„Bidirektionales Laden diskriminierungsfrei ermöglichen” – Anica Mertins, Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur
Unter bidirektionellem Laden (BiDi) versteht man bekanntlich die Fähigkeit von Elektroautos, die in ihren Akkus gespeicherte Energie zurück ins Heimnetz oder auch ins öffentliche Stromnetz zu speisen. Das kann dem E-Auto-Besitzer helfen, seine Stromkosten zu senken und sogar einen Nebenverdienst zu erzielen. Auch kann BiDi für die Flexibilisierung und Stabilisierung des Netzes sorgen. Doch auch wenn bidirektionales Laden schon heute technisch möglich ist, so wird es bislang noch fast nirgends umgesetzt. Es müssen noch „Rahmenbedingungen auf technischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und steuerlicher Ebene“ geschaffen werden, erläuterte Anica Mertins in ihrem Vortrag.
Welche Hindernisse eigentlich noch beseitigt werden müssen, um das bidirektionale Laden umsetzen, dazu hat die Nationale Leitstelle Infrastruktur ihren Beitrag mit Vertretern aus Ladeinfrastrukturbranche, Energiewirtschaft und Automobilwirtschaft befragt. Herausgekommen dabei ist eine Roadmap für bidirektionales Laden, die Anica Mertins näher in ihrem Vortrag vorstellte. Der Beirat rechnet ab 2025 mit ersten marktfähigen V2H-Anwendungen, als Anwendungen für Vehicle to Home, sprich der Rückspeisung von Energie aus Elektroauto-Batterien ins Netz vor allem von Einfamilienhäusern. Erste V2G-Anwendungen (Vehicle to Grid) für die Rückspeisung ins öffentliche Stromnetz werden vom Beirat etwas später auf dem Markt erwartet. In beiden Fällen dürften aber zunächst nur proprietäre Lösungen auf den Markt kommen. Ab 2028 könne es dann zu einem Hochlauf von interoperablen und standardisierten Lösungen für V2H und V2G kommen – vorausgesetzt, die entsprechenden Standards sind bis dahin geschafft und die regulatorischen Weichen gestellt.
Auch im Masterplan Ladeinfrastruktur II spielt bidirektionales Laden eine wichtige Rolle, und zwar in der Maßnahme 47, die „bidirektionales Laden diskriminierungsfrei ermöglichen“ heißt. Und genau um die Maßnahme 47 umzusetzen, wurde die oben genannte Roadmap durch den Beirat erstellt.
Doch kommen wir zu den Vorteilen von bidirektionalem Laden: Wie bereits beschrieben, ist hier die Unterscheidung zwischen Vehicle to Home (V2H) und Vehicle to Grid (V2G) wichtig. V2H betrachtet nur Anwendungsfälle innerhalb der Kundenanlage, was auch behind the meter genannt wird. Hier haben Elektroautofahrer die Möglichkeit, den Strom, den sie in ihr E-Auto eingespeist haben, zum Beispiel aus der eigenen PV-Anlage oder zu günstigen dynamischen Preisen aus dem Netz, später für den eigenen Haushalt zu nutzen. „Entweder wir haben vielleicht einen Stromausfall und können uns dann mit der Batterie des Fahrzeugs selber vor Ort versorgen, als mobile Powerbank auch zum Beispiel, oder aber wir nutzen den Strom, den wir aus der PV-Anlage eingespeichert haben, um dann später das Haus zu versorgen, wenn zum Beispiel erst Abend oder Nacht ist, die PV-Anlage keinen Strom mehr zur Verfügung stellt und ja, so können wir eben unseren Eigenverbrauch noch besser erhöhen und den Strom vor Ort auch besser nutzen,“ nennt Anica Mertins Beispiele für V2H-Anwendungen.
Die „Königsklasse“ ist laut Mertins aber Vehicle to Grid (V2G), also was außerhalb der Kundenanlage und „in front of the meter“ geschieht. „Da nutzen wir dann den Strom, den wir im Fahrzeug zwischengespeichert haben, und stellen den Strom dem Markt oder dem Netz zur Verfügung. Dafür gibt es dann unterschiedliche Anwendungsfälle, zum Beispiel die Strompreisarbitrage: Wir speichern dann Strom ein, wenn er günstig ist auf dem Markt und stellen ihn dem Markt wieder zur Verfügung, wenn der Strompreis höher ist. Man kann also aus der Differenz des Strompreises dann Einnahmen generieren. Oder man stellt den Strom dem Netzbetreiber als Systemdienstleistung, also als Regelleistung oder Redispatch-Maßnahmen zur Verfügung und kann den Strom dann netzdienlich bereitstellen“, so Mertins.
Doch egal ob V2H oder V2G, es gibt noch viele Hürden zu überwinden. So gibt es bisher nur wenige Wallboxen und Automodelle, die BiDi-fähig sind, aber diese sind „in der Regel noch teurer als Fahrzeuge und Wallboxen, die nicht bidirektional laden können. Entsprechend muss man sich dann schon bei der Anfangsinvestition überlegen, ist es mir das wert, diese höhere Anfangsinvestition zu tätigen“, sagte Anica Mertins.
Ein weiteres Thema, das für die Zukunft gelöst werden muss: „Aktuell kann vor allem auf proprietärer Basis bidirektionales Laden ermöglicht werden. Das bedeutet, alle Lösungen, die jetzt schon getestet werden, die sind noch nicht interoperabel. Also die Schnittstellen, die Kommunikationsprotokolle, die sind noch nicht darauf ausgelegt, dass verschiedene Fahrzeuge mit verschiedenen Wallboxen entsprechend auch bidirektional laden.“
Und dann gibt es noch zahlreiche regulatorische Herausforderungen zu meistern, um BiDi in der Masse einführen zu können: „Hier sehen wir die Schwierigkeit, dass mobile Speicher, also Fahrzeugbatterien, aktuell im Prinzip schlechter gestellt sind als stationäre Batterien. Was Abgaben, Umlagen und Steuern betrifft, vor allem eben für diesen zwischengespeicherten Strom“, sagte Anica Mertens. So seien stationäre Stromspeicher 20 Jahre von Netzentgelten befreit, mobile Speicher wie in E-Autos aber bislang nicht. „Da ist die Idee, dass die Befreiung äquivalent zu stationären Speichern erfolgen könnte.“ Und auch von der Stromsteuer seien stationäre Speicher befreit, mobile Speicher aber nicht. „Das sind wesentliche Rahmenbedingungen für das Geschäftsmodell. Man kann sich vorstellen, wenn wir all diese Abgaben zahlen, ist der Strom, den wir beziehen, teurer und die Erlöse, die wir generieren müssen mit dem Strom, den wir zurückspeisen, müssen entsprechend höher ausfallen“, so Mertens.
Eine weitere Hürde sei die etwaige Durchmischung von Grün- und Graustrom in Hinblick auf die EEG-Vergütung. Und auch an der Standardisierung von bidirektionalem Laden müsse noch gearbeitet werden. Details dazu erfahren Sie im Vortrag von Anica Mertens, den sich oben in unserem Videoplayer anschauen können.
0 Kommentare