Daimler Truck schickt den eActros 600 in die Serienfertigung
Der erste von Daimler Truck im Werk Wörth gefertigte eActros 600 mit Serienstatus ist weiß lackiert, trägt das Nummernschild GER ZE 404 und hört auf den Namen Job #1. Der elektrische 40-Tonner für den Fernverkehr ist der Hauptakteur bei der Eröffnungszeremonie diesen Freitag in Wörth. 2021 startete an identischer Stelle schon der Serienbau des eActros 300/400 für den Verteilerverkehr. 2022 folgte der bauähnliche eEconic für den Kommunaleinsatz. Aber erst für die Herstellung des neuen strombetriebenen Fernverkehrs-Lkw haben die Rheinland-Pfälzer in größerem Stil in ihre Linienfertigung eingegriffen. Denn: Der eActros 600 wird flexibel auf einem Band mit Verbrennern gebaut und ist damit der erste elektrische Lkw aus Wörth, dessen kompletter Aufbau in einer
Produktionshalle stattfindet. Die beiden kleineren Elektro-Baureihen mit bis zu 27 Tonnen wurden und werden weiterhin zum Einbau der E-Komponenten in eine andere Halle gebracht. Der Aufwand für den 600er zeugt also von dem Marktpotenzial, das die Konzernspitze in ihrem neuen Elektro-Flaggschiff sieht.
Kurz zum 600er selbst: Seine Weltpremiere feierte das Fahrzeug im Oktober 2023. Den Namen hat es seiner Batteriekapazität von über 600 Kilowattstunden zu verdanken. Ferner beherbergt der XXL-Stromer eine neue E-Antriebsachse aus eigener Entwicklung mit 400 kW Dauer- und bis zu 600 kW Spitzenleistung und eine sogenannte Frontbox, die im ehemaligen Motorraum Steuergeräte, Hochvolt-Komponenten und den elektrischen Luftpresser bündelt. Die Reichweite des elektrischen Hoffnungsträgers: 500 Kilometer. Geladen werden kann der eActros 600 per CCS mit bis zu 400 kW, auch Megawattladen soll der E-Lkw später beherrschen, sobald die MCS-Norm fertig ausgearbeitet ist.
Erste Auslieferungen sind noch KsNI-gefördert
Neben Wörth spielen bei der Fertigung des eActros 600 auch die Daimler-Truck-Werke Mannheim, Kassel und Gaggenau eine wichtige Rolle. Sie steuern wie berichtet Komponenten wie die E-Achse, Getriebeteile und die erwähnte Frontbox bei. Die ersten in Serie gefertigten Fahrzeuge sollen nun zunächst vor allem als Vorführfahrzeuge an Niederlassungen und Händler gehen. Es werden aber auch noch 2024 erste Kundenexemplare gefertigt und zugelassen, die laut dem Unternehmen sogar noch KsNI-gefördert sind. Sprich: Einige Kunden haben früh genug bestellt, um noch von der längst ausgelaufenen Subvention des Bundes zu profitieren.
In der Wörther Produktion erblicken die schweren Elektromodelle auf Linie 2 das Licht der Welt. Die Linie 1 ist für leichtere Modelle reserviert, die Linie 3 bleibt schweren Verbrennern vorbehalten. In der Mitte teilen sich Verbrenner und Stromer die Linie 2. Ihr Aufbau sei sich in vielen Aspekten ähnlich, teilt uns einer der Produktionschefs bei der Führung mit: Ein Rahmen dient als Rückgrat für die Achsen, während die Verbrenner dann ihr Getriebe, Tanks und Abgasvorrichtungen verpasst bekommen, erhalten die E-Modelle frühzeitig ihre E-Achse, den Inverter, die Batteriehalterungen. Orangene Kabel, die sich über das Chassis ziehen, zeugen von Hochvolt. Alle an der Linie 2 eingesetzten Mitarbeiter wurden für die Arbeit mit diesen Komponenten aufwendig geschult.
Batterien erhält der E-Lkw am Ende der Linie
Auf dem Weg durch die Produktionshalle kreuzen uns immer wieder kleine selbstfahrende Transportboxen, die Teile von A nach B bringen. Sie bahnen sich sensorgetrieben den Weg an der Journalisten-Gruppe vorbei. Doch die Augen zurück zur Linie 2: In ihrem Verlauf sind zwei, drei Stationen besonders markant. Bei der „Verlobung“ schweben je nach Motorisierung Verbrenneraggregat oder Frontbox heran, bei der „Hochzeit“ kommt das Fahrerhaus von oben. Für die Monteure soll es „egal sein, ob sie eine E-Achse oder eine Dieselmaschine einbauen“. Anfangs ist es aber natürlich herausfordernd, die Montage der E-Komponenten in den straffen Zeitplan der sich langsam aber stetig fortbewegenden Linie einzutakten. Interessant ist: Die drei Batteriepakete à 207 kW erhalten die eActros 600 erst am Ende der Linie. Sie werden seitlich eingeschoben. Danach rollen antriebsunabhängig alle Einheiten zur Endabnahme auf den Prüfstand.
Doch bleiben wir noch bei der Batterie. Für den 600er wird diese einbaufertig von CATL geliefert. Auch der neue E-Überlandbus von Daimler Buses wird denselben Akku ab Ende 2025 nutzen, was auf die Gleichteile-Strategie des Konzerns einzahlt. Abrufen kann Daimler Truck die fertigen LFP-Batteriesysteme aus einem CATL-Lager in Deutschland. Dieser Ansatz unterscheidet sich stark von der bisherigen Beschaffung. Denn die Batterien für den eActros 300/400 bzw. eEconic wurden im eigenen Komponentenwerk in Mannheim montiert – unter Rückgriff auf CATL-Zellen. Grundsätzlich ist Daimler Truck bei seinem Elektro-Schwergewicht erstmals auf die Lithium-Eisenphosphat-Zelltechnologie umgestiegen. Laut Karin Rådström, CEO von Daimler Truck, wegen der hohen Lebensdauer und mehr nutzbarer Energie. Das Fahrzeug soll 1,2 Millionen Kilometer Laufleistung in zehn Betriebsjahren schaffen.
Integration von E-Lkw „ein großes Lernexperiment“
Laut Standort-Leiter Andreas Bachhofer soll der Hochlauf des strombetriebenen 40-Tonners nun sukzessive erfolgen. Über Weihnachten stehen letzte Anpassungen an der Linie an, damit die Mitarbeiter bei den XXL-Stromern zwischen den Verbrennern noch besser mit der Geschwindigkeit der Linie mithalten können. Die Flexibilität sieht Bachhofer dabei als großes Plus, um die Produktion stets der Nachfrage anzupassen. Dabei habe man viele Learnings von der eActros 300/400-Produktion eingewebt. Das ganze Projekt der E-Lkw-Integration nennt Bachhofer „ein großes Lernexperiment“. Eine Prognose, wie sich der Antriebs-Mix auf Linie 2 entwickeln könnte, wollen die Verantwortlichen dabei nicht abgeben.
Michael Wolf, technischer Projektleiter für den eActros 600, ist einer der „Väter“ des Neumodells und entlässt den strombetriebenen 40-Tonner an diesem Tag in sein Produktions-Eigenleben. Die 500 Kilometer Reichweite sind in seinen Augen nicht das Ende der Fahnenstange. „Die Batterie entwickelt sich weiter. Beim Gewicht können wir nicht mehr viel zulegen, da sind wir fast am Limit, aber bei der Leistungsdichte. Ich persönlich glaube, dass zukünftig 800 bis 900 Kilometer mit einer Batterieladung denkbar sind.“ Es gehe am Ende um die richtige Balance – u.a. zwischen Reichweite und Zuladung (die sich am Fahrzeug-Gewicht bemisst). Der 600er kommt bei 500 km Reichweite („eher konservativ gerechnet“) auf 44 Tonnen zulässige Gesamtmasse und rund 22 Tonnen Nutzlast. Offenbar eine überzeugende Mischung: Der Hersteller verbuchte bisher 200 feste Bestellungen und eine vierstellige Anzahl von Abnahme-Absichtserklärungen.
Fernverkehr bietet großen CO2-Hebel
Karin Rådström, seit Kurzem zur Chefin von Daimler Truck aufgerückt, bezeichnet den eActros 600 als „Benchmark der Branche“. Die Konkurrenz hängt in der Tat noch etwas hinterher, sei es in Form von Modellen, die es zwar schon gibt, die bei der Reichweite aber noch zwischen Verteiler- und Fernverkehr stehen. Oder sei es in Form von zwar angekündigten, aber noch nicht serienreifen E-Lkw für die Fernstrecke, wie bei Volvo Trucks. „Der Beginn der Serienproduktion unseres eActros 600 ist ein weiterer Beweis unserer Ambition, die Branche zu verändern“, führt Rådström aus. Der eActros 600 ziele auf das Langstreckensegment in Europa, das für zwei Drittel der CO2-Emissionen im schweren Straßengüterverkehr verantwortlich ist. „Unser batterieelektrischer Fernverkehrs-Lkw wird daher einen echten Unterschied machen.“
Vor etlichen geladenen Gästen, darunter Vertretern aus Politik und Wirtschaft, macht Rådström aber auch klar, dass ein gutes Produkt und eine sich annähernde Kostenparität zwischen E-Lkw und Diesel-Lkw allein nicht reichen, um Kunden zu überzeugen. „Die Ladeinfrastruktur droht, zum Flaschenhalt zu werden“. Laut der CEO sind für den Lkw-Fernverkehr in Europa bis 2030 rund 35.000 Schnellladesäulen Voraussetzung, um herstellerseitig die EU-Vorgaben zu erfüllen. Das hieße, dass jede Woche 400 Ladestationen gebaut werden müssten – was nicht geschieht. Erst am Morgen, so schildert es Rådström, sei sie in Brüssel gewesen, um dort unter anderem auf den Missstand aufmerksam zu machen, dass die neuen EU-Flottengrenzwerte für Nutzfahrzeuge und die europäische Alternative Fuels Infrastructure Regulation, besser bekannt als AFIR, „nicht zusammenpassen“. Denn gemäß AFIR wären nur 17.000 Schnellladesäulen bis 2030 nötig. „Beides sollte zumindest logisch ineinandergreifen“, so Rådström. Über die Zeit müsse dann der Markt übernehmen: Sprich, es braucht Geschäftsmodelle, die den Aufbau von Ladern privatwirtschaftlich attraktiv machen.
Michael Brecht, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrat Daimler Truck, betont unterdessen, dass der eActros 600 schon deshalb ein sehr wichtiges Produkt sei, weil an ihm künftig gewissermaßen tausende Arbeitsplätze hängen werden. Allein rund 10.000 Mitarbeiter hat das Wörther Werk – und ist damit zweitgrößter Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz. Beim regulären Dauereinsatz des eActros 600 wollen die Wörther derweil vorangehen: Bis Ende 2026 soll die komplette Elektrifizierung des Lieferverkehrs erfolgen. In diesem Kontext hat Daimler Truck erst vor wenigen Tagen einen Ladepark nahe der Werkseinfahrt am Tor 2 eröffnet. Die Initiative ist Teil einer vom Konzern vorangetriebenen Vision, die Fertigung CO2-neutral zu machen.
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