatt veröffentlicht werden.
Das genaue Ergebnis der Abstimmung hat die Kommission in der kurzen Mitteilung nicht angegeben. Das Portal „Euronews“ will jedoch von Diplomaten die Resultate erhalten haben. Demnach sollen Frankreich, Italien, die Niederlande, Polen, Dänemark, Irland, Bulgarien, Estland, Litauen und Lettland (45,99 Prozent der EU-Bevölkerung) dafür gestimmt haben. Dagegen waren Deutschland, Ungarn, Malta, Slowenien und die Slowakei (22,65 Prozent). Zwölf Länder haben sich folglich enthalten – und zwar mit Belgien, der Tschechischen Republik, Griechenland, Spanien, Kroatien, Zypern, Luxemburg, Österreich, Portugal, Rumänien, Schweden und Finnland insgesamt 31,36 Prozent der EU-Bevölkerung. Bestätigt sind diese Informationen aber nicht.
Verhandlungen sollen weiterlaufen
„Euronews“ sieht in der hohen Zahl der Enthaltungen einen Beleg für die lange bestehenden Bedenken, wie Europa China Paroli bieten könne. „Obwohl der politische Konsens besagt, dass Pekings unfaire Handelspraktiken eine energische, gemeinsame Antwort verdienen, scheint die Angst vor kommerziellen Vergeltungsmaßnahmen die Entschlossenheit vieler Hauptstädte gedämpft zu haben, als der entscheidende Tag näher rückte“, so das Portal.
Die Angabe der Anteile der Bevölkerung ist in dem EU-Verfahren wichtig. Bei der Frage der EU-Sonderzölle hätte zunächst eine einfache Mehrheit und anschließend eine qualifizierte Mehrheit gegen die Pläne stimmen müssen. Dazu wären 15 EU-Staaten mit zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU notwendig gewesen.
Mit der Annahme der Pläne im EU-Rat ist quasi die letzte Hürde ausgeräumt, damit die Sonderzölle im November in Kraft treten können. Es gibt nur noch die Möglichkeit, dass in den direkten Verhandlungen mit China eine Lösung gefunden wird. Die bilateralen Gespräche hatten zwar offenbar dazu geführt, dass die Abstimmung von Ende September zunächst auf den 4. Oktober verschoben wurde – eine Einigung konnte aber nicht erzielt werden, weshalb es nun doch zu der heutigen Abstimmung kam.
Die Kommission gab in der Erklärung an, sie werde parallel dazu die Verhandlungen mit China fortsetzen, „um eine alternative Lösung zu finden. Diese müsse vollständig WTO-kompatibel sein, die von der Untersuchung der Kommission festgestellte schädliche Subventionierung angemessen bekämpfen und zudem überwachbar und durchsetzbar sein.“ Sprich: Es wird weiter verhandelt, eine Verhandlungslösung zeichnet sich aber derzeit nicht ab. Chinas Handelskammer in der EU, die CCCEU, zeigte sich nach der Abstimmung „tief enttäuscht“. Man fordere die EU auf, die Einführung der Zölle zu verschieben und weiter zu verhandeln.
Sonderzölle greifen doch nicht rückwirkend
Bisher sind die Sonderzölle noch vorläufig. Das heißt, dass sie seit dem 5. Juli im Hintergrund bereits berechnet, aber noch nicht eingezogen wurden. Entgegen früherer Pläne hatte die EU im August verkündet, dass die Sonderzölle noch nicht rückwirkend zum 5. Juli eingezogen werden sollen – weil die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt seien. Es werden also erst die endgültigen Zölle eingezogen – und das wohl ab dem 5. November für dann fünf Jahre.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich im Vorfeld mehrfach gegen die EU-Sonderzölle ausgesprochen – folglich hat Deutschland auch mit „Nein“ gestimmt. Ganz so einfach war es aber offenbar nicht: In der Ampelkoalition hatten die SPD und die FDP die Ablehnung unterstützt, die Grünen waren für eine Enthaltung – um in den Verhandlungen so den Druck auf China erhöhen zu können. Da es keine einheitliche Position innerhalb der Regierung gab, musste Scholz seine Richtlinienkompetenz anwenden – und ist in der Abstimmung mit seiner Position dennoch unterlegen.
Zunächst gab es Berichte, wonach sich etwa Spanien der deutschen Position angeschlossen und die Pläne ebenfalls abgelehnt habe – laut „Euronews“ hat sich Spanien nun aber enthalten. Staaten wie Frankreich und Italien waren hingegen für die Sonderzölle und haben auch im EU-Rat dafür gestimmt.
Die EU-Kommission hatte nach einer monatelangen Antisubventionsuntersuchung im Sommer die Sonderzölle vorgeschlagen. Sie sollen zusätzlich zu den ohnehin geltenden zehn Prozent Einfuhrzoll erhoben werden. Dabei wird herstellerspezifisch vorgegangen, je nach Höhe der in der Untersuchung festgestellten Subvention. Die Sätze wurden seit dem ersten Bekanntwerden mehrfach angepasst. Für BYD gelten künftig 17 Prozent Sonderzoll, für Geely 18,8 und für SAIC 35,3 Prozent – diesen drei Herstellern hatte die EU schon früh eine mangelnde Kooperation vorgeworfen. Tesla muss 7,8 Prozent zusätzlich einkalkulieren – Tesla betreibt die Giga Shanghai selbst und nicht in Form eines Joint Ventures mit einem chinesischen Hersteller. Daher hat Tesla auch weniger Förderungen in China erhalten und hat somit aus Sicht der EU-Kommission einen geringeren Wettbewerbsvorteil.
Alle anderen Hersteller müssen mindestens 21,3 Prozent Sonderzoll zahlen, wenn sie in China gebaute E-Autos in die EU importieren. Dieser Satz gilt, wenn die Hersteller mit der EU kooperiert haben. Haben sie das nicht, gelten die 35,3 Prozent. Für die deutschen Autobauer kommt es darauf an, ob sie kooperiert haben und wie es um ihre Joint-Venture-Partner steht. Bei SAIC-VW gilt etwa der Höchstsatz von 35,3 Prozent. Das ist in der Praxis aber nicht relevant, da SAIC-VW keine E-Autos nach Europa exportiert. Das Joint Venture mit JAC, Volkswagen Anhui, baut aber zum Beispiel den Cupra Tavascan für die Weltmärkte. Hier liegt der Sonderzoll bei 21,3 Prozent.
In einer ersten Reaktion bezeichnete DIW-Präsident Marcel Fratzscher die „EU-Strafzölle“ (offiziell ist von „Sonderzöllen“ die Rede) als notwendiger Schritt zum Schutz des europäischen Wirtschaftsstandorts. „Es wäre ein fataler Fehler, wenn es die EU ähnlich wie in der Solarbranche zuließe, dass chinesische Produkte die europäischen vom Markt verdrängen. Die chinesischen Autobauer profitieren von massiven Staatssubventionen und verschaffen sich dadurch unfaire Wettbewerbsvorteile“, schreibt Fratzscher auf LinkedIn. „Die Ablehnung der Bundesregierung ist ein fatales Signal, dass die deutsche Politik sich von China erpressen lässt und die europäische Solidarität gewillt ist aufzukündigen. Der Widerstand der deutschen Industrie gegen diese Ausgleichszölle ist falsch und zielt zu sehr auf kurzfristige Gewinne ab.“
Wie Fratzscher selbst andeutet: Die Autobranche sieht die Lage anders. „Wir bedauern sehr, dass die Haltung des Bundeskanzlers mit seinem klaren Nein keine Mehrheit gefunden hat“, sagt Thomas Peckruhn, Vizepräsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK). Für den ZDK sei das Ergebnis „das falsche Signal“. Ähnlich argumentiert auch Hildegard Müller: „Die Erhebung von Zöllen ist und bleibt ein womöglich folgenreicher Fehler. Es könnte der Anfang eines Handelskonflikts sein, der nur Verlierer kennen wird“, schreibt die VDA-Präsidentin auf LinkedIn. Der potenzielle Schaden der Zölle sei höher als der mögliche Nutzen des Instruments. „Eine zunehmende Marktabschottung ist für die europäische – und insbesondere die deutsche – Automobilindustrie keine Option.“ Müller hofft, dass die Verhandlungen weitergehen oder der Zeitraum dafür verlängert wird, um den Zollkonflikt doch noch aus der Welt zu schaffen.
ec.europa.eu, handelsblatt.com, reuters.com, euronews.com, spiegel.de (Scholz-Position/Richtlinienkompetenz), x.com (CCCEU)
6 Kommentare