Frischzellenkur: Erste Fahrt im neuen Audi RS e-tron GT
Im Wortsinne ist der Begriff „Facelift“ für den neuen e-tron GT eigentlich falsch, denn am Gesicht des Wagens hat sich wenig geändert. Man muss schon Experte sein, um Facelift und Vorgänger auf den ersten Blick unterscheiden zu können. Das ist aber nichts Schlechtes, denn schon der erste GT war ein verboten gutaussehendes Fahrzeug. Verändert hat sich trotzdem Vieles, nur eben unter der Haube – präziser im Unterboden. Wir widmen uns der Technik gleich, machen aber vorher noch einen Abstecher in den Innenraum.
Auch hier hat sich im direkt sichtbaren Bereich wenig getan. Die Sitze sind immer noch hervorragend (was auch für deren integrierte Massagefunktion gilt, die Fahrer und Beifahrer beherzt durchknetet). Dank Lüftung und Kühlung friert oder schwitzt man nie und die hohe Mittelkonsole schafft weiterhin das kuschelige Gefühl, eins mit dem Fahrzeug zu werden.
Die Nachteile sind leider auch geblieben: Der mit Batterietechnik gefüllte Mitteltunnel schränkt das Platzangebot auf dem Mittelsitz deutlich ein. Dank der im Verhältnis 40:20:40 umklappbaren Rückbank bietet es sich an, den Mittelsitz einfach gleich als Stauraum zu nutzen – so passen zum Beispiel die Skier für die ganze Familie hier problemlos hinein. Auch bei Kofferraum und Frunk hat sich nichts geändert, der Wagen ist klar auf Fahrspaß und nicht auf Gepäck ausgelegt.
Das zerklüftete Armaturenbrett bleibt Geschmacksache, glänzt aber immerhin mit massig USB-C-Ports, damit auch wirklich jedes Handy genug Saft bekommt. Was auch glänzt sind die glossy Oberflächen, von denen aktuell leider kein Autobauer wirklich wegkommt. Der Wertigkeit des ansonsten tiptop verarbeiteten Innenraums verpassen die allgegenwärtigen Fingerabdrücke einen kleinen Dämpfer.
Statt einer Touch-Hightech zur Klimaanlagen-Steuerung setzt Audi weiterhin auf eine klassische Bedienung mit Knöpfen und manuellen Lüftungsdüsen, die angenehm intuitiv und unkompliziert zu bedienen ist. Es muss eben nicht immer der Technik-Overkill sein, manchmal ist die bewehrte klassische Lösung die bessere.
Natürlich darf bei der GT-Neuauflage eine exklusive Sonderedition nicht fehlen. Die passenderweise „exclusive“ genannte Variante kommt mit eigenen Farben, eigenen Fußmatten, Sonderlackierung, viel Carbon, extra Ambientebeleuchtung und vielen „exclusive“-Plaketten, damit niemand übersehen kann, wie exklusiv der Wagen ist. Wem Elektroautos bisher nicht individuell genug waren, der findet hier vielleicht jetzt sein „perfect match“.
Ein Meisterwerk von Fahrwerk
Schon der erste e-tron GT war, gerade als RS, eine klasse Fahrmaschine. Das Facelift bringt den Fahrspaß aber auf ein völlig neues Level. Das bei Porsche entwickelte Fahrwerk schafft den Spagat zwischen Sportlichkeit und Komfort jetzt noch besser. Je nach gewähltem Modus ist es straff-direkt oder bequem und trotzdem souverän.
In jeder Lage klebt der e-tron GT wie ein Brett auf der Straße, lässt sich niemals aus der Ruhe bringen und ist doch immer agil. Neu dabei ist eine Lift-Funktion, dank derer das Auto beim Öffnen einer Tür blitzschnell nach oben fährt (eigentlich eher hüpft) und so den Einstieg in die flache Flunder erleichtert. Die Fahrmodi lassen sich detailliert einstellen und über die RS-Taste können zwei individuelle Fahrprogramme angewählt werden. Symmetrisch zur RS-Taste liegt die Boost-Taste auf dem Lenkrad, ebenfalls knallig rot. Ein Knopfdruck liefert zehn Sekunden lang 70 kW extra und damit noch mehr Punch beim Beschleunigen.
Lenkt vorne und hinten
Im Stadtverkehr ist der Wagen dank der jetzt noch mehr mitarbeitenden Hinterachslenkung gefühlt so wendig wie ein Kleinwagen, keine Kurve ist zu eng und kein Parkhaus zu verwinkelt. Trotz fünf Metern Länge ist es eine Wonne, mit dem e-tron GT durch enge Gassen zu sausen.
Der künstliche Sound bleibt meistens angenehm dezent und fügt sich harmonisch in das Fahrerlebnis ein, der spacige „Electric Sport Sound“ im Porsche Taycan hat uns aber trotzdem mehr überzeugt.
Dank nunmehr bis zu 680 kW Antriebsleistung im Spitzenmodell mit dem sperrigen Namen „RS e-tron GT Performance“ katapultiert ein beherzter Tritt aufs Strompedal den Wagen nun in flotten 2,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Die ganz hohen Geschwindigkeiten hat man dann aber Porsche überlassen, bei Audi ist auch im Topmodell bei 250 km/h Schluss.
Schnelles Fahren und noch schnelleres Laden
Beim Laden hat sich auf den ersten Blick wenig getan, denn 20 kW mehr Ladeleistung scheint zunächst nicht viel. Tatsächlich wurde aber auch die Ladekurve signifikant verbessert und die thermische Stabilität gesteigert, sodass jetzt bereits ab 15 Grad Celsius die volle Ladeleistung verfügbar ist. Zehn bis 80 Prozent sind in 18 Minuten erledigt – reproduzierbar, stabil und in einem breiten Temperaturbereich.
Bei den Ladevorbereitungen unterstützt eine Leistungsprognose, sie zeigt permanent an, welche Ladeleistung der Akku gerade annehmen könnte, wenn man zum aktuellen Zeitpunkt einen Ladevorgang beginnen würde. Beeindruckend früh und lang stehen dort Werte über 200 kW, auch wenn keine Routenplanung mit Ladestopp aktiv ist. Damit nimmt Audi den Fahrern eine wesentliche Unsicherheit weg, so macht Schnellladen Spaß! Sobald eine Ladestation anvisiert wird und die Vorkonditionierung startet, vergehen nur wenige Minuten, bis die Anzeige die 300 kW knackt.
S e-tron GT | RS e-tron GT | RS e-tron GT performance | |
---|---|---|---|
Antrieb | AWD | AWD | AWD |
Leistung | 435 kW | 570 kW | 620 kW |
Drehmoment | 740 Nm | 865 Nm | 1.027 Nm |
Beschleunigung | 3,4 s | 2,8 s | 2,5 s |
Höchstgeschwindigkeit | 245 km/h | 250 km/h | 250 km/h |
WLTP–Reichweite | 609 km | 599 km | 592 km |
Batteriekapazität | 97 kWh | 97 kWh | 97 kWh |
Ladeleistung DC | 320 kW | 320 kW | 320 kW |
Ladezeit DC 10-80% | 18 min | 18 min | 18 min |
Preis | 126.000 Euro | 147.500 Euro | 160.500Euro |
Auch beim Verbrauch hat sich einiges getan: Trotz dauerhaftem Sportmodus und vielen Beschleunigungen kommen wir auf der (auf 130 km/h limitierten) Autobahn bei glatten 22 kWh/100 km raus. Das entspricht mit der neuen, auf 97 kWh netto vergrößerten Batterie stolzen 440 Kilometern realer Reichweite.
Software bleibt ausbaufähig
Beim Thema Software kommt der VW-Konzern einfach nicht zur Ruhe und Audi ist keine Ausnahme. Während die Hardware nicht mehr wieder zu erkennen ist, wirkt die Software wie aus dem Vorgängermodell übernommen. Die Menüführung ist immer noch viel zu verschachtelt, selbst wichtige Funktionen sucht man ewig. Dass es dabei immer wieder ruckelt, macht die Sache nicht einfacher.
Auch die Sprachsteuerung ist keine Hilfe, sie versteht wenig bis gar nichts, entschuldigt sich aber immerhin sehr höflich dafür. Das Head-up-Display bleibt unter seinen Möglichkeiten, dafür ist der Zentralbildschirm klein und überfrachtet. Die Lenkradbedienung über große Touchflächen statt echter Knöpfe ist ein Rückschritt.
Die 3D-Ansicht der Kamera weiß immer noch nicht, welche Farbe der Wagen hat. Spaß hatten wir dagegen am Tacho-Display, das die Navi-Karte großflächig anzeigen kann, was die Orientierung deutlich erleichtert. Trotzdem: An die Software muss Audi wirklich nochmal ran, das geht besser.
Fast perfektes Auto mit einer Schwachstelle
Audi bringt den e-tron GT in Sachen Hardware auf ein neues Level, die Verbesserungen zur ersten Version sind beachtlich. Mit One-Pedal-Drive, einer unkomplizierten, klassischen Klimaanlagen-Bedienung statt Touch-Gefriemel und dem eleganten Audi-Design grenzt man sich vom Schwestermodell Porsche Taycan klar ab. Wer eine leistungsorientierten Langstreckenrenner sucht, wird am e-tron GT jetzt noch mehr Spaß haben als früher. So bequem und flott zugleich fahren aktuell nur wenige andere Elektroautos. Sportlich bleiben auch die Preise: Mindestens 126.000 Euro verlangt Audi für die Basisvariante namens S e-tron GT, für den RS gar 147.500 Euro.
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