Erste Ausfahrt im Kia EV6: Reichweiten-Upgrade für den Langstreckenprofi
Mit der Einführung des Kia EV6 im Herbst 2021 hat der südkoreanische Autobauer für Aufsehen gesorgt. Mehr als 210.000 Exemplare hat Kia von diesem Modell bereits verkauft, davon fast 18.000 in Deutschland. Nun wurde der 4,70 Meter lange Crossover überarbeitet.
Von außen ist das Facelift hauptsächlich an der überarbeiteten Front zu erkennen. Hier sticht besonders das neue Design der LED-Tagfahrlichter hervor. Bereits vor der Modellpflege hatte der EV6 eine selbst innerhalb der Kia-Modellpalette unverkennbare Lichtsignatur. Am Heck ist die Grafik der Rücklichteinheit, die sich über die gesamte Fahrzeugbreite zieht, jetzt ebenfalls durch das von Kia als „Star Map“ bezeichnete Konzept geprägt. Bei der Seitenansicht fallen Kennern vermutlich nur die neuen Felgendesigns auf. Ansonsten bleibt der EV6 hier unverändert. Mit seinen Änderungen rückt der Stromer jetzt zwar näher an die neue Designsprache des EV3 und EV9 heran, hebt sich innerhalb der gesamten Modellpalette der Südkoreaner aber weiterhin ab.
Kia wirft Klavierlack raus
Mir sagt die geschärfte Front- und Heckpartie zwar zu. Anderen könnten sich hingegen vom Vor-Facelift eher angesprochen fühlen. Und so gilt die alte Regel: Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, dafür aber wunderbar diskutieren. Für wesentlich weniger Diskussionsstoff dürfte hingegen eine Änderung im Innenraum sorgen, die mir beim Öffnen der Fahrertür sofort auffiel: Kia hat sich nahezu vollständig von der Klavierlackoptik verabschiedet. Danke! So präsentiert sich unter anderem die überarbeitete Mittelkonsole in schwarzer Hairline-Optik, die an gebürstetes schwarzes Alu erinnert.
Kia hat jedoch auch das Lenkrad überarbeitet. Standardmäßig ist dieses zweispeichig, in der GT-line gibt es das dreichspeichige Sportlenkrad. Nicht nur, dass dieses nun einen besseren Blick auf das Kombiinstrument zulässt, nein, es ist dazu auch noch kapazitiv. Regelmäßige kleine Ruckler am Lenkrad, um zu prüfen, ob die Hände noch am Steuer sind, gehören damit der Vergangenheit an.
Ich nehme also hinter dem Steuer Platz und bemerke, dass neben der guten Sicht auf das breite Panorama-Display, welches aus zwei jeweils 12,3 Zoll großen Bildschirmen besteht, auch das Infotainment-System ein Update erfahren hat. Nicht überarbeitet wurde hingegen die Bedienleiste in der Mitte des Armaturenbretts, über die die Medien- und Klimasteuerung erfolgt. Obwohl ich die Modelle aus dem Hyundai-Konzern kenne, musste ich mich erneut kurz an die Bedienung gewöhnen.
Unverändertes Antriebsangebot
Während Kia beim Exterieur und Interieur nachgeschärft sowie das Infotainment-System verbessert hat, wurden bei den Antrieben keine Änderungen vorgenommen. So wird der EV6 weiterhin mit den drei bekannten Antriebsvarianten angeboten. Die Standard-Variante mit der kleinen Batterie gibt es also nur mit einem 125 kW starken Elektromotor im Heck. Die große Batterie ist wahlweise mit einem 169-kW-Heckantrieb oder dem 239 kW starken Allrad mit zwei Elektromotoren verfügbar. Eigentlich wären es vier Varianten. Da der GT – nicht die GT-line – erst vor wenigen Tagen vorgestellt wurde und dessen Leistungsdaten (478 kW statt wie bisher 430 kW) noch vorläufig sind, bleibt dieser in der Aufzählung außen vor.
Die Antriebssysteme werden mit einem aus Sicht der Südkoreaner verbessertem Fahrwerk kombiniert. Bei der ersten Generation des EV6 war dieses noch sehr straff ausgelegt und sorgte für entsprechende Kritik. Ich für meinen Teil kam mit diesem jedoch gut zurecht. Für die erste Ausfahrt des Facelifts im sonnigen Portugal stand uns der EV6 GT-line mit dem 239 kW starken Allradantrieb und der großen Batterie zur Verfügung. Auf den kurvenreichen Strecken entlang der portugiesischen Küste empfand ich das Fahrwerk als zu weich ausgelegt. Zudem war mir persönlich die Lenkung für diese Abschnitte zu indirekt. Spätestens bei der Autobahnfahrt legte sich der erste Eindruck dann aber ein wenig. Ob das Fahrwerk den höheren Komfort auf langen Strecken jetzt bieten kann, reichen wir nach einem ausführlichen Test auf deutschen Autobahnen nach. Eines kann jedoch jetzt schon gesagt werden: Durch eine verbesserte Schalldämmung des Heckantriebs konnte der Geräuschpegel im Innenraum gesenkt werden. Und ja, das ganz leise Surren des Heckmotors ist nun fast vollständig verschwunden.
Höherer Energiegehalt bei gleichem Gewicht
Während Kia bei den Antrieben also keine Leistungsänderungen – den GT lassen wir hier mal außen vor – eingeführt hat, liefert die nötige Energie für den Vortrieb die inzwischen vierte Batteriegeneration, die trotz einer höheren Energiedichte nicht schwerer geworden ist. So liegt der Energiegehalt der kleinen Batterie jetzt bei 63 kWh (bisher 58 kWh) und bei der großen Batterie bei 84 kWh (bisher 77,4 kWh). Folglich wuchs zumindest auf dem Papier die elektrische Reichweite an. Mit der kleinen Batterie sollen statt 394 nun 428 Kilometer möglich sein, bei der großen Batterie stehen statt 528 nun 582 Kilometer im Datenblatt.
Zwar konnten bei der ersten Ausfahrt keine repräsentativen Verbrauchswerte ermittelt werden. Doch der erste Eindruck vermittelte bereits das, was die theoretischen Werte auf dem Papier schon zeigten: Aufgrund der unveränderten Antriebskonfigurationen und des gestiegenen Energiegehalts der Batterien, werden die real erreichbaren Reichweiten leicht über denen des Vorgängers liegen. Was das im Detail bedeutet, müssen wir nach einem ausführlichen Test nachreichen.
Ladezeit bleibt trotz gestiegenem Energiegehalt gleich
Obwohl die Batterien größer geworden sind, bleibt es bei der Ladezeit von 18 Minuten für den Standard-Bereich von zehn auf 80 Prozent. Dieser Wert gilt für den großen als auch den kleinen chemischen Speicher. Möglich wurde dies vor allem durch Verbesserungen beim Temperaturmanagement und bei der Wärmeverteilung, wodurch letztlich die Ladeleistung gesteigert werden konnte. Lag die maximale Ladeleistung bei der kleinen Batterie noch bei 180 kW, sind jetzt bis zu 195 kW in der Spitze drin. Bei der großen Batterie ist der Sprung noch größer. Statt bisher 240 kW sind es nun 258 kW. Werte, die in der Preis- und Fahrzeugklasse zu den Bestwerten gehören.
Dass sich die Werte verständlicherweise nur unter idealen Bedingungen erreichen lassen, versteht sich von selbst. Bei meinem Test im Sommer 2022 gab es noch keine automatische Vorkonditionierung der Batterie. Im Sommer hatte die fehlende Vorkonditionierung keine allzu große Auswirkung, auch wenn die Ladekurven damals teils sehr unterschiedlich ausfielen. Für die kälteren Monate ist sie jedoch ein wichtiges Feature. Beim Modelljahr 2023 haben die Südkoreaner diese Funktion endlich eingeführt.
Diese greift jedoch nur, wenn eine Route mit Ladestopps geplant wurde. Zwar gibt es den EV-Routenplaner mit automatischer Ladeplanung bereits seit Juli 2023. Aus meiner Sicht muss Kia hier aber noch einmal nachlegen. Ja, es werden mehrere Ladestopps eingeplant, um das Ziel zu erreichen. Bei sehr langen Strecken, die über fünf Stopps hinausgehen, erhält man keine Information zum sechsten oder gar siebten Ladestopp. Zugegeben, ein eher seltener Fall. Allerdings erfährt man bereits für den ersten Halt nicht, mit welchem State of Charge (SoC) man die Ladesäule erreicht. Dies wird erst „kurz vorher“ angezeigt, heißt es. Schade, hier sollte Kia nachbessern. Andere Hersteller liefern hier von Beginn an detaillierte Informationen – mit welchen der Fahrer dann unter Umständen selbst entscheiden kann, ob er sich an den Vorschlag des Kia-Systems hält oder doch lieber manuell plant. Hat man diese Informationen nicht, muss man sich auf den Kia verlassen.
Um noch einmal auf die Vorkonditionierung zurückzukommen: Mit dem Facelift zog auch endlich die Funktion mit ein, das Aufheizen der Batterie manuell über das Infotainment starten zu können. Wie lang diese laufen muss, bis die Batterie die richtige Temperatur für die optimale Ladekurve erreicht hat, darüber gibt es keine Auskunft. Auch hier zeigen andere Hersteller wie es besser geht. So beispielsweise VW und Mercedes, die mir als Fahrer mitteilen, welche Ladeleistung gerade möglich ist und ob es sich dabei um das Maximum handelt.
Sollte der Ladevorgang aber doch einmal länger dauern, weil die manuelle oder automatische Vorkonditionierung nicht ausreicht, hat Kia die ausstattungsabhängigen „Premium-Relaxion-Sitze“ im Angebot, die sich per Knopfdruck in eine Liegeposition fahren lassen.
EV6 125 kW | EV6 168 kW | EV6 239 kW | |
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Antrieb | RWD | RWD | AWD |
Leistung | 125 kW | 168 kW | 239 kW |
Drehmoment | 350 Nm | 350 Nm | 605 Nm |
Beschleunigung | 8,7 s | 7,7 s | 5,3 s |
Höchstgeschwindigkeit | 185 km/h | 188 km/h | 188 km/h |
WLTP–Reichweite | 428 km | 582 km | 546 km |
Batteriekapazität | 63 kWh | 84 kWh | 84 kWh |
Ladeleistung DC | 195 kW | 258 kW | 258 kW |
Ladezeit DC 10-80% | 18 min | 18 min | 18 min |
Ladeleistung AC | 11 kW | 11 kW | 11 kW |
Ladezeit AC 10-100% | ca. 5:50 | ca. 7:35 | ca. 7:35 |
Kofferraumvolumen | 490 l | 490 l | 490 l |
Frunk | 52 l | 52 l | 20 l |
Anhängelast (gebremst) | 750 kg | 1.800 kg | 1.800 kg |
Preis | 44.990 Euro | 49.990 Euro | 53.990 Euro |
Ohnehin bietet Kia im EV6 eine ganze Reihe an Features bereits serienmäßig an. Die Basisversion „Air“ startet mit der kleinen Batterie bereits bei 44.990 Euro (49.990 Euro, große Batterie). Damit ist sie günstiger als zuvor, bietet dafür aber mehr. Serienmäßig sind so unter anderem bereits Lenkradheizung, höhenverstellbare Vordersitze mit Sitzheizung, beheizbare und elektrisch einklappbare Außenspiegel, Rückfahrkamera, Parksensoren vorn und hinten, Spurhalteassistent oder auch ein Autobahnassistent an Bord. Viele Auswahlmöglichkeiten gibt es darüber hinaus allerdings nicht. Die induktive Lademöglichkeit für das Smartphone oder auch das Head-up-Display bleiben dem „Air“ verwehrt. Mehr Serienausstattung und Auswahl gibt es hingegen bei den Varianten „Earth“ und „GT-line“. Die Wärmepumpe bietet Kia jedoch nur optional (für alle Ausstattungslinien) an.
Viel lässt sich zu den Assistenzsystemen nach einer kurzen Ausfahrt jedoch nicht sagen. Dafür reichte die Zeit leider nicht. Zusammen mit der EV-Routenplanung und den Ladestopps schaue ich mir diesen Teil für Sie bei einem ausführlichen Test gern genauer an.
Fazit
Unter dem Strich bleibt festzuhalten, dass das Facelift des EV6 nicht zwingend notwendig war. Was Hyundai-Kia aus der E-GMP genannten Plattform und der „800 Volt“-Technik herausholen konnte, war schon bei der ersten Auflage des südkoreanischen Modells vor rund drei Jahren beeindruckend. Von den Langstrecken-Fähigkeiten konnte ich mir selbst vor gut zwei Jahren einen Eindruck verschaffen. Doch mit dem technischen Upgrade ist das Modell noch langstreckentauglicher als zuvor.
Zudem bietet der Elektro-Crossover viel Platz für Familie und Gepäck (490 Liter Kofferraumvolumen) und kann mit 1.800 Kilogramm (große Batterie, kleine Batterie nur 750 Kilogramm) nun 200 Kilogramm mehr als vorher an den Haken nehmen.
Trotz einzelner Schwächen punktet der Stromer also in den Kernbereichen Reichweite, Ladeleistung, Ladezeit sowie Verarbeitung und Komfort. Mit dem Facelift konnte sogar noch eine Schippe draufgelegt werden. Teurer wurde das Modell aber nicht. Im Gegenteil, die Basispreise wurden sogar gesenkt und die serienmäßige Ausstattung gesteigert. Ein Schnäppchen ist er dadurch zwar noch immer nicht, gerade wenn mehr Ausstattung dazu kommt. Der EV6 bleibt aber auch nach der Überarbeitung weiterhin ein interessantes Modell für Familien und vor allem für den gewerblichen Fuhrpark – nicht nur mit dem großen, sondern auch mit dem kleinen Akku.
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