Der große Unbekannte: So läuft sich GAC für Europa warm
Gegen sie ist Nio eine kleine Nummer, genau wie der Nachbar Xpeng, wie Geely oder Zeekr, Aiways oder MG. Denn nach Tesla und BYD verkauft weltweit niemand mehr New Energy Vehicles als Guangzhou Automobile Group, die bei uns aber auch unter dem Kürzel GAC kaum einer kennt – von der elektrischen Submarke Aion ganz zu schweigen. Doch das soll bald ändern, genau wie die Folge der Weltrangliste.
Denn als einer der letzten altvorderen Autohersteller aus China drängt jetzt auch die Nummer Drei nach Europa und will hier Bekanntheitsgrad und Stückzahlen steigern. Ohne Firlefanz in der Nomenklatur allein unter der Dachmarke GAC und fürs Erste nur elektrisch, wollen die Chinesen noch in diesem Jahr die ersten Länder erobern und dabei nach Polen oder Norwegen möglichst bald auch in Deutschland durchstarten.
Das spannendste und wahrscheinlich auch aussichtsreichste Modell ist der Aion UT, der sich allerdings erst im nächsten Jahr auf den Weg macht. Für einen Zielpreis von „deutlich unter 30.000 Euro“ bietet er bei 4,27 Metern Länge und 2,75 Metern Radstand mehr Platz als ein ID.3 und so viel Charme, wie wir ihn uns vom ID.2 erhoffen. Denn die Form ist charmant, ohne wie beim Mini kindisch oder beim Ora überzeichnet zu sein, und das Format des angenehm bodenständigen Fünftürers passt gut ins kontinentale Straßenbild.
Dazu gibt’s ein Interieur, mit wenigen Tasten und dafür einem großen Touchscreen, dem Aion aber noch einen zweiten Bildschirm hinter dem Lenkrad zur Seite stellt. Wie bei Tesla hat der UT Kugelwalzen im Lenkrad und wie Mini expererimentieren die Chinesen rund ums Armaturenbrett mutig mit Formen und Farben – bis hin zum „Nachtkästchen“ als pfiffiger Ablage vor der Mittelarmlehne. Und weil die Chinesen lieber im Auto kuscheln als in ihren viel zu kleinen Wohnungen, lassen sich die vorderen Lehnen so weit umlegen, dass es eine ebene Liegelandschaft entsteht.
Dumm nur, dass für solche Lümmeleien nur wenig Zeit bleiben wird. Denn während der UT mit 11 kW AC-Ladeleistung nur Durchschnitt ist, wollen die Chinesen das Schnelladen wörtlich nehmen und planen mit in diesem Segment seltenen 180 kW. Der Energie fließt in einen Akku mit 60 kWh für 430 Normkilometer und speist eine E-Maschine mit 150 kW, die auf immerhin 180 Sachen beschleunigt. Auch da fährt der UT den meisten ID.-Modellen also davon.
Aion V wird der erste GAC in Europa
Am anderen Ende scharrt der Aion V mit den Vorderrädern, der schon auf dem Pariser Salon zu sehen war und den ersten Aufschlag bekommt. Er steht auf der gleichen Plattform wie der Aion UT, streckt sich aber auf 4,60 Meter und bietet entsprechend noch mehr Platz. Weil er sich dabei allerdings auch auf SUV-Höhe reckt, wird er trotz auffälliger Leuchten und kantiger Front sehr viel eher austauschbarer und fährt zu einem Schätzpreis in der ersten Hälfte der 30.000er zudem gegen schier unzählige Konkurrenten. Ja, auch für ihn sind 180 kW Ladeleistung und 180 km/h ein gutes Argument, aber in dieser Klasse sind Motoren mit 150 oder 165 kW und Akkus mit 75 kWh für 520 Kilometer dann schon nicht mehr ganz so herausragend. Dann doch lieber die China-Version, die mit 90 kWh auf 700 Kilometer kommt und so doch einen Konkurrenzvorteil bieten könnte.
Weil zwischen beiden eine Lücke klafft, wird es als vergleichsweise konventionellen Kompakten auch noch einen Aion Y geben – allerdings nur in kleinen Stückzahlen und deshalb auch nicht in allen Ländern. Abgesehen von Schweinwerfern mit markenten LED-Sonnenstrahlen ein eher unauffälliger Hatchback von 4,54 Metern mit ein bisschen zu viel ID.-Inspiration, wird er wohl um die 30.000 Euro kosten und dafür zum 150 kW-Motor eine 63-kWh-Batterie für ebenfalls 430 Kilometer bieten.
Und für alle, die ein bisschen mehr Geld ausgeben und dafür viel mehr Auto bekommen wollen, macht sich auch noch der HT der noblen Aion-Schwester Hyptec auf den Weg und stiehl vor allem dem Tesla Model X die Schau. Denn auch wenn ihm die Falcon Doors fehlen, macht er bei bei fast fünf Metern Länge nicht viel weniger her. Und wer statt 100.000 nur geschätzte 50.000 Euro zahlt, der kann auch mit 250 kW, knapp 85 kWh und 500 Kilometern Reichweite gut leben.
Zwar will GAC nicht den Fehler vieler andere Newcomer aus dem fernen Osten machen und die Kunden mit allzu vielen Marken überfordern. Doch eine Ausnahme erlauben sich die Chinesen: Parallel zur Pkw-Flotte wollen sie ab 2026 auch leichte Nutzfahrzeuge ins Land holen und Modellen wie dem Ford Transit oder dem VW Transporter Konkurrenz machen. Dazu gründen ihre europäischen Partner die Marke Flynt und setzen wie von den großen OEM bislang nur Kia und Mercedes auf eine dezidierte Skateboard-Architektur, auf der sie Kleinbusse und Transporter mit Platz für 8,7 bis 16,5 Kubikmetern Ladung bauen. Im Boden stecken Lithium-Eisen-Phosphat- oder Nickel-Kobalt-Mangan-Akkus mit bis 100 kWh für Normreichweiten von bestenfalls 500 Kilometern und im Kampf um kurze Lieferzeiten schraubt Flynt die Ladeleistung nach oben: Schon AC sind 22 kW möglich und an der DC-Säule liegen konkurrenzlose 220 kW an.
60 Prozent Staatsbeteiligung – Vorteil oder Nachteil?
Das Stammwerk von den Experten des Word Economic Forum in Davos als industrieller Leuchtturm ausgezeichnet, beim Qualitätsreport von JD Powers die Spitzenplätze abonniert und im vergangenen Jahr der Podiumsplatz hinter Tesla und BYD – kein Wunder, dass sie in Guangzhou mit stolzer Brust und voller Zuversicht nach Europa schauen. Erst recht, weil sie als Unternehmen mit 60 Prozent Staatsbeteiligung zwar unter dem Einfluss der Partei stehen, dafür aber auch unter ihrem Schutz und deshalb im Gegensatz zu vielen China-Startups nicht um ihre Zukunft fürchten müssen. Zumal sie ja schon bald 70 Jahre auf dem Buckel haben.
Doch man muss nur auf die bescheidenen Europa-Zulassungen von Nio oder BYD schauen für die Erkenntnis, das Größe, Stärke und Zuversicht allein noch kein Garantie für den Erfolg ist und man sich auch den kleinsten Preisen keinen großen Marktanteil kaufen kann. Niemand weiß das besser als Thomas Schemera, der erst für BMW das Geschäft in China verantwortet, dann Hyundai und Kia groß in Europa heraus gebracht hat und jetzt kurz vor der Rente auch noch den Chinesen den Weg nach Westen weisen will.
Zwar fällt es ihm kaum eine Woche nach Amtsantritt noch ein bisschen schwer, die Marke mit einem Satz zu charakterisieren und viel mehr Schlagworte als „konkurrenzlose Preise“, „zukunftsweisende Technik“ und „umfassende Digitalisierung“ kommen ihm noch nicht in den Sinn. Doch hat er schon gelernt, dass es mehr braucht als konkurrenzfähige – oder besser konkurrenzlose – Preise und moderne Technik. „Sondern wir müssen konstant, stabil und stringent die Marke aufbauen,“ ist er überzeugt. „Und wir brauchen ein vernünftiges Vertriebsnetz,“ sagt Schemera und findet offenbar Gefallen daran, sich dafür auf das lokale Knowhow etablierter Partner zu verlassen.
Und das braucht vor allem eines: Geduld. Deshalb tut sich sein Chef Wei Haigang im Gegensatz zur Konkurrenz auch schwer damit, vor Brüssel den Buckel zu beugen und einen europäischen Produktionsstandort ins Rennen zu werfen – selbst wenn GAC mit seiner Nähe zu Peking von den Strafsteuern härter getroffen ist als alle anderen. „Aber erst einmal müssen wir bei Euch genügend Autos verkaufen, damit sich ein eigens Werk für Europa rechnet.“ Und bis er dafür die nötigen 100.000 Autos zusammen bekommt, wird es wohl noch ein wenig dauern und der Aufstieg muss weiter warten. Aber zumindest die Sache mit dem bescheidenen Bekanntheitsgrad dürfte sich schneller ändern.
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