Was lange währt, wird endlich gut: Erste Ausfahrt mit dem Audi SQ6 e-tron
Fein abgestimmtes Fahrwerk
In der Paradedisziplin des deutschen Autobaus macht auch der Q6 wieder alles richtig. Er lenkt sich angenehm straff und direkt, das Fahrwerk liefert das richtige Feedback von der Straße und bügelt trotzdem jede Bodenwelle zärtlich weg. Begleitet wird das Fahrerlebnis von einem brummigen künstlichen Sound, der uns nicht ganz überzeugt hat. Im normalen Fahrbetrieb okay, bei Vollstrom aber definitiv zu penetrant – das hat die Konzernschwester Porsche schöner gelöst.
Der Gangwahlhebel kennt neben der Fahrstufe „D“ auch einen B-Modus, der echtes und perfektes Onepedaldrive ermöglicht – inklusive Herunterbremsen bis zum Stillstand und Hold-Funktion. Wer die Rekuperation lieber individuell einstellt, kann über Schaltwippen zwischen drei Rekuperationsstufen wählen, auch verzögerungsfreies Segeln ist damit möglich.
Ein nettes Gimmick beim Beschleunigen ist der Zoom-Effekt im Headup-Display: Tritt man das Strompedal beherzt durch, wird die Geschwindigkeitsanzeige immer größer – als würde die brachiale Beschleunigung den Tacho aus seiner Halterung reißen.
Runderneuertes Cockpit
Generell besticht das Headup-Display durch seine schiere Größe. Die bereits von den MEB-Modellen bekannten fliegenden Navigationspfeile hat Audi auf ein neues Level gebracht, sie sind jetzt gestochen scharf, schweben präzise und stabil an der richtigen Stelle und sind eine willkommene Unterstützung beim Navigieren. Vermisst haben wir hingegen eine echte Navi-Karte, wie man sie beispielsweise aus den Headup-Displays von Mercedes oder BMW kennt. Im Tachodisplay fehlt die große Navikarte ebenfalls – schade, denn gerade Audi ist eigentlich dafür bekannt. Erfreulich ist hingegen die Möglichkeit, mit den Lenkradtasten direkt durch die aktuelle Musik-Playlist zu blättern, ohne den Blick von der Straße abzuwenden.
Auch die Assistenzansicht ist herausragend, sie markiert jetzt in sehr groß und optimal im Sichtfeld, ob das vorausfahrende Auto erkannt wurde, welche Fahrbahnmarkierungen es sieht und ob der Abstand zum Vordermann passt.
Auch im restlichen Interieur hat Audi sich mit dem Q6 deutlich nach vorne entwickelt. Aus den altbekannten, zerklüften Armaturenlandschaften ist ein schlanker, großer, zum Fahrer hin geschwungener Bildschirm geworden. Als Ergänzung zum Fahrer-zentrierten Hauptbildschirm gibt es optional ein kleines, aber feines Beifahrer-Display, auf dem Passagiere bequem und ohne Verrenkungen alle wichtigen Funktionen steuern können. Die große Knopf-basierte Klimakontrolle entfällt, was dem Cockpit einen sehr aufgeräumten Look gibt. Weniger aufgeräumt ist dagegen das Bedienpanel in der Fahrertür, hier hat man zu viele Knöpfe an einen Ort bringen wollen, weshalb man das Gefühl hat, auf dem Nummernblock einer Tastatur herumzuklimpern. Es ist schwer, die richtigen Knöpfe blind zu ertasten – was ja gerade bei der Spiegeleinstellung wichtig sein kann.
Ebenfalls nur schwer zu ertasten sind die Lenkrad-Knöpfe. Genau wie das neue Audi-Logo sind sie sehr flach und nahezu ohne jede Erhebung in das Lenkrad eingelassen, reagieren aber neben Druck auch auf Streichbewegungen, was schnell zu ungewollten Aktionen führt. Warum diese Tasten (wie auch ordentliche Teile des restlichen Innenraums) mit billig wirkender glossy Oberfläche versehen sind, erschließt sich uns nicht. Für Strom ist überall gesorgt, neben einem induktiven Ladepad gibt es vier USB-C Anschlüsse.
Viel Luft nach oben – positiv gemeint
Was innen wirklich überzeugt, ist das Platzangebot. Wem der 526 Liter fassende Kofferraum hinten nicht ausreicht, bekommt dank Frunk nochmal 64 Liter zusätzlich Stauraum. Vorne sitzt es sich bequem, aber doch mit ordentlichem Halt an den Seiten und fester Unterstützung im Rücken. Auch die Rückbank kann sich sehen lassen: Stellt man die Vordersitze etwas höher, passen die Füße der Fond-Passagiere bequem darunter, dann ist die Beinfreiheit ordentlich – aber auch nicht substantiell höher als beim kompakteren Q4 e-tron. Im Wortsinne herausragend ist aber die Kopffreiheit, über dem 1,80 Meter großen Redakteur ist noch mehr als eine Hand breit Platz bis zum Kontakt mit dem Dachhimmel. Enttäuschend ist dagegen der Mittelsitz, der dank Mitteltunnel und schmaler Dimensionierung nicht wirklich bequem ist. Positiv ist dabei aber zu erwähnen, dass der komplette mittlere Sitz umgeklappt werden kann und so eine Durchreiche bildet, in der die Skier für die ganze Familie Platz finden. Apropos Familie: ISOFIX-Plätze gibt es drei – keine Selbstverständlichkeit mehr, viele Autobauer sparen den vorderen Platz gerne weg.
Durchschnittliche Assistenz
Die Fahrerassistenzsysteme sind solider Branchenschnitt, aber leider kein „Vorsprung durch Technik“. Das Abstandhalten läuft ebenso sicher wie flüssig, das Spurhalten ist dagegen ein ziemlicher Eiertanz. Statt strammer Zentrierung in der Fahrbahnmitte bekommt man wiegenartiges Pendeln vom linken zum rechten Fahrbahnrand und wieder zurück. Das machen nicht nur diverse externe Konkurrenten deutlich besser, auch die Schwestermarke Porsche kann das schöner. Trotzdem: In der sinngemäßen Nutzung als unterstützendes Level 2-System machen die Assistenten, was sie sollen – wenn man nur die Hände am Lenkrad lässt.
Software bleibt bei VW eine Wundertüte
Generell hat uns die Software mit gemischten Gefühlen zurückgelassen. Verglichen mit der Software in den MEB-Audis und selbst im Vergleich zum e-tron GT hat Audi beim Q6 einen Quantensprung nach vorne gemacht. Alles läuft flüssig, man findet sich leichter zurecht und der Ladeplaner ist wirklich brauchbar geworden. Drittanbieter-Apps wie Spotify sind sehr hübsch integriert und Android Auto nutzt die Fläche des großen Bildschirms voll aus – das macht richtig Spaß. Den EU-Tempopiepser kann man mit einem Knopfdruck abschalten, das ist zielgruppengerechte Bedienung.
Gleichzeitig gibt es aber immer noch verschachtelte Untermenüs und sinnlose seitenlange rechtliche Hinweise, damit man auch sicher weiß, dass man beim Fahren bitte auf die Straße schauen soll. Hier durften sich die Hausjuristen mal wieder voll austoben, so viele rechtliche Disclaimer wie im VW Konzern findet man bei keinem anderen Autobauer. Das Beifahrerdisplay sagt einem alle Nase lang, was man während der Fahrt alles nicht nutzen darf, weil es den Fahrer ablenken könnte. Die Pointe dabei: In diesem Fall schaltet sich das Beifahrerdisplay für den Fahrer ohnehin dunkel. Diese Denkweise zieht sich leider wie ein roter Faden durch das gesamte Bedienkonzept.
Während man sich in Details verliert, fehlen dann so banale Dinge wie ein Filter für 300 kW Ladesäulen im Navi. Dort können DC-Ladesäulen nach den Stufen <50 kW, <100 kW und >150 kW gefiltert werden – die für ein 800 Volt-Fahrzeug wirklich relevante Stufe „>250 kW“ hat man im Eifer des Gefechts vergessen. Was schade ist, denn der Wagen kann zuverlässig und reproduzierbar in rasanten 21 Minuten von 10 auf 80 % Laden.
Die Sprachsteuerung kann eine Hand voll Basisfunktionen wie z.B. die Temperatur erhöhen, kommt dann aber recht schnell bei einfachsten Aufgaben an ihre Grenzen. Auf die Bitte, sie möge uns nach „Vienna“ navigieren, dreht sich die Weltkugel im Display weit nach Osten und zoomt nach Vietnam – wir geben das Thema Sprachsteuerung auf und das Ziel lieber von Hand ein.
Überragende Hardware mit mittelmäßiger Software
In vielerlei Hinsicht ist der Q6 symptomatisch für Audi – nein, für den VW Konzern insgesamt. Feine Technik beherrscht man in Wolfsburg, Ingolstadt und Weissach blind, auch der Q6 ist in Sachen Hardware ein hervorragendes Produkt, von 800 Volt bis zum Luftfahrwerk hat man alles richtig gemacht. Leider steht man sich auf dem Weg zur Perfektion aber immer wieder selbst im Weg und so ist unser Hauptkritikpunkt eine altbekannte Schwachstelle: Auch mit zwei Jahren Verspätung liefert Audi nicht das Niveau an Software, das viele Konkurrenten bieten.
So hinterlässt der Q6 e-tron bei uns den Eindruck, dass Audi aktuell weit unter seinen Möglichkeiten unterwegs ist, dass die gleichen Autos mit besserer Software viel mehr könnten.
Und trotz dieser Kritik macht der Q6 Lust auf alles, was von Audi noch kommen wird. Mit Onepedaldrive, zahlreichen Licht-Features und dem unverkennbaren Design grenzt man sich von Schwestermodell Porsche Macan klar ab. Bei anderen Modellen war der fehlende preisliche Abstand zwischen Porsche und Audi ein Problem, nicht so bei Macan und Q6, hier gibt es den Audi ab 63.500 € und damit satte 17.200 € billiger als den Porsche.
Mit der PPE ist Volkswagen ohne Zweifel zukunftssicher aufgestellt. Wenn Audi jetzt noch ein das nötige Finetuning für die Software nachliefert, kann der Q6 der Gamechanger werden, den das Unternehmen so dringend braucht.
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