Daimler holt zum großen Elektro-Wurf im Überlandsegment aus
Überlandbusse verbinden das Umland mit den Kommunen. Sie halten nicht so häufig wie Stadtbusse, fahren auch mal schneller – etwa auf Landstraßen – und befördern die Gäste eher sitzend über längere Strecken. Diese Busse, die in Deutschland regulatorisch als Klasse-II-Fahrzeuge geführt werden (Stadtbusse: Klasse I), sind bedeutender als man vielleicht meint. Das verdeutlichen folgende Zahlen: Der Gesamtbusmarkt in Europa hatte 2023 eine Größe von rund 32.600 Einheiten, davon entfielen etwa zwei Drittel auf das Stadt- und Überlandsegment. Und zwar fast zu gleichen Teilen.
Bisher steckt die Elektrifizierung im Intercity-Bereich noch in den Kinderschuhen, aber die Branche bringt sich in Stellung – auch Daimler Buses mit einem jetzt enthüllten seriennahen Prototypen namens eIntouro. Dessen Präsentation war dieser Tage der Höhepunkt der „Daimler Buses eMobility Days“, einer mehrtägigen Hersteller-Veranstaltung zum Thema E-Mobilität in Berlin. „Die Anbindung der Randgebiete an die Stadt ruft nach einer Elektrifizierung. Reichweiten von 500 Kilometer sind dabei mehr als ausreichend, um über die Stadt hinaus elektrifizieren zu können“, betont Till Oberwörder, Chef der Bussparte von Daimler Truck.
„Kunden haben ihre Scheu abgelegt“
Und auch Oberwörder weiß, dass der Kuchen in Europa ähnlich groß ist, wie das der Stadtbusse, wo die Elektrifizierung schnell voranschreitet. Zugänglich wird der neue Markt nun on top, weil „die Kunden im Gegensatz zu 2018 oder 2019 ihre Scheu abgelegt haben“. Oberwörder rechnet also mit einer rasch steigenden Nachfrage, die sich auf die positiven Erfahrungen im Stadtbussegment stützt.
Wie der Mercedes-Benz eIntouro aufgebaut ist, haben wir bereits ausführlich beschrieben. Deshalb hier nur die wichtigsten Punkte: Der auf dem Verbrenner-Intouro aufbauende Stromer kommt mit bis zu zwei Batterien à 207 kWh rund 500 Kilometer weit und ist antriebstechnisch mit dem elektrischen Fernstrecken-Lkw Mercedes eActros 600 verwandt. Beide Fahrzeuge setzen auf dieselbe LFP-Batterie – laut Hersteller ein Musterbeispiel für die Gleichteile-Strategie des Daimler-Truck-Konzerns. Geladen werden kann der neue E-Bus mit 300 kW in eineinhalb Stunden. Wenn nur eine Batterie an Bord ist, dauert der Ladevorgang 70 Minuten.
Apropos Laden: Überlandbusse kommen wie Stadtbusse in der Regel abends ins Depot, wo sie also in Ruhe laden können. Genau dieser Umstand stimmt Oberwörder positiv, dass Intercity-Fahrzeuge nach dem Vorbild von Stadtbussen mit Strom betrieben werden können: „Der ÖPNV hat gezeigt, dass es funktioniert. Es ist möglich, im Depot zu laden und wir haben auch keine Probleme mehr, die geforderten Reichweiten abzudecken.“
Zum Preis des eIntourno äußert sich Daimler Buses noch nicht. Oberwörder lieferte diese Woche in einem Presse-Briefing aber Hinweise, so könne der E-Überlandbus je nach Ausstattung und Batteriekonfiguration „etwa 1,5 bis 2 mal so viel wie ein ähnlich ausgestatteter Diesel-Überlandbus“ aus dem eigenen Haus kosten. Die Betriebskosten liegen aber unter jenen der Diesel-Pendants, was sich mit steigender Laufleistung immer mehr in den TCO bemerkbar macht. Beim Stadtbus sei man bei den TCO bereits „durchaus auf Augenhöhe“, sagt Oberwörder. Und: „Eine ähnliche Entwicklung sehen wir auch für das Überlandsegment.“
Produktion in der Türkei und Frankreich
Kunden können den neuen E-Überlandbus aus dem Daimler-Portfolio ab Anfang 2025 bestellen, die Weltpremiere des Serienfahrzeugs hat das Unternehmen für die Busworld im Oktober 2025 in Brüssel angekündigt. Erste Kundenauslieferungen sollen anschließend ab 2026 folgen. Zurzeit wird der eIntouro noch in Deutschland fertigentwickelt. Die Produktion soll dagegen in der Türkei und Frankreich erfolgen – konkret im Werk Hosdere von Daimler Buses nahe Istanbul und in der Fabrik im französischen Ligny. Beide Werke wolle man befähigen, zukünftig den eIntouro zu bauen, so das Unternehmen.
Dass der Aufschlag mit einem strombetriebenen Intercity-Bus Mitte der Dekade erfolgen würde, hat Daimler Buses schon länger in seiner Elektro-Roadmap fixiert. Demnach sollen bis 2030 auch elektrische Reisebusse folgen, was Oberwörder als nächsten großen Meilenstein bezeichnet. Das Reisebussegment sei mit Blick auf die Ladeinfrastruktur aber „noch ein Sorgenkind“, denn alleiniges Depotladen ist bei diesen Fahrzeugen nicht möglich. Reisebusse sind auf Schnelllader an Autobahn-Raststätten und an ihren Zielorten („Sehenswürdigkeiten, Sportstätten, Freizeitparks, etc.“) angewiesen. Wasserstoff-Reisebusse, die Daimler Buses ebenfalls entwickelt, bräuchten analog Tankmöglichkeiten.
Ladeinfrastruktur als Nadelöhr
Laut Oberwörder sind für die Einführung von E-Reisebussen in Europa konkret rund 35.000 Schnellladesäulen und etwa 2.000 Wasserstofftankstellen Voraussetzung. Das hieße, dass jede Woche 400 Ladestationen und 30 Wasserstofftankstellen gebaut werden müssten. „Doch das geschieht nicht“, so der Topmanager. Auch reiche es nicht, unterwegs nur einen isolierten Ladepunkt anzusteuern. „Wir brauchen die Ladeinfrastruktur an Raststätten mit sanitären Anlagen und Verpflegungsangeboten für um die 100 Gäste.“
Immerhin: Für Ausflüge und kleinere Reisen soll sich auch der eIntouro schon eigenen – so hat das Modell beispielsweise optional eine Toilette an Bord. Aber über die Mittelstrecke hinaus geht es mit dem strombetriebenen Überlandbus kaum. Auf welche Marktlage der eIntouro bei seinem Launch treffen wird, hatte im Sommer bereits die Europäische Beobachtungsstelle für alternative Kraftstoffe (EAFO) mit einer Marktübersicht skizziert. Im Jahr 2023 wurden demnach in Europa 200 elektrische Überlandbusse zugelassen – gegenüber mehr als 6.000 Batterie-elektrischen Stadtbussen, die im gleichen Zeitraum auf die Straßen kamen.
Diese Diskrepanz verdeutlicht zwar das frühe Stadium der Einführung von Elektrobussen im Überlandverkehr, doch gibt es aus Sicht der EAFO mehrere ermutigende Entwicklungen in diesem Sektor, die ein schnelles Wachstum in den kommenden Jahren erwarten lassen – allen voran die neuen gesetzlichen Leitplanken. Denn die Europäische Union hat sich bekanntlich ehrgeizige Ziele gesetzt, um die CO2-Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen zu verringern. In diese Kategorie fallen auch Überlandbusse. Bis 2030 müssen die Emissionen bei Neuzulassungen schwerer Nutzfahrzeuge um 45 % gesenkt werden, bis 2035 um 65 % und bis 2040 um 90 %. Diese Vorschriften verpflichten die Hersteller, die Entwicklung und den Absatz von Elektrobussen im Überlandbereich zu beschleunigen.
Chinas Marken bisher ohne Konkurrenz
Doch bleiben wir noch kurz beim Status Quo des jungen Markts. Laut der DVV Media Group (zuvor Wim Chatrou) waren alle 2023 zugelassenen Überlandbusse mit Elektroantrieb chinesische Fahrzeuge. Wie „Omnibus News“ im Detail ausführt, stammen die Busse mehrheitlich von Yutong, aber auch von Golden Dragon oder Higer. Von electrive auf die Konkurrenz aus Fernost angesprochen, führt Oberwörder übrigens aus, dass man es gewohnt sei, in einem wettbewerbsintensiven Umfeld zu arbeiten: „Wir haben immer großen Respekt vor der Konkurrenz. Das ist für uns ein Anreiz, um besser sein.“ Natürlich gebe es auch asiatische Bewerber im Markt, der Daimler-Buses-Chef sieht seine Sparte aber vor allem bei der Teileversorgung, dem Service- und Werkstattnetz gut aufgestellt. „Auch das ist neben den Fahrzeugen selbst eine wichtige Facette.“
Auch innerhalb Europas wird der Markt für elektrische Überlandbusse in absehbarer Zeit zu einem viel beackertes Feld: Vorgelegt hat bereits Iveco Bus mit dem Crossway LE Elec, der im Sommer 2023 als elektrischer Stadt- und eben auch als Überlandbus mit Klasse-II-Zulassung enthüllt wurde. Letzterer kommt per Zentralmotor auf 330 kW Leistung und hat Batterien (416 oder 485 kWh Energiegehalt) für eine Reichweite von bis zu 400 Kilometern an Bord. Das Modell erhielt 2023 den Titel des „Sustainable Bus of the Year“.
An zweiter Stelle zu nennen ist der im vergangenen Oktober vorgestellte MAN Lion’s City E LE. Dabei handelt es sich um die neue Low-Entry-Variante des klassischen Lion’s City E. Das Batterie-elektrische Modell wartet im Heck mit einem Hochboden auf. Am bekannten Antrieb ändert sich nichts. Das Modell leistet 160 kW Dauer- und 240 kW Spitzenleistung und beherbergt bis zu sechs Batteriepacks mit insgesamt 480 kWh für bis zu 350 km Reichweite. Für 2025 plant MAN auch die Einführung eines E-Reisebusses. Das aber nur am Rande.
Nicht fehlen darf bei der Auflistung der vielversprechendsten Vorstöße ins Überland-Segment die im Frühjahr vorgestellte BZR-Plattform von Volvo. Die Batterien der Plattform kennen wir bereits aus Volvos E-Trucks. Auf ihr soll 2025 der erste elektrische Volvo-Überlandbus in den Verkauf gehen: Der Volvo 8900 Electric ist ebenfalls ein Low-Entry-Bus. Er wird in zwei Längen (12,3 oder 14,9 Metern) angeboten und kann mit vier bis sechs Batteriepaketen à 90 kWh ausgestattet werden, was in Summe einen maximalen Energiegehalt von 540 kWh ergibt. Den E-Antrieb gibt es wahlweise als einmotorige Version mit 200 kW oder als zweimotorige Version mit 400 kW. Die Karosserie des Volvo 8900 Electric wird unterdessen von Manufacturing Commercial Vehicles (MCV) hergestellt. Hintergrund ist, dass Volvo Buses 2023 entschieden hat, in Europa künftig keine Komplettbusse mehr selbst herzustellen. Reichweiten-Angaben zum 8900 Electric macht Volvo noch nicht.
Scania bringt für Überlandlinien ebenfalls einen elektrischen LE-Bus namens Scania BEV Low Entry Class II auf einer neuen Plattform heraus. Vorgestellt wurde der Ansatz bei der 2023er Busworld in Brüssel. In einem ersten Schritt sollen auf der Plattform 4×2-Low-Entry-Busse aufbauen, die dann „unter optimalen Bedingungen Reichweiten von mehr 500 Kilometer“ erreichen. Als Aufbauhersteller holt sich Scania die Firma Castrosua an die Seite. Einen Launch-Termin gibt es noch nicht, aber im Februar wurde das Serienmodell in Spanien präsentiert. Es kann also nicht mehr lange dauern.
Von Solaris ist ferner bekannt, dass der Hersteller bis 2026 eine Hochflur-Elektrobusplattform für Überlandbusse („E-InterUrbino“)herausbringen will, die sowohl als Batterie- als auch als Wasserstoffvariante erhältlich sein soll. Temsa und Otokar sind bereits mit je einem BEV-Überlandbus draußen, dem Temsa LD SB E und dem e Territo. Um relevante Hersteller zu werden, müssen die Türken in Europa aber noch mehr Marktanteile gewinnen. Beim niederländischen Busbauer VDL kommt die neue E-Bus-Generation des VDL Citea bereits für den Überlandverkehr in Frage. Und Spaniens Irizar hat vor einem Monat sein erstes elektrisches Überland-Busmodell namens i3 electric vorgestellt.
Quelle: Presse-Briefing, daimlertruck.com
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