Einigung im VW-Tarifstreit: Zwickau verliert Modelle, Produktion in Dresden endet

Kurz vor Weihnachten haben sich Volkswagen und die IG Metall auf einen Kompromiss im Tarifkonflikt geeinigt. Bis 2030 sollen 35.000 Stellen wegfallen, zudem wird VW in Deutschland die Produktionskapazität um mehr als 700.000 Fahrzeuge reduzieren – auch bei den Elektroautos.

Foto: Audi

Nach fünf Tagen Verhandlung steht bei VW doch noch die angestrebte Einigung vor Weihnachten. Hätte sich der Tarifstreit über die Feiertage gezogen, wären im neuen Jahr flächendeckende Streiks möglich gewesen.

Doch auch der Kompromiss, den Volkswagen und die IG Metall am Freitagabend vorgestellt haben, hat es in sich: Bis 2030 sollen mehr als 35.000 Jobs abgebaut werden. Als der frühere VW-Konzernchef Herbert Diess im Herbst 2021 den Abbau von 30.000 Stellen durchrechnen ließ, sorgten diese Gedankenspiele noch für enormen Aufruhr in Wolfsburg. Jetzt ist eine so hohe Zahl Teil eines Kompromisses – und hätte ohne die langen Verhandlungen wohl noch höher ausfallen können.

4.000 Stellen in der Entwicklung fallen weg

Die Volkswagen AG stelle „sich wettbewerbsfähig für die Zukunft auf“, so der Konzern. Mit dem Tarifabschluss zum Haustarifvertrag schaffe man „bis 2030 die Voraussetzungen für eine finanzielle Arbeitskostenentlastung von 1,5 Milliarden EUR pro Jahr. Die kurzfristige Entlastung bei den Arbeitskosten sowie die vereinbarten strukturellen Maßnahmen durch die Kapazitätsreduzierung und Einsparung bei Entwicklungskosten führen mittelfristig zu Kosteneffekten von über 4 Milliarden EUR pro Jahr“. Und für den Vorstand wichtig: Mit der Einigung werde das „Renditeziel der Marke Volkswagen Pkw mittelfristig erreichbar“.

Wichtig: VW will ohne betriebsbedingte Kündigungen auskommen, für die derzeitigen Mitarbeitenden soll es eine Jobgarantie bis 2030 geben. Es werden also wahrscheinlich Stellen nicht nachbesetzt. Um weiter zu sparen, wurden Einschnitte bei Boni und Gewinnbeteiligungen vereinbart. Die vom Vorstand geforderten Lohnkürzungen von zehn Prozent sind aber vom Tisch. Dafür wurde das im November von der IG Metall vorgeschlagene Konzept eines „Zukunftsfonds“ doch aufgegriffen – der Vorstand hatte diesen Vorschlag als „unzureichend“ abgelehnt, als ein Bestandteil des Kompromisses ist er aber offenbar tragbar. Wie das „Handelsblatt“ schreibt, „fließt ein Gehaltsplus von gut fünf Prozent – analog zum Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie – in zwei Stufen in einen Fonds und nicht auf die Konten der Mitarbeiter“. Über den Fonds sollen sich etwa flexible Arbeitszeitsenkungen für einen Teil der Belegschaft finanzieren lassen.

Wo die Stellen wegfallen sollen, wird nur bei einer Abteilung konkret beziffert. „Um verstärkt in Innovationen investieren zu können, wird die Technische Entwicklung schlagkräftig neu aufgestellt. Unter Nutzung von Konzernsynergien wird die Wettbewerbsfähigkeit der Technischen Entwicklung nachhaltig gestärkt“, teilt VW mit. „Im Zuge dieser Neuausrichtung werden bis 2030 rund 4.000 Beschäftigte abgebaut.“

Produktion in Dresden endet, Osnabrück wird verkauft

VW hat inzwischen Informationen vom „Spiegel“ bestätigt, dass VW „in seinen deutschen Werken die technische Kapazität zum Bau von 734.000 Autos im Jahr“ abbauen wird. Das entspricht beinahe der Kapazität des Wolfsburger Stammwerks. Um die Überkapazitäten bei VW zu verdeutlichen: Obwohl Wolfsburg auf etwa 750.000 Autos pro Jahr ausgelegt ist, wurden dort 2023 nur rund 490.000 Volkswagen gebaut.

Aus der Mitteilung der IG Metall geht eine ganze Reihe an vereinbarten Modell-Verschiebungen zwischen den Werken hervor. Wie am Donnerstag durchgesickert war, ist davon auch das Elektroauto-Werk Zwickau betroffen: Der VW ID.3 und sein Schwestermodell Cupra Born, die gemeinsam auf einer Linie gebaut werden, kommen künftig aus Wolfsburg. Der ID.4 wird mit einem Facelift komplett nach Emden verlagert (bisher wurde das Modell an beiden Standorten gebaut), womit Zwickau künftig nur noch eine Produktionslinie und mit dem Audi Q4 e-tron nur noch ein Modell bleibt.

In Wolfsburg kommen zwar zwei neue Modelle hinzu, dafür wird die Marken-Ikone Golf (als Verbrenner) künftig „an einem anderen Standort“ gebaut, so die Gewerkschaft. Der Konzern bestätigt, dass sich der Favorit, das Werk Puebla in Mexiko, durchgesetzt hat – ab 2027 werden der Golf und Golf Variant dort gebaut. Dafür wird das Stammwerk fit für die Elektro-Plattform SSP gemacht – mit dem elektrischen ID.Golf.

In Emden wird neben dem ID.7 und ID.7 Tourer künftig das gesamte ID.4-Angebot gefertigt. Zudem soll 2027 über die Vergabe eines weiteren Modells entschieden werden. In Hannover bleibt es bei der Produktion des T7 Multivan und ID. Buzz – „somit sind die Verlagerungspläne des Vorstands abgewehrt“, schreibt die IG Metall. Es wurden aber „konkrete Maßnahmen vereinbart, um Fabrikkosten nachhaltig zu reduzieren“, betont der Konzern.

ID.5 vor dem Aus?

Ein Modell, das weder von der Gewerkschaft noch von der IG Metall erwähnt wird, ist übrigens der ID.5 – er bleibt nicht in Zwickau und wird nicht bei den Modellen aus Emden aufgeführt. Das SUV-Coupé könnte also eingestellt werden – bestätigt ist das aber nicht.

Während Emden und Hannover gesichert sind, haben zwei kleinere Standorte keine Zukunft. In der Gläsernen Manufaktur in Dresden, wo im kleinen Maßstab Elektroautos auf Basis des MEB gebaut werden (zuletzt ca. 6.000 ID.3), soll der Fahrzeugbau Ende 2025 eingestellt werden. Der Standort wird „umgewidmet“. Das Werk Osnabrück, das ab 2026 ohnehin ohne Modell dastand, soll verkauft werden, es wird nach einem Investor gesucht. Nach Informationen des „Handelsblatt“ könnte das ehemalige Karmann-Werk „an ein Rüstungs- oder Recyclingunternehmen gehen“. Vorerst wird die Produktion des T-Roc Carbio aber bis 2027 verlängert. Bis dahin muss ein Käufer her – oder die Diskussionen werden erneut aufflammen.

Zwickau künftig nur mit einem Modell

Zwickau bleibt gemäß dem Kompromiss zwar erhalten. Allerdings nähren die abgezogenen Modelle durchaus Zweifel an der langfristigen Perspektive: Mit dem ID.3, Born, ID.4, ID.5 und Q4 e-tron war das Werk schon nicht gut ausgelastet, vor einem Jahr wurde die Nachtschicht gestrichen und jüngst das Auslaufen aller befristeten Verträge bestätigt. Mit künftig nur noch einem Modell wird es für Zwickau vermutlich schwierig, profitabel zu arbeiten. Auf alle Fälle wird das Werk von der Nachfrage nach nur einer Baureihe abhängig sein.

Der Vorstand hatte bis zu drei Werke angezählt – die kleinen Standorte Dresden und Osnabrück galten früh als Wackelkandidaten. Bei drei Werken wäre aber auch ein größeres Fahrzeug- oder Komponentenwerk betroffen gewesen. Aber auch die Komponentenwerke sind gesichert. Für Kassel gibt es zudem weitere Zusagen für eMobility-Komponenten. Und in Salzgitter wird der zweite Block der PowerCo-Zellfabrik nicht mehr in Frage gestellt – spätestens bei der Planungsrunde 74 im Jahr 2026 soll entschieden werden, ab wann Batteriezellen im zweiten Block vom Band laufen.

„Entscheidende Weichen für Zukunft gestellt“

„Nach den langen und intensiven Verhandlungen ist die Einigung ein wichtiges Signal für die Zukunftsfähigkeit der Marke Volkswagen, von Volkswagen Nutzfahrzeuge und der Komponentenstandorte“, sagt CEO Oliver Blume laut der Konzern-Mitteilung. „Mit dem erreichten Maßnahmenpaket hat das Unternehmen entscheidende Weichen für seine Zukunft gestellt, was Kosten, Kapazitäten und Strukturen angeht. Der Vorstand und das Management beteiligen sich überproportional.“

„Für die Zukunft der Marke Volkswagen haben wir uns drei Prioritäten gesetzt: Überkapazitäten in Deutschland abbauen, Arbeitskosten senken und wettbewerbsfähige Entwicklungskosten erreichen“, sagt VW-Markenchef Thomas Schäfer. „Die Verhandlungen haben in allen drei Punkten zu tragfähigen Ergebnissen geführt. Mit dem beschlossenen Maßnahmenpaket sind wir in der Lage, die Lücke in unserem Performance Programm weitgehend zu schließen.“ 

„Kein Standort wird dichtgemacht, niemand wird betriebsbedingt gekündigt und unser Haustarif wird langfristig abgesichert. Mit diesem Dreiklang haben wir unter schwierigsten konjunkturellen Bedingungen eine grundsolide Lösung erkämpft“, sagt Daniela Cavallo, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Volkswagen AG. „Zwar gibt es tarifliche Zugeständnisse jenseits der monatlichen Einkommen – dem gegenüber stehen aber der solidarisch erwirkte Erhalt aller Standorte samt Zukunftsperspektiven, eine neue Beschäftigungssicherung bis Ende 2030 und nicht zuletzt die Gewissheit für den Vorstand, dass bei Volkswagen Veränderungen gegen den Willen der Belegschaft zum Scheitern verurteilt sind.“ 

Das „Handelsblatt“ wertet den Deal als „Durchbruch“ für Konzernchef Oliver Blume, „weil nun weitere Weichen für die wichtige Planungsrunde im Konzern gestellt werden können“. Die aktuelle Planungsrunde sollte eigentlich im November stattfinden, wurde aber aufgrund des Tarifstreits verschoben. In den Planungsrunden vergibt VW die Investitionen für die kommenden fünf Jahre – und die Verteilung der Modelle auf die rund 100 Werke weltweit. In diesem Jahr wurden jetzt schon vor der Planungsrunde wichtige Produktionszusagen vergeben.

volkswagen-group.com, igmetall-nieder-sachsen-anhalt.de, handelsblatt.com, spiegel.de

9 Kommentare

zu „Einigung im VW-Tarifstreit: Zwickau verliert Modelle, Produktion in Dresden endet“
Jörg
21.12.2024 um 11:00
Ich hoffe, das Personal in der Entwicklung wird ausschließlich bei den Verbrennern eingespart.... Warum man die neu aufgebaute Marke ID nun wegwirft um mit dem alten angestaubten Opa-Golf auf dem Weltmarkt zu punkten, ist mir ein Rätsel. Wenn man etwas aus den jüngeren Stimmen aus China mitgenommen haben sollte, dass man an den alten Modellen, die noch von deren Opas gekauft haben, überhaupt kein Interesse mehr besteht...
Mike
24.12.2024 um 21:31
Die Erfahrungen mit China kann man nicht auf Europa übertragen. Überall ticken die Käufer anders. Deshalb können auch die chinesischen Hersteller hier noch nicht richtig Fuß fassen. Bei uns zählt ein vernünftig bedienbarer Innenraum, während die Chinesen mehr Wert auf Unterhaltung im Stand Wert legen.Die ID-Serie hat zu viele negative Dinge von Tsl übernommen und die guten Seiten des Golf weggeworfen.
EVFan
22.12.2024 um 02:22
Danke, die beste Analyse zur Vereinbarung im Tarifstreit bei VW, die ich bisher gelesen habe.Leider sieht man, dass der Einfluss des Landes Niedersachsen eklatant negativ für andere Standorte ist. Anders kann ich mir die Verlagerung der ID.3/4und Cupra Born-Produktion nicht erklären. Ich kann nicht glauben, dass sie kostengünstiger in Emden und Wolfsburg produziert weren.
Frank
23.12.2024 um 18:50
War das Thema nicht Kosten runter? Wenn Werke nicht ausgelastet werden oder noch schlimmer, die Produktion runtergefahren wird bleiben die Fixkosten stehen und müssen auf noch weniger Autos umgelegt werden. Damit steigt jedes einzelne hergestellte Fahrzeug im Preis. Ich glaube nicht, das der Kunde das bezahlen möchte. Wenn VW nicht so arrogant wär , würden sie nach einen Partner Ausschau halten, der zeigt, wie man gut und günstig fertigt und wirklich Ahnung von Software hat. Porsche ging es 80er/90er Jahren nicht gut. Veraltete Fertigung usw. Die haben sich die Japaner in Haus geholt, die den Laden auf Vordermann gebracht haben. Lieber gut kopiert als schlecht selber gemacht. Wer nur Personal(Kosten) einsparen möchte, der muss gewaltig an der Produktivität schrauben. Ich will hoffen, das nicht Druck aus Politik und/oder Angst vor schlechte Berichterstattung in Medien, nicht zum Totengräber werden und die Situation verschlechtern. Wäre Schade wenn wir Morgen von VW reden würden, wie wir heute von Borgward.
c3po
22.12.2024 um 19:23
In Zwickau wurde die ID.-Familie (MEB-Plattform) mit sehr viel persönlichem Einsatz der Beschäftigten produktionsreif gemacht. Elon Musk nannte den Übergang von Prototypen- zur Serienfertigung „Produktionshölle“. Mit dem Abzug viele E-Modelle aus Zwickau zeigt VW nun, dass diese Leistung nicht mehr geschätzt wird.
Tom
22.12.2024 um 10:42
Beispielhaft für Wolfsburg: Die Kosten pro Einheit sinken mit der Menge, vor allem aber wenn ich die nur zu 2/3 ausgelasteten Anlagen stärker nutzen kann. Damit kann man die Kosten der "unbeweglichen" Maschinen und Anlagen auf eine größere Anzahl gefertigter Einheiten aufteilen. Infolge sind die Stück-Kosten niedriger ;-)
Nobi
22.12.2024 um 09:59
Mal abwarten, ob nicht Audi sich zu seinen geschichtlichen Wurzeln bekennt und das Zwickauer Werk übernimmt.
Ralf Juist
23.12.2024 um 07:17
Benötigt Audi zumindest aus heutiger Sicht wirklich zusätzliche Fertigungskapazitäten??:-) Aber in der Tat, die mittel- und langfristige Werkszukunft von Zwickau erscheint mir unter den aktuellen Beschlüssen rätselhaft.
Jens Schmitt
30.12.2024 um 19:09
Es ist ein politisch verordnete Sterben auf Raten. Bevor in den Werken Braunschweig und Hannover auch nur ein Arbeitsplatz verloren geht, wird die im Aufsichtsrat vertretende Gewerkschaft alles tun, um ihre Mitglieder vor Ort zu schützen. Eine tatsächliche notwendige Sanierung macht aber nur dann sind und führt zum Erfolg, wenn sie konsequent durchgeführt wird und Kompromisse, die den Erfolg der Sanierung auch nach ansatzweise gefährden können, vermieden werden. Deshalb kann einem an dieser Stelle nur eines klar sein, man will politisch sich gegenwärtig ruhig verhalten, vielleicht sogar auch mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl, aber das letzte Wort im Hinblick auf Sanierung ist in dem Zusammenhang noch nicht gesprochen. Ich gehe davon aus, dass bis Ende 2025 der Standort Zwickau Und Dresden auf jeden Fall die Ende finden werden in der Produktionstechnologie.

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