China überall: Wie Hongqi, GAC und Co. den Pariser Autosalon umkrempeln
Die Szene der Automessen befindet sich seit der Corona-Pandemie in einem großen Umbruch. Manche verschwinden ganz (wie der Genfer Autosalon), manche zerfasern von Jahr zu Jahr mehr (wie die IAA). An alte Erfolge anknüpfen konnte bislang keiner. Auch der Pariser Autosalon wäre wohl deutlich kleiner, wenn nicht eine Vielzahl chinesischer Autobauer der Messe neues Leben eingehaucht hätten. Mit Mercedes-Benz, Porsche, Hyundai, Toyota, Cupra, Nissan und Volvo fehlten auch dieses Jahr wieder viele Autobauer, für die Paris früher eine Pflichtveranstaltung war.
Frankreich hält die Stellung
Während die meisten anderen Autobauer ihre Weltpremieren lieber auf eigenen Events durchführen, halten Citroen und Renault dem Autosalon als Heimspiel die Treue. Mit dem R4 und dem C4 zeigen beide neue Elektro-SUV und haben ihre Stände auch ansonsten ganz auf Stromer fokussiert. Den R4 haben wir uns bereits vor der offiziellen Weltpremiere ausführlich angeschaut. Während Renault mit R5, R4 und dem Twingo Concept klar auf der Retro-Welle surft, schaut Stellantis nach vorne und bringt Leapmotor mit. Das gemeinsame Joint Venture soll verhältnismäßig günstige Elektroautos aus China nach Europa bringen.
Ford ist wieder wer
Abgesehen von Tesla ist die Elektromobilität bei den US-Autobauern keine Erfolgsgeschichte, Ford hatte außer dem Mustang Mach-E lange nichts im Angebot, das sollen nun neue Modelle mit VW-Technik ändern. Capri und Explorer stehen beide auf dem modularen Elektro-Baukasten der Wolfsburger, man könnte also auch sagen: Ohne fremde Hilfe geht bei Ford wenig. Dafür weiß das Ergebnis aber durchaus zu überzeugen, denn der Explorer hat einen wertigeren Innenraum und flüssigere Software als die VW-Schwestermodelle.
Cadillac: Schlecht verarbeitete Dickschiffe
Beim zweiten in Paris vertretenen amerikanischen OEM wagen wir eine Testfahrt, denn Cadillac will mit dem Lyriq das Comeback in Europa schaffen. Auf einer schnellen Runde durch die engen Pariser Gassen ergibt sich ein ambivalentes Bild: One-Pedal-Drive macht der Lyriq richtig gut, die Lenkung ist für einen Amerikaner nicht schlecht (aber auch nicht gut) und das Platzangebot ist üppig. Die Software ist übersichtlich gestaltet und läuft flüssig, der Notbremsassistent sorgt mit großen roten Lichtern und Sitzvibration für mehr Sicherheit. Leider ist die Verarbeitungsqualität grauenvoll und die Übersichtlichkeit auch. Auf der Rückbank ist es Cadillac gelungen, dass man bei 1,80 Meter Körpergröße nicht ausreichend Kopffreiheit hat – ein No Go für ein Auto dieser Art. In Kombination mit hohen Preisen ist das die perfekte Formel, um in Europa weiterhin irrelevant zu bleiben.
Keine Überraschungen bei Tesla
Der dritte Amerikaner im Bunde zeigt alte Gesichter. Neben Model S, 3, X und Y bringt Tesla den Cybertruck mit und zeigt eine Siebensitzer-Version des Model Y. Wirklich gut sitzen können dort zwar nur Kinder oder Menschen mit sehr kurzem Oberkörper – trotzdem eine praktische neue Option. Neben den Autos hat Tesla eine extra Lade-Ecke eingerichtet und preist die Vorteile seiner Supercharger an.
Generell spielen Ladesäulen für eine Automesse eine große Rolle, an jeder zweiten Ecke ist ein Schnelllader ausgestellt – fast so wie auf einer Fachmesse á la Power2Drive.
Zurück in die Zukunft mit VW
Ein bisschen wehmütig kann man am Stand von Volkswagen Pkw werden: Hier darf man bei einer wohlschmeckenden VW-Currywurst einen Golf 1 GTI bewundern und ist sofort zurück in den 70ern. Von der Aufbruchstimmung aus den frühen Tagen der ID.-Reihe ist wenig übrig. Wichtigste Neuheit: Der Tayron, ein Verbrenner.
Besser sieht es bei den Töchtern Skoda und Audi aus, die mit Elroq und Q6 e-tron Sportback zwei heiß erwartete E-SUV mitgebracht haben und beim Publikum für viel Aufsehen sorgen.
BMW ist elektrisch
Überraschend klar ist das Bekenntnis zur Elektromobilität bei den Bayern. Statt „mia san mia“ heißt die Devise „we are electric“, die in großen Lettern über dem gemeinsamen Stand von BMW und Mini prangt. Und in der Tat findet man keinen einzigen Verbrenner mehr. Das ist bemerkenswert, weil BMW einst der lauteste Trommler für Technologieoffenheit war und immer mindestens einen dicken Verbrenner mitbringen musste. In Paris standen die Zeichen nun 100 Prozent auf E – mit der Weltpremiere von zwei neuen Mini John Cooper Works Modellen.
Solide E-Palette bei Kia
Die Koreaner haben zwar keine Neuheit im Gepäck, dafür aber ein schönes Portfolio von EV3, EV6 und EV9, womit vom kompakten Stadtflitzer bis zur Großfamilienkutsche für jeden etwas dabei ist.
Hongqi: Langfristig orientiert
Die chinesische Marke der Reichen und Schönen versucht sich mehr und mehr auch in Europa und zielt auf wohlhabende Klientel, die ansonsten wohl Rolls-Royce fahren würde. Flüchtig betrachtet ist der EH7 Chinese durch und durch, das konnten wir bei einer kurzen Testfahrt feststellen: Sehr bequemes Fahrwerk, extrem viel Platz auf der Rückbank und null Gefühl in der Lenkung. Sicher ein bequemes Reisemobil, aber was konkret man besser machen möchte als Rolls-Royce oder Bentley, hat unsere kleine Testrunde leider nicht gezeigt. Klar, der Preis ist signifikant niedriger – aber in diesem Segment ist das wohl einer der unwichtigsten Faktoren.
Das hält Hongqi aber nicht davon ab, große Erwartungen zu wecken. Man sei strategisch sehr langfristig unterwegs, erklärt Design-Chef Giles Taylor im Gespräch mit electrive. Aktuell strebe Hongqi an, zehn Prozent seiner Produktion in Europa abzusetzen – sowohl vollelektrisch als auch mit Plug-In Hybriden.
GAC will mit Qualität überzeugen
Vom innerchinesischen Wettbewerb versucht sich die Guangzhou Automobile Group mit ihrem japanischen Erbe abzusetzen. Durch langjährige Joint Ventures mit Toyota und Honda habe man viel über Verarbeitungsqualität gelernt und möchte sich als besonders langlebig positionieren. Ebenfalls von den Japanern übernommen hat GAC seine Zurückhaltung: Anders als mancher Wettbewerber stapelt man hier die Erwartungen bewusst tief, will den europäischen Markteintritt erstmal in kleineren Ländern wagen – und Deutschland oder Frankreich wohl erst im Jahr 2026 bedienen.
Hartes Erwachen für Build your dreams
Der Europastart von BYD war mit großen Erwartungen verknüpft, die weitestgehend verpufft sind. Überall im Konzern knirscht es, hohe Preise und schwache Ladeperformance machen Atto 3 und Co. zum Ladenhüter, besonders in Deutschland. Abhilfe schaffen soll eine Neuaufstellung des Vertriebs und der Sealion 7 – BYDs erstes europäisches Modell mit vernünftiger Ladeleistung (230 kW). Das noch nicht alles rund läuft, merkt man auch am Messestand: Über dem Sealion 7 steht in großen Lettern „BYD Dolphin“.
Bei Xpeng zieht künstliche Intelligenz ein
Als junges, börsennotiertes Startup unterscheidet Xpeng sich gravierend von vielen anderen chinesischen Autobauern, die meist traditionsreiche Staatsunternehmen sind. Das merkt man auch auf dem Messestand: Wo andere Plug-In Hybride oder mittelmäßige 400-Volt-Produkte zeigen, steht bei Xpeng die 800-Volt-Plattform im Mittelpunkt. Einen Rollback zum Hybrid gibt es nicht, hier bleibt alles elektrisch. Als Neuheit ist der P7+ dabei, ein in einzelnen Punkten verbesserter Xpeng P7. Was die fernöstlichen Hersteller dann doch alle eint: Es ging ihnen in Paris weniger um bahnbrechende Neuheiten und viel mehr darum, in Europa Präsenz zu zeigen.
Elektro ist Standard und PHEV sind trotzdem nicht totzukriegen
Ein Trend setzt sich fort und einer überrascht: Der BEV-Anteil auf der Messe ist weiter gestiegen, viele Stände sind schon „vollelektrisch“. Wo es noch Verbrenner gibt, sind sie fast immer elektrifiziert, reine Verbrenner muss man mit der Lupe suchen. Bemerkenswert ist eine tektonische Verschiebung bei den deutschen OEMs: Während BMW, einst der lauteste Verfechter der Antriebsvielfalt, ausschließlich Elektroautos präsentiert, stehen beim einst voll auf Strom getrimmten VW-Konzern wieder jede Menge Verbrenner.
Chinesische Vielfalt
Das halbe Dutzend fernöstlicher Autobauer zeigt eindrucksvoll, wie heterogen die Industrie im Reich der Mitte ist. Von Traditionskonzernen bis zu Startups ist alles dabei, auch alle Preisregionen und unterschiedliche Antriebskonzepte. Strategisch gibt es große Unterschiede, viele sind langfristig und eher zurückhaltend orientiert, manche aber auch übermütig und vergleichsweise planlos. Zwei Dinge sind für uns jetzt klar: China wird einerseits eine feste Größe im europäischen Automarkt werden, auch mit Strafzöllen – dann eben mit lokalen Produktionsanlagen. Andererseits werden ganz sicher nicht alle OEMs überleben, die jetzt nach Europa drängen. Der chinesischen Autoindustrie steht mittelfristig eine große Konsolidierung bevor.
Der große Umbruch hat gerade erst begonnen
Automessen sind stets ein Gradmesser für den Zustand der Branche. In Paris wurde deutlich, wie viel Dynamik sich aktuell aufbaut. Viele Newcomer, die man auf anderen Messen noch sehr präsent sah (z.B. Nio oder MG) sind schon wieder abgetaucht. Dafür streben mit Hongqi, GAC und Aito noch weitere, weniger bekannte chinesische Hersteller auf den europäischen Markt. Reine BEVs sind zwar dominant vertreten und nicht mehr wegzudenken, trotzdem sind Plug-in-Hybride wieder mehr im Fokus. Der starke Wettbewerb der chinesischen Anbieter untereinander und europäische Regulatorik (von Strafzöllen bis Emissionsvorschriften) halten die gesamte Branche auf Trab. Die erhoffte Erholung des Konzepts „Automesse“ blieb jedenfalls auch in Paris aus, den präpandemischen Messen konnte der diesjährige Autosalon nicht das Wasser reichen.
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