renault 4 e tech robin 2024 13 min
Bild: Clément Choulot
HintergrundAutomobil

Sitzprobe im Renault 4 E-Tech: Mehr als nur retro?

Böse Zungen behaupten: Wenn Autobauern nichts Besseres mehr einfällt, versuchen sie es mit einem Retro-Elektroauto. Renault surft voll auf dieser Welle und hat mit dem Renault 4 E-Tech bereits das zweite neue E-Modell mit Oldtimer-Referenzen vorgestellt. Bei der Weltpremiere in Paris wurde klar: Der Renault 4 überrascht auch mit eigenen Ansätzen!


VW hat den Ur-Bulli elektrisch wiederbelebt, Citroën die Kastenente und Renault fährt mit Twingo, R5 und jetzt eben dem R4 gleich eine ganze Palette an Retro-BEVs auf. Nicht fehlen dürfen dabei am Rande der Premiere auch alte Renault 4 in fetzigen Lackierungen und Sonderformen. Wir sind deshalb mit einer „nicht noch so ein Retro-Auto“-Einstellung nach Paris gefahren und wurden positiv überrascht von einem Elektroauto, das weit mehr ist als die Summe seiner Oldtimer-Referenzen.

Gelungenes Design

Denn so retro, wie Renault sein neuestes Elektroauto anpreist, sieht es gar nicht aus. Es nimmt sich einzelne Designelemente des Namensgebers heraus, hat aber trotzdem einen eigenständigen Look.

Vom alten R4 übernommene Kernelemente sind der eckige Kühlergrill, der sich einmal über die komplette Front zieht und die runden Matrix-LED-Scheinwerfer mit einfasst, sowie ein drittes Fenster hinten statt der heute weit verbreiteten massiven C-Säulen und generell die ziemlich eckige Form.

Gänzlich anders sind die gigantischen Räder, die den neuen R4 wie einen Riesen-SUV wirken lassen – der er mit 4,14 Metern Länge und 1,80 Metern Breite aber definitiv nicht ist. Nicht fehlen dürfen die französischen Nationalfarben, damit auch jeder weiß, woher das Auto kommt. „100 % elektrisch und 100 % französisch“ sagt Renault dazu, gebaut wird der Wagen in Maubeuge nahe der belgischen Grenze. Typisch französisch ist an diesem Auto in der Tat vieles, was sich vielleicht noch als Wettbewerbsvorteil erweisen könnte.

Da ist zum einen das Stoffschiebedach, das mit seiner riesigen Öffnung weit über das Maß normaler Schiebedächer hinausgeht und sicher Cabrio-Feeling aufkommen lässt, aber auch die Plastik-Stoßstangen. In Frankreich, wo Parkvorgänge immer noch als Kontaktsport gelten, sind lackierte Stoßfänger fehl am Platz und nachgiebiges Plastik billiger und nervenschonender.

Innen fast alles richtig gemacht

Die Hommage an Frankreich setzt der R4 im Innenraum mit einem Baguette-Halter und weiteren Trikoloren fort. Das braucht zwar niemand, macht den Wagen aber irgendwie liebenswert.

Das lederne Armaturenbrett sorgt im ersten Moment für einen Anflug von Hochwertigkeit, den man bei Renault so nicht erwarten würde. Dieser setzt sich dank Teilledersitzen und stoffbezogenen Türen fort, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verarbeitungsqualität im Detail besser und der Hartplastikeinsatz behutsamer hätte sein können.

Das Lenkrad ist mit stolzen vier (!) Lenkstockhebeln und 15 Knöpfen (für Tempomat, Fahrmodus und Infotainment) leider völlig überfrachtet, dieser Funktionsumfang ließe sich auch deutlich übersichtlicher abbilden. Trotzdem ist lobenswert, dass der PRND-Hebel an die Lenksäule gewandert ist und nicht mehr, wie leider bei vielen Herstellern noch üblich, Platz in der Mittelkonsole frisst. Einen Start-Stopp-Knopf gibt es weiterhin, einen Direktstart beim Tritt auf die Bremse dürfen wir folglich nicht erwarten.

Dafür ist endlich auch One-Pedal-Drive an Bord, zusätzlich zu drei weiteren Rekuperationsstufen, die sich über Schaltwippen einstellen lassen und einer Autohold-Funktion. Hinter dem Lenkrad werkelt ein erfreulich großes Tacho-Display, das auch die Navikarte anzeigen kann. Abgesehen vom überfüllten Lenkrad hat Renault die Zahl der Knöpfe gut ausbalanciert: Nicht zu viele, dass es unübersichtlich wird, aber nicht so wenige, dass man ewig auf dem Bildschirm nach der Spiegel- oder Klimaeinstellungen suchen muss. So wirkt das Cockpit insgesamt recht aufgeräumt und die wichtigsten Funktionen sind trotzdem blind erreichbar.

Vier USB-C-Ports und eine induktive Ladeschale versorgen die Smartphones der Passagiere mit Strom. Damit diese nicht verlorengehen, gibt es für die Fondpassagiere in die Vordersitze eingenähte Smartphone-Taschen.

Google macht die Software

Apropos Smartphone: Die Lautstärketasten auf dem Zentralbildschirm erinnern an den Wippschalter eines modernen Mobiltelefons. Im ersten Moment nicht intuitiv zu finden, in Zeiten, in denen immer mehr Hersteller die Lautstärkeregelung aber komplett auf den Bildschirm verlagern trotzdem lobenswert.

Das gilt auch für das Android-basierte Infotainment. Renault hat eingesehen, dass Google einfach bessere Benutzeroberflächen baut und nutzt folgerichtig das System der Kalifornier. Dieses läuft flott und ruckelfrei, ist logisch strukturiert und kann auf die allseits bekannte App-Vielfalt zugreifen. Die E-Routenplanung liegt in den fähigen Händen von Google Maps.

In den Einstellungen entdecken wir eine Vielzahl von Assistenzsystemen, die sich freilich bei einer statischen Premiere nicht testen ließen. Unter anderem ist automatisches Einparken, autonomes Fahren Level 2, Fahrerüberwachung und ein Notbremsassistent dabei. Lediglich eine 360-Grad-Kamera haben wir vermisst, die soll aber später noch nachkommen.

Geräumig auf allen Plätzen

Das Platzangebot für die Insassen weiß zu überzeugen. Vorne gibt es ohnehin genügend Beinfreiheit, doch von der Rückbank waren wir wirklich positiv überrascht. Für ein Fahrzeug dieser Größenklasse ist hinten verblüffend viel Raum. Wenn man Fahrer- und Beifahrersitz etwas höher einstellt, bekommen die Passagiere ihre Füße problemlos unter die vorderen Sitze und die Beinfreiheit ist üppig. Auch nach oben hin gibt es viel Platz, der 1,80 Meter große Redakteur hatte noch gut Luft zwischen Kopf und Dach.

Kompromisse gibt es nur bei der Sitzposition, die Hüfte ist etwas zu tief und die Knie etwas zu hoch – der übliche Trick zum Platzsparen eben. Trotzdem sollte es sich auf den hinteren Sitzen auch auf längeren Strecken gut aushalten lassen, auf jeden Fall besser als bei diversen Konkurrenzmodellen. Dabei hilft auch, dass kein Mitteltunnel verbaut ist, auch kein ganz kleiner für den Kabelstrang oder ähnliches – nein, der Boden ist topfeben.

Drei ISOFIX-Plätze sind das Sahnehäubchen, denn immer mehr Hersteller setzen mittlerweile nur noch auf zwei. So haben Familien mehr Flexibilität, wo sie die Kindersitze befestigen können.

Große Klappe, viel dahinter

Der Kofferraum ist für die Fahrzeuggröße überraschend großzügig. Hinter der weit ausladenden, elektrischen Heckklappe verstecken sich stolze 420 Liter Laderaum, dessen Form ist angenehm geradlinig und wenig verschachelt. Großes Urlaubsgepäck passt hier gut hinein, auch ein Kinderwagen ist kein Problem. Die Ladekante ist mit 61 cm über Straßenniveau vergleichsweise niedrig. Dank dem umklappbaren Vordersitz liegt die maximale Durchladelänge bei üppigen 2,20 Metern, so finden auch lange Gegenstände gut Platz. Renault demonstriert das während der Premiere mit einem Surfbrett, im Alltag ist es wohl eher das Ikea-Regal, das irgendwie ins Auto passen muss.

Je öfter wir um das Auto herumlaufen, desto mehr drängt sich ein Slogan auf, den eigentlich bislang ein anderer Autobauer prägt: „Simply clever!“. Denn viele Details am R4 sind wirklich einfach schlau gemacht. Zum Beispiel der Korb für den Unterboden im Kofferraum, in dem man das Ladekabel verstauen kann oder extra Seitenfächer für Kleinkram, der nicht herumfliegen soll. Ebenso ist uns der Stopp-Knopf in der Ladedose aufgefallen. Der ist zwar nichts Besonders, wird aber bei günstigen Fahrzeugen gerne weggespart, was nervt, weil das Beenden eines Ladevorgangs dadurch unnötig länger dauert. Gut, dass Renault sich hier gegen diese Sparmaßnahme entschieden hat.

Auch die Anhängekupplung hebt ihn von der Konkurrenz ab, konnten doch bisher meist nur deutlich größere Elektroautos einen Anhänger ziehen. Zwar sind 750 kg Zuglast nicht üppig, aber für den Großeinkauf im Baumarkt oder einen Mini-Wohnwagen reicht das.

Mittelmäßige Ladeleistung

So gut der erste Eindruck von innen und außen ist, so durchwachsen ist leider die verbaute Technik aus Renaults „AmpR Small“-Plattform. In der Basisvariante ist ein magerer 40 kWh Akku verbaut, die „große“ Variante hat immerhin 52 kWh. Ein größerer Akku ist laut Renault technisch möglich, steht aktuell aber nicht zur Debatte. Wenn der Antrieb effizient genug ist, reicht das dennoch für über 300 Kilometer reale Reichweite, auch die 90 bzw. 110 kW Antriebsleistung gehen in Ordnung.

Wirklich schade dagegen ist, dass die NMC-Akkus sich am CCS-Schnelllader mit maximal 80 respektive 100 kW befüllen lassen. Bei den meisten Konkurrenten sind in dieser Akku-Größenregion eher 150 kW üblich. So ist der R4 zwar in Sachen Laderaum und Passagierkomfort gut aufgestellt, bei der Ladezeit aber eher mau. Das versetzt der Langstreckentauglichkeit einen ordentlichen Dämpfer – unnötigerweise.

Fazit

Der R4 ist hochwertiger gemacht als die französische Konkurrenz von Peugeot oder Citroen und hat gleichzeitig den Charme, der vielen Newcomern aus Fernost noch fehlt. Ob das reicht, um sich mit mittelmäßigen Leistungsdaten gegen Tesla oder Kia-Hyundai durchzusetzen, wird maßgeblich vom Preis abhängen. Dazu hält Renault sich leider noch bedeckt, den werden wir wohl erst Anfang nächsten Jahres erfahren.

1 Kommentar

zu „Sitzprobe im Renault 4 E-Tech: Mehr als nur retro?“
Nils P.
14.10.2024 um 09:57
Richtig cooles Auto!!!

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