Mercedes-Benz forscht an radfernen Bremsen und Solarlack

Autobauer Mercedes-Benz gibt Einblicke in seine aktuellen Forschungsaktivitäten, die auf die Zeit nach der Antriebswende zielen. Als zukünftige Technologien werden bei dem Hersteller gegenwärtig beispielsweise In-Drive-Bremsen, ein spezieller Power Converter oder eine Solarlackierung gehandelt.

Entwickler von Mercedes-Benz beschäftigen sich bereits mit dem automobilen Fortschritt „weit nach der jetzigen Ära der Transformation“, wie das Unternehmen mitteilt. Während der Technologieträger Vision EQXX einen Ausblick auf die nähere Zukunft gibt, befassen sich die Experten des Autobauers also parallel schon mit einer neuen Generation von Innovationen.

Bremsen in der Elektromotor-Getriebe-Einheit

Ein Forschungsstrang thematisiert dabei die Bremsen, die die Stuttgarter in Zukunft möglichst aerodynamisch und wartungsarm machen wollen. Dazu rücken sie die Bremsen von ihrer radnahen Position in eine geschlossene Elektromotor-Getriebe-Einheit an der Hinter- oder Vorderachse, wo sie nur wenig Bauraum beanspruchen. Diesen Ansatz verfolgt der Autobauer, „da Elektrofahrzeuge vorrangig durch Rekuperation bremsen“, was neue Wege bei der Entwicklung mechanischer Bremsen eröffne.

mercedes benz in drive brake 2024
Bild: Mercedes-Benz

Derart zentralisiert, soll die In-Drive-Bremse nach den derzeitigen Forschungsergebnissen kaum verschleißen, nicht rosten und nahezu wartungsfrei sei. Außerdem könne die Bremswirkung gut dosiert werden. „Das würde die Bremse sehr langlebig und zuverlässig machen“, resümiert Mercedes-Benz. Und: „Es würden keine Feinstaubemissionen durch Bremsabrieb nach außen gelangen. Und auch Bremsgeräusche und Bremsenreinigung könnten künftig der Vergangenheit angehören.“

Außerdem soll diese Konstruktion eine deutlich leichtere Rad-Reifen-Kombination und somit weniger ungefederte Massen erlauben, was wiederum dem Fahrkomfort zugutekommt. Auch komplett geschlossene Felgen für eine verbesserte Aerodynamik würden möglich, da keine Öffnungen zur Bremsenkühlung mehr nötig wären, merken die Entwickler an.

Mikrowandler direkt auf der Batteriezellebene

Als weitere vielversprechende Innovation nennen die Stuttgarter einen Power Converter als zentraler Akteur in der Hochvolt-Architektur künftiger Elektroautos. Er soll die Effizienz der Batterie durch Steuerprozesse auf Zellebene erhöhen. Mercedes-Benz führt aus: „Ein programmierbarer Mikrowandler könnte zukünftig über die Grenzen derzeit üblicher elektrischer Wechselrichtersysteme hinausgehen und die bestehende Hochvolt-Architektur revolutionieren. Basis hierfür ist eine Integration dieser Mikrowandler direkt auf der Batteriezellebene, die die Regelung jeder einzelnen Batteriezelle und die Kommunikation der Zellen untereinander ermöglichen könnten.“

mercedes benz power converter 2024
Bild: Mercedes-Benz

In der Praxis soll dazu ein aus mehreren Mikrowandlern bestehender Power Converter direkt an eine beliebige Anzahl von Batteriezellen angeschlossen werden. Der Ansatz ermöglicht es, Zellen individuell zu steuern und die Höhe der Ausgangsspannung dieser Einheit zu regeln. „Die derzeitigen Forschungsergebnisse zeigen, dass damit – unabhängig vom Ladezustand (SoC = State of Charge) und dem Alterungszustand (SoH = State of Health) der einzelnen Zellen – eine konstante HV-Spannung von 800 Volt am Ausgang bereitgestellt werden kann“, heißt es. Die Ausgangsspannung dieser Fahrzeugbatterie sei nicht mehr von der Anzahl der in Reihe geschalteten Batteriezellen abhängig. Die Anzahl werde lediglich durch die gewünschte Leistungs- und Kapazitätsklasse vorgegeben. Zusätzlich könnte dieser technologische Ansatz aus Sicht der Entwickler die Reichweite steigern und den Energiefluss auch für bidirektionale Ladevorgänge optimieren.

Als Nebeneffekt könnten sich zudem neue Freiheiten bei der Modularisierung von Elektro-Antrieben ergeben. Denn: „Die programmierbaren Mikrowandler könnten die Varianten elektrischer Bauteile in der Produktion reduzieren, für aktuelle Updates leicht umprogrammiert werden und sich so als […] Einheitsbauteile anbieten. Sie könnten in vielen zukünftigen Elektromodellen von Mercedes-Benz zum Einsatz kommen“, führt das Unternehmen aus.

Zusammengefasst hat die neuartige Technologie das Potenzial, mehrere Funktionen der Leistungselektronik in die Batterie zu integrieren. Dadurch könnten laut Mercedes-Benz verschiedene Leistungskomponenten durch die Batterie selbst realisiert werden und ein neues Level der Hochintegration bei Elektrofahrzeugen erreicht werden.

Solarlack auf allen Außenflächen des Fahrzeugs

Geforscht wird bei dem Autobauer zudem an einer Solarlackierung, die „Strom für 12.000 Kilometer und mehr im Jahr erzeugen könnte“. Diese besteht aus innovativen Solarmodulen, die 5 Mikrometer breit sind („deutlich dünner als ein menschliches Haar“) und nur 50 Gramm pro Quadratmeter wiegen. Aufgebracht werden die Module wie eine hauchdünne Paste.

„Die Solarzellen haben einen Wirkungsgrad von 20 Prozent und sind damit hocheffizient. Eine Fläche von 11 Quadratmetern – das entspricht der Oberfläche eines Mid-Size-SUV – könnte unter Idealbedingungen Energie für bis zu 12.000 Kilometer im Jahr produziert werden“, teilt das Unternehmen mit. Die durch die Sonnenzellen erzeugte Energie werde dann zum Fahren verwendet oder direkt in die Hochvoltbatterie eingespeist. Und: Das Photovoltaiksystem erzeuge auch Energie, wenn das Fahrzeug ausgeschaltet ist. „Damit könnte es in Zukunft eine sehr effektive Lösung für höhere Reichweiten und weniger Ladestopps bieten“.

Der Ertrag hängt in der Praxis natürlich von Beschattung, Sonnenintensität und geografischer Lage ab. Dazu nennt Mercedes zwei Beispiele: „Statistisch legen Mercedes-Benz Fahrerinnen und Fahrer in Stuttgart im Durchschnitt 52 Kilometer am Tag zurück. Rund 62 Prozent dieser Fahrleistung würden durch Sonnenenergie abgedeckt. In Los Angeles ergibt sich sogar ein Überschuss an Energie durch die Sonneneinstrahlung. Der Kunde könnte im Mittel 100 Prozent seiner Fahrstrecke durch die Solarenergie abdecken. Der erzielte Überschuss könnte über bidirektionales Laden direkt ins Hausnetz eingespeist werden.“

Der Solarlack soll nicht nur ein hohes Effizienzpotenzial haben, sondern laut den Entwicklern auch frei von Seltenen Erden und Silizium sein. Er könne problemlos recycelt werden und sei in der Herstellung erheblich günstiger als konventionelle Solarmodule. Derzeit arbeitet der Forschungsbereich von Mercedes-Benz nach eigenen Angaben intensiv daran, den Einsatz des neuartigen Solarlacks auf allen Außenflächen des Fahrzeugs zu ermöglichen – unabhängig von deren Form und Neigungswinkel.

media.mercedes-benz.com

9 Kommentare

zu „Mercedes-Benz forscht an radfernen Bremsen und Solarlack“
Aztasu
25.11.2024 um 13:29
Top!
Battie
26.11.2024 um 19:26
Ja, und weil die neuen innenliegenden Bremsen mit Wasser gekühlt werden, wird selbst diese Energie zurückgewonnen und lässt sich zum Beheizen verwenden. So kann sich das BEV weiter dem Perpetuum Mobile annähern ...
HamburgerMichel
25.11.2024 um 20:48
Für so eine Wundersubstanz würden mir aber noch ganz andere Möglichkeiten einfallen als eine Auto-Oberfläche.
Stefan F.
25.11.2024 um 21:10
Vor 40 Jahren hatte mein Citroen die Bremsscheiben direkt am Getriebe. Das hatte durchaus Vorteile, man konnte die Bremsbeläge wechseln, ohne ein Rad abzunehmen. Größter Nachteil war jedoch, dass die Bremskräfte über die Antriebswellen mit ihren Ausgleichsgelenken übertragen wurden. Dadurch traten Schwingungen auf, die eine zusätzliche Belastung verursachten.
Max
27.11.2024 um 13:15
Ich vermute, dass diese Technik nur für die Hinterachse in Frage kommt, wo die Bremsleistung geringer ist, und dass die Ausgleichsgelenke wegen der sehr hohen Drehmomente durch leistungsstarke Elektromotoren sowieso deutlich leistungsfähiger ausgelegt werden. Durch das Zusammenspiel von Motor- und Abriebsbremse kann letztere auch schwächer ausgelegt werden. Das Revival für Trommelbremsen bei Mercedes-Benz?
p.Albert
26.11.2024 um 12:15
Bei Getriebeleckagen wurden auch gleich die Bremsen gut geölt.
Thomas Chamilew
26.11.2024 um 12:28
der Alfasud war berühmt für die innenliegenden vorderen Bremsen und trotzdem konnte man ihn fahren wie einen Rennwagen. Die ungefederten Massen waren extrem gering und man hatte vorne ein unglaubliches Gefühl für die Bodenbeschaffenheit.
Thomas Schmidt
26.11.2024 um 21:51
Schon der 2CV hatte radferne Bremsen. Auch da führte die geringere Masse u.a. zu mehr Fahrkomfort. :-)
sebkre
27.11.2024 um 12:08
Ja, dass sind spannende Ansätze aus der Vorentwicklung und durchaus als first principle thinking identifizierbar.

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