Aral-Umsetzungsbarometer: Wo es beim Schnelllade-Ausbau in Deutschland hakt
Wenn man mit Alexander Junge, seines Zeichens Vorstand für Elektromobilität bei Aral, über den Ausbau bei den Schnellladesäulen spricht, sollte man viel Zeit mitbringen! Aus der täglichen Arbeit seines Teams kann der Manager unzählige Anekdoten vortragen, wie fehlende Baugenehmigungen, lange Bearbeitungszeiten und teils skurril anmutende Anforderungen den Lade-Ausbau bremsen. Rund 3.300 eigene Schnellladepunkte an 460 Standorten hat der Mineralölkonzern unter der Marke Aral Pulse schon in Betrieb – und es könnten schon 1.000 Ladepunkte mehr am Netz sein, schätzt Junge.
Beispiele gefällig? In einer Stadt in Nordrhein-Westfalen wollte Aral eine bestehende Tankstelle an einer Autobahnabfahrt um Ladesäulen erweitern. Der Bau der Ladesäulen ist zwar baugenehmigungsfrei, jener der nötigen Trafostation für den Anschluss an das Mittelspannungsnetz aber nicht. Dieser Antrag wurde erst nach geschlagenen drei Jahren positiv beschieden, dabei ging es um rund 20 Quadratmeter auf einer ohnehin zugebauten Tankstelle – und nicht um einen Neubau in einem Wohngebiet. In einem anderen Fall musste Aral gleich vier verschiedene Gutachten vorlegen. Angefordert wurden aber nicht alle auf einmal, sondern immer erst dann, wenn das vorige eingereicht wurde. Das war’s noch lange nicht: Für die Errichtung von Ladesäulen auf einem Aral-Autohof an der A 9 wurde ein Lärmschutzgutachten gefordert, obwohl die Ladesäulen von einem Wald und einer sechsspurigen Autobahn umgeben sind. Oder ein Bezirksamt einer deutschen Großstadt verlangte Zugversuche und Wurzelspülungen an Bäumen auf einem Tankstellengelände sowie den Nachweis von Fahrradstellplätzen auf dem Tankstellengelände und ein Schallschutzgutachten, bevor die Errichtung einer Ladestation genehmigt wurde. Man hat das Gefühl, dass Junge diese Aufzählung beliebig fortsetzen könnte.
Der Aral-Vorstand berichtet von einem weiteren Fall, wo vor dem Bau der Trafo-Station auf einem Tankstellengelände ein viel tieferer Aushub zur Bedingung gemacht wurde, um Beschädigungen an eventuell darunterliegenden Ruinen auszuschließen. An und für sich eine verständliche Forderung, wenn dort historische Bauten vermutet werden – auch wenn die Fundamente von Ladesäulen und Trafos nur minimal ins Erdreich eindringen. „Das Interessante ist: Als wir drei Jahre davor die komplette Tankstelle neu gebaut haben, gab es keine solche Vorgaben“, erzählt Junge. „Dabei sind die Kraftstofftanks viel tiefer im Boden vergraben als die Trafos!“
„Kein Erkenntnisproblem, sondern Umsetzungsdefizit“
Auch die Gespräche mit Politikern verlaufen oft ähnlich ernüchternd – unabhängig von der Partei, wie Junge betont. „Ich spreche seit mindestens 2021 mit Politikern auf allen Ebenen bis hoch zu Ministern“, so der Aral-Vorstand. „Jeder Politiker gibt mir inhaltlich seit Jahren Recht, dass mit der Baugenehmigungs-Pflicht für Trafostationen der eigentlich gewollte, baugenehmigungsfreie Ladesäulenausbau wieder ausgehebelt wird – und dass man das ändern werde. Aber es passiert nichts!“
Sein Fazit: „Wir haben in Deutschland kein Erkenntnisproblem bei handelnden Personen, wie zum Beispiel Politikern, sondern wir haben ein Umsetzungsproblem.“ Damit war auch die Idee zum „Umsetzungsbarometer“ geboren, um das es nun hier gehen soll: In einer einfachen Skala von rot („noch nicht begonnen“) über gelb („in der Umsetzung“) bis hin zu grün („umgesetzt“) werden verschiedene Maßnahmen bewertet, mit denen die aktuellen Hindernisse beim Ladeausbau beseitigt werden sollen.
Masterpläne werden nur schleppend umgesetzt
Die erste Ausgabe, die electrive exklusiv vorliegt, ist wenig überraschend von den Farben Gelb und Rot geprägt. Das Dokument finden Sie hier zum kostenfreien Download. Als „umgesetzt“ wird dabei gar keine der Maßnahmen bewertet! „Das ‚Umsetzungsbarometer‘ zeigt deutlich, dass – obwohl ein Problembewusstsein besteht – der dringend benötigte Ausbau der Ladeinfrastruktur auf erhebliche Hindernisse stößt. Insbesondere die bundesweit uneinheitlichen Genehmigungsverfahren für Trafostationen und unterschiedliche technische Anforderungen des jeweiligen Netzbetreibers sowie zahlreiche weitere Schwierigkeiten bei der Realisierung der Netzanschlüsse stellen zentrale Hürden für den Ladeinfrastrukturausbau dar“, heißt es in dem Dokument. „Diese Herausforderungen resultieren u. a. aus der fehlenden Harmonisierung der Regelungen auf Landes- und Kommunalebene bzw. zwischen den Netzbetreibern, was zu Rechtsunsicherheiten, erhöhtem bürokratischem Aufwand und unnötigen Verzögerungen führt.
„Exemplarisch“ für die Hemmnisse stehen laut Aral die Masterpläne Ladeinfrastruktur der Bundesregierung aus 2019 und 2022. Im Masterplan II aus dem Herbst 2022 wurden 68 „Schlüsselherausforderungen und Maßnahmen“ definiert. Eine davon: In Maßnahme 46 sollen die „technischen Anschlussbedingungen vereinheitlicht“ werden. In dieser Woche hat der BDEW eine Anwendungshilfe für Netzbetreiber veröffentlicht, damit die Verteilnetzbetreiber mit diesen Best-Practice-Empfehlungen für den Netzanschluss von Ladesäulen in der Mittelspannung ihre Prozesse anpassen können – aber nicht müssen. Mehr als zwei Jahre, nachdem das politische Ziel formuliert wurde.
Ebenfalls in diesem Masterplan II hat die Bundesregierung die Länder dazu aufgerufen, ihre Landesbauordnungen anzupassen. Denn auch wenn Ladesäulen ohne Baugenehmigung errichtet werden dürfen, die zugehörigen Trafo-Stationen eben nicht. Und dann sind die Verfahren noch nicht einmal einheitlich geregelt. „Der gute Wille ist da. Aber wo stehen wir mit der Umsetzung? Bisher hat nur Baden-Württemberg eine Änderung der Landesbauordnung auf den Weg gebracht, also im Kabinett beschlossen. Durch den Landtag ist es aber immer noch nicht“, sagt Junge. „So konnte Nordrhein-Westfalen mit einer anderen Auslegung seiner Landesbauordnung an Baden-Württemberg vorbeiziehen und ist meines Wissens nach das erste Bundesland, in dem Ladestationen und die zugehörigen Trafostationen baugenehmigungsfrei sind. Zwei von 16 Bundesländern!“
Eine zentrale Forderung von Aral ist daher die Einführung einer bundesweit einheitlichen Baugenehmigungsregelung für Trafostationen, „die grundsätzlich eine Genehmigungsfreiheit ohne Maßbeschränkungen und Zusatzkriterien beinhaltet“. Das würde den Ladepunktbetreibern natürlich enorme Freiheiten geben – öffnet aber auch Raum für Wildwuchs, wenn die Größe der Trafostation nicht an die Anzahl der zu versorgenden Ladesäulen gebunden ist. Laut Junge hat Aral diese Forderung aber bewusst maximal formuliert. „Wir haben die Sorge, dass die politisch gewollte Baugenehmigungsfreiheit durch einen unrealistisch kleinen Wert wieder ausgehebelt wird. Natürlich habe ich Verständnis, wenn mit einer Regelung nicht Tür und Tor für jedwede Trafostationen geöffnet werden soll“, sagt der eMobility-Vorstand. „Eine Beschränkung muss in einer vernünftigen und umsetzbaren Größenordnung bleiben!“
„Solange keine Verfahrensfreiheit gilt, würde es die Prozesse stark verbessern, wenn die Baugenehmigungsverfahren in den Bundesländern einheitlich und unbürokratisch durchgeführt würden“, heißt es in dem Dokument. Der konkrete Vorschlag: Wenn innerhalb von drei Monaten keine Entscheidung getroffen wurde, gilt der Bauantrag als genehmigt.
Zwei Jahre warten auf den Netzanschluss
Als zweite Haupt-Forderung hat Aral die „bundesweite Forcierung einer verpflichtenden Digitalisierung und Standardisierung der Genehmigungs- und Netzanschlussprozesse“ in das „Umsetzungsbarometer“ aufgenommen. „Wir fordern nachdrücklich, dass die Bundesnetzagentur die technischen Anschlussbedingungen bundesweit harmonisiert, um einheitliche und beschleunigte Netzanschlussverfahren auf nationaler Ebene zu gewährleisten und so einen skalierbaren Rollout von Ladeinfrastruktur zu ermöglichen. Darüber hinaus sollte die NOW/NLL die Entwicklung einer zentralen Online-Plattform zur Antragseinreichung forcieren, die festgelegte Anpassungsmöglichkeiten für die spezifischen Netzanforderungen bietet“, fordert Aral. „Diese zentrale Plattform sollte eine automatisierte Vollständigkeitsprüfung der eingereichten Dokumente bieten, um Netzanschlussanfragen korrekt einzureichen und folglich den Prozess zu beschleunigen. Auch eine automatisierte Plausibilitätsprüfung der Dokumente wäre ein weiterer wichtiger Schritt zur Optimierung des Verfahrens und zur Entlastung der Netzbetreiber.“
Zwar kann das 13-seitige Dokument in Teilen so gelesen werden, als sei es eine Abrechnung mit den Netzbetreibern. Das will Junge so aber nicht verstanden wissen. Man habe eine „sehr zufriedenstellende“ Zusammenarbeit mit den Verteilnetzbetreibern, so der Aral-Manager. „Wir haben grundsätzlich ein Einvernehmen mit den Netzbetreibern, dass sie dabei unterstützt werden müssen, auf die neuen Anforderungen zu reagieren“, sagt Alexander Junge.
Dennoch merkt er an, dass Aral teilweise bis zu zwei Jahre auf einen beantragten Netzanschluss warten musste. „Wenn an einen entlegenen Standort 1,5 Kilometer Kabel verlegt werden müssen und sich die Bauarbeiten verzögern, habe ich da volles Verständnis. Wenn wir über zehn Meter Kabel sprechen, läuft etwas schief und der Hochlauf der Elektromobilität verzögert sich unnötig“, so Junge. Eine wichtige Rolle bei schnelleren Verfahren könnte die Digitalisierung spielen – etwa in Form eines zentralen Antragportals. Junge sieht bei „vielen – nicht bei allen – der rund 865 Netzbetreiber in Deutschland einen Nachholbedarf bei der Digitalisierung“. Sonst laufe man Gefahr, dass Netzbetreiber künftig in „Netzanschluss-Anträgen ertrinken – und das will keiner von uns“.
Lkw-Ladenetz bringt noch größere Herausforderungen
Doch wie soll das schnell umgesetzt werden, wenn viele Kommunen eine angespannte Finanzlage haben und auch der nächste Bundeshaushalt unabhängig von der Zusammensetzung der künftigen Regierung nicht plötzlich wieder üppig ausfallen wird? „Es muss nicht immer alles Geld kosten, auch wenn die Kassenlage nicht opulent ist“, sagt Junge. „Eine Baugenehmigungsfreiheit für Trafos kostet kein Geld, sondern setzt sogar Personalkapazitäten in den Ämtern frei. Das Gleiche gilt für einheitliche Prozesse.“ Die Digitalisierung bedeutet in der Regel erst einmal ein Investment, spart aber danach ab Tag 1 Geld ein, weil man effizienter arbeiten kann. Wir schlagen hier Maßnahmen vor, die entweder gar nichts kosten oder sehr geringe Anlaufkosten haben – dafür aber einen schnellen Payback.“
Aral hat sich übrigens aus zwei Gründen entschieden, das „Umsetzungsbarometer“ noch in diesem Jahr – und damit kurz vor Weihnachten –zu veröffentlichen. Zum einen will das Unternehmen die Forderungen für den schnellen Ausbau der Elektromobilität früh im anlaufenden Bundestags-Wahlkampf platzieren. Zum anderen sind die Mittelspannungs-Anschlüsse für die E-Auto-Schnelllader nur die Generalprobe für das, was beim Ladenetz für E-Lkw noch auf die Branche zukommt. „Gerade mit Blick auf das kommende Lkw-Laden ist ein vorausschauender Netzausbau essenziell! Ab etwa 25 Megawatt Leistung müssen wir ans Hochspannungsnetz. Viele Netzbetreiber sagen mir, dass sie bei Hochspannungsnetzen acht bis zehn Jahre Vorlaufzeit benötigen“, sagt Junge. „Wir beobachten, dass einige Netzbetreiber hier schon sehr vorausschauend agieren, andere aber nicht. Dabei lässt sich der Bedarf sehr gut prognostizieren. E-Autos und E-Lkw fahren auf denselben Strecken wie Benziner und Diesel. Wir sehen ja anhand der Daten, wo der Bedarf am größten ist.“
Mit dem „Umsetzungsbarometer“ will Aral die Dringlichkeit verdeutlichen, mit der politische und administrative Akteure agieren müssen, um den erfolgreichen Ausbau der Elektromobilität in Deutschland zu gewährleisten. „Deutschland kann es sich nicht leisten, aufgrund bürokratischer Hürden und ineffizienter Prozesse die Klimaziele im Verkehrssektor zu verfehlen. Der zügige Ausbau der Ladeinfrastruktur ist die Grundlage für eine erfolgreiche Verkehrswende sowie die Etablierung der Elektromobilität. Die Politik ist daher aufgefordert, gemeinsam entschlossen zu handeln, um die notwendigen Voraussetzungen für eine nachhaltige und zukunftssichere Mobilität zu schaffen.“
aral.de („Umsetzungsbarometer“ zum Download)
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