Der Tiefstapler: Wie GAC mit dem Aion V Europa erobern will
„GAC Aion“ ist ein Name, der in Europa kaum jemandem etwas sagt. In China hingegen ist die Guangzhou Automobile Group allen ein Begriff. Als einer der größten Autobauer des Landes verkauft sie 2,5 Millionen Fahrzeuge pro Jahr über alle Antriebsarten hinweg, reine BEVs sind davon etwa ein Fünftel, was sie zum drittgrößten Elektroauto-Produzenten nach BYD und Tesla macht. Bis 2030 will man fünf Millionen Fahrzeuge pro Jahr erreichen.
Den Eckdaten nach also ein Unternehmen, das man ernst nehmen muss, ernster vielleicht als so manches chinesische Startup, das mit hochtrabenden Zielen nach Europa kam und hart auf dem Boden der Realität aufgeschlagen ist. 1955 gegründet, operiert GAC seit 1997 unter dem heutigen Namen, die Elektro-Submarke Aion gibt es seit 2017. Mit dieser Submarke drängt man nun nach Europa und will dabei die Fehler vermeiden, die andere chinesische Autobauer in den vergangenen Jahren gemacht haben. Am Rande des Pariser Autosalons durften wir das erste Mal eine Runde mit dem Aion V drehen – mit diesem Modell will GAC in Europa durchstarten.
Gemütliches Fahren
Bei uns klappt es mit dem Durchstarten nicht auf Anhieb, denn der kantige SUV will ohne Kamera aus der Parklücke bewegt werden, die Benutzeroberfläche ist nämlich noch größtenteils nicht verfügbar. Erfreulich ist dagegen der Direktstart beim Tritt auf die Bremse und die einfache Gangwahl per Lenkstockhebel.
Beim Kickdown passiert recht wenig, für 0-100 km/h lässt der Aion V sich gemütliche 7,9 Sekunden Zeit. Der typische Elektro-Punch fehlt, dafür ist aber auch unser Verbrauch mit 15 kWh/100 km erfreulich niedrig. Für die Rekuperation lässt sich „aus“, „schwach“ und „medium“ auswählen. Dazu kommen die Fahrmodi „Comfort“, „Sport“ und „Energy-Saver“, in letzterem hat der Wagen ein erstaunlich gutes One-Pedal-Drive, sehr fein abgestimmt und angenehm zu fahren.
Die Lenkung lässt sich unabhängig von den Fahrmodi separat auf „Comfort“ und „Sport“ einstellen, wobei „Sport“ in Sachen Härte und Feedback in etwa der normalen Einstellung eines deutschen Autos nahekommt. Auf „Comfort“ ist die Lenkung zwar sehr leichtgängig und deshalb sehr bequem zu steuern, aber auch vollkommen entkoppelt von der Straße. Die Federung ist ebenfalls recht weich gemacht – nichts für dynamische Fahrer, auf französischen Straßen aber angenehm ruckelfrei.
Fahrendes Wohnzimmer
Angenehm ist auch die Sitzmassage, die Fahrer und Beifahrer durchknetet. Die Lehnen der Rückbank lässt sich in verschiedenen Stufen verstellen, außerdem gibt es hinten rechts einen sehr großen und stabilen Klapptisch. Für Erfrischungen sorgt ein Kühlschrank in der Mittelkonsole und gleich zwei Taschenhaken sind wichtig für einen Shopping-Ausflug. All das macht klar: Der Aion V ist kein Fahrzeug für Menschen, die Autofahren als Selbstzweck sehen oder auf puren Fahrspaß aus sind. Viel mehr ist er ein Transportmittel, das seine Insassen möglichst komfortabel von A nach B bringen soll. Am Ziel angekommen spart man sich dann auch gleich das Hotel, denn die Vordersitze und die Rückbank lassen sich zusammen mit einer großen Luftmatratze in ein riesiges Bett verwandeln.
Blackbox Infotainment
Zur Software lässt sich leider nur wenig sagen, denn zu unserer kurzen Probefahrt war die größtenteils nicht verfügbar, da sie bisher noch nicht auf Europa angepasst wurde. Es gibt zwar schon eine englische Übersetzung, die kann aber außer den Fahrzeugeinstellungen nicht viel. Erahnen lassen sich aber OTA-Updates und ein App Store. Zu den weiteren nicht von uns getesteten Features zählen die Fahrerassistenzsysteme und das bidirektionale Laden.
Teurer Strafzoll
Auch zu den Preisen des Aion V machen die GAC-Vertreter noch keine konkrete Aussage, aus mehreren Gründen. Bis zum Marktstart in Deutschland vergeht noch über ein Jahr, Händler müssen gefunden werden und über all dem schwebt das Damokles-Schwert der Strafzölle, im Falle von GAC jene der Maximalstufe, also 35,3 Prozent. Zusammen mit den bereits existierenden zehn Prozent Einfuhrzoll ergibt sich damit eine Gesamtbelastung von 45,3 Prozent.
Auf Basis der chinesischen Preise lässt sich ein möglicher Preis für Europa abschätzen. Rechnet man die Zollgebühren auf die 130.000 Yuan teure Basisvariante hinzu, ergibt sich für Europa ein Mindestpreis von etwa 25.000 Euro. Wohlgemerkt ohne Mehrwertsteuer, die in China auf Elektroautos unter 300.000 Yuan nicht erhoben wird. Mit europäischer Mehrwertsteuer (im EU-Durchschnitt beträgt diese 21,6 %) wird der Aion V wohl kaum unter 30.000 Euro zu haben sein. GAC selbst lässt nur „unter 40.000 Euro“ verlauten, irgendwo zwischen diesen beiden Zahlen wird sich der Preis der Basisvariante also bewegen.
Auch ansonsten geizt GAC noch mit Zahlen, bis auf die Akkugröße (75,3 kWh in unserer Version, in China außerdem mit 62 kWh und 90 kWh erhältlich) und die Abmessungen (4.605 mm lang, 1.854 mm breit und 1.686 mm hoch) sind kaum harte Fakten zu bekommen. Für die Ladeleistung gibt es keinen Wert in kW oder gar eine Ladekurve, sondern nur die Angabe „bis zu 330 Kilometer in 15 Minuten nachladen“.
Vorsichtiger Start in Europa
Auf den ersten Blick sticht der Aion V als Auto nicht wirklich aus der Masse heraus. Er fährt solide, die Passagiere sitzen gut, es ist ordentlich Ausstattung dabei – egal ob Massagesitze, Ambientebeleuchtung, Vollleder oder eben dem Kühlschrank. Sowohl auf der Rückbank als auch im Kofferraum ist viel Platz – einen Frunk gibt es dafür leider nicht. So weit, so gut und so durchschnittlich, denn ein BYD oder MG kann das ebenfalls.
Auch die Preise sind in einer ähnlichen Region wie beim Wettbewerb, wie unterscheidet man sich da noch? Über Qualität und Langlebigkeit, betonen die GAC-Vertreter. Während der Pressegespräche verweist man oft auf die lange Zusammenarbeit von GAC mit Toyota und Honda, wodurch viel japanische Expertise in die Autos geflossen sei. Auch die Themen Aftersales und Restwerte wolle man besser angehen und von den Fehlern der chinesischen Konkurrenz lernen.
Entsprechend tief stapelt GAC die Erwartungen für den Aion V: Obwohl man langfristig mindestens vier Modelle nach Europa bringen möchte und von einer eigenen Produktion träumt, sind für das erste Jahr zurückhaltende 5.000 Fahrzeugverkäufe für ganz (!) Europa geplant. Damit will GAC primär Strukturen aufbauen und den Markt verstehen lernen. Ernsthafte Stückzahlen wird man also erst ab 2026 sehen.
Einen Versuch wert ist diese Strategie auf jeden Fall, es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass ein Nachzügler den Markt von hinten aufräumt. Bei vielen Händlern und Kunden ist der eine oder andere OEM aus China schon negativ besetzt – GAC fängt dagegen auf der grünen Wiese an. Mit dem Aion V haben sie einen soliden ersten Wurf am Start.
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