Erste Testfahrt im A290 GTS: Kommt Alpine jetzt in den Massenmarkt?
Alpine versteht sich nicht als höhere Austattungsvariante von Renault-Fahrzeugen, sondern als eigenständige Marke. Das erklärt, warum das Exterieur vergleichsweise stark modifiziert wurde. Die X-Tagfahrlichter in der Optik von aufgesetzten Einzelscheinwerfern verpassen dem Wagen einen Rallye-Look, der von zahlreichen Anbauteilen und einer um sechs Zentimeter verbreiterten Spur abgerundet wird. Im Vergleich zum eher knuffigen R5 (hier unser Fahrbericht) wirkt unser Testwagen wuchtig und hat eine sportliche Präsenz auf der Straße.
Unverkennbar Renault
Im Innenraum ist die Renault-Verwandtschaft dann doch deutlich sichtbarer als außen, Bildschirme und Bedienkonzept sind identisch zum R5. Entsprechend ist auch die Verarbeitungsqualität, wie man sie bei Renault erwartet: Hartplastik und Glossy-Oberflächen gehen Hand in Hand. Immerhin ist alles ordentlich unterschäumt, nichts knarzt oder klappert und an entscheidenden Stellen hat man sich sogar Lederbezüge (bzw. Imitate) gegönnt, sodass die Türverkleidungen und das Armaturenbrett sich erstaunlich wertig anfassen. Das Lenkrad wurde um einige Schalter ergänzt und sportlicher gestaltet.
Wohl auch zur Gewichtsreduktion sind an den Vordersitzen nur die Lordosen elektrisch verstellbar, der Rest ist manuell zu bedienen. Während die Sitzwangen immerhin etwas Halt bieten, ist die Sitzfläche definitiv zu platt und bietet gerade bei sportlicher Fahrweise zu wenig Unterstützung.
Hinten ist das Platzangebot nicht riesig, aber okay. Der vollkommen flache Boden verschafft dem Mittelsitz etwas mehr Platz. Die Knie sind zu weit oben und die Hüfte zu tief, aber zaubern kann eben auch Alpine nicht, wenn die Außenlänge unter vier Metern bleiben soll. Nach vorne gibt es für die Knie ausreichend Luft und unter dem hochgefahrenen Vordersitz lassen sich die Füße bequem abstellen. Über dem Kopf bleibt bei 1,80 Metern Körpergröße kein Platz mehr. Für alle Menschen, die kleiner als 1,70 Meter sind, lässt es sich aber auch im Fond gut aushalten. Apropos kleine Menschen: ISOFIX-Anschlüsse gibt es gleich drei.
Der Kofferraum ist nicht üppig, aber mit 326 Litern doch deutlich größer, als man in einem Kleinwagen erwarten würde. Die Rückbank lässt sich zweigeteilt (60:40) umklappen und ermöglicht ein maximales Ladevolumen von 1.106 Litern.
Auf einen Frunk muss man leider verzichten und generell könnte das Angebot an Ablagemöglichkeiten größer sein – die hinteren Türen kommen gänzlich ohne Ablagen aus.
Infotainment beim Branchenprimus gekauft
Bei der Software macht Alpine das einzig Richtige und versucht sich gar nicht erst an holprigen Eigenkreationen, sondern setzt gleich auf die saubere Lösung von Google.
Dadurch läuft alles flüssig, ist logisch strukturiert und ermöglicht die Nutzung der App-Vielfalt des Play Stores. Google Maps navigiert nicht nur zuverlässig, die Karte lässt sich auch im Tacho-Display großflächig einblenden, so muss das sein. Android Auto läuft auch wunderbar, ist bei einem Android-basierten Infotainment aber eigentlich ohnehin nicht nötig. Ganz ohne Software-Bugs kommt aber auch Alpine nicht aus: Spotify lässt sich nur im Stand einrichten, weiß aber scheinbar nicht, wann das Auto steht. Beim Durchwechseln der verschiedenen Tacho-Anzeigen wird das ansonsten so flüssige System leider zu einer heftigen Ruckelpartie.
Spielereien für Alpinisten
Dass die A290 nicht einfach nur das Topmodell des Renault 5, sondern ein eigenständiges Fahrzeug sein will, unterstreichen die zahlreichen zusätzlichen Features neben der höheren Antriebsleistung (130 kW in der Basisversion und 160 kW ab „GT Performance“). Da sind natürlich die Alpine-typischen großen Gangwahlknöpfe in der Mittelkonsole und sportlich-straffes Fahrwerk (dazu gleich noch mehr). Außerdem gibt es einen extra Drehschalter für die Rekuperationsstufen, damit ist echtes One-Pedal-Driving möglich.
Für den extra Boost beim Überholen hat man sich bei Porsche den Lenkrad-Button für mehr Power abgeschaut – bei Alpine heißt er „OV“ und ist im oberen Teil des Lenkrads positioniert. Tatsächlich ist dieser Knopf aber nur eine hübsche Spielerei, denn die gleiche Leistung gibt es auch beim beherzten Kickdown, sobald man im Strompedal einen Druckpunkt überschreitet. Außerdem gibt es noch einen Schalter für Fahrmodi und umfangreiche Software zur Auswertung von Rennen mit Tipps für einen sportlicheren Fahrstil. Der künstliche Sound klingt im Launch Control Modus etwas übertrieben und blechern, ansonsten ist er aber ganz nett. Wir schalten ihn trotzdem recht bald ab und genießen die Ruhe.
In der Kurve zuhause
Einen Direktstart gibt es leider nicht, man muss weiterhin erst den Start-Stopp-Knopf drücken, bevor man einen Gang einlegen darf. Das Fahren bereitet große Freude, der Vortrieb ist für ein Auto dieser Größenklasse mehr als ausreichend. Alpine betont dabei bei jeder Gelegenheit, dass die A290 das leistungsstärkste Auto dieser Klasse sei. Das mag zwar stimmen, allerdings sind die nächststärkeren Wettbewerber nicht sehr viel größer. Ein Smart #1 ist keine 30 Zentimeter länger, braucht für den 100 km/h-Spring halb so lang und kann dank Allrad statt Frontantrieb die Power auch wirklich auf die Straße bringen. Der Alpine hingegen fehlt immer ein bisschen Punch, sechs Sekunden von null auf hundert hauen im Elektrozeitalter niemanden mehr vom Hocker.
A290 GT + GT Premium | A290 GT Performance + GTS | |
---|---|---|
Antrieb | FWD | FWD |
Leistung | 130 kW | 160 kW |
Drehmoment | 285 Nm | 300 Nm |
Beschleunigung | 7,4 s | 6,4 s |
WLTP–Reichweite | 380 km | 364 km |
Batteriekapazität | 52 kWh | 52 kWh |
Ladeleistung DC | 100 kW | 100 kW |
Ladezeit DC 15-80% | 30 min | 30 min |
Dafür glänzt der Wagen aber mit einem tollen (wenn auch sehr harten) Fahrwerk und hervorragendem Kurvenfahrverhalten. Die weniger als 1,5 Tonnen flitzen flink um jede Ecke und schieben nicht so behäbig nach außen wie die großen Elektroboliden. Gerade auf kurvigen Bergstraßen macht das richtig Spaß, hier reichen die 218 elektrischen Pferde völlig aus.
„Nur“ 160 kW, trotzdem viel Spaß auf der Rennstrecke
Damit wir neben dem alltagsnahen Fahren auch die Rennstreckentauglichkeit testen können, lässt Alpine uns zum Abschluss der Testfahrten noch auf den Rundkurs. Hier überrascht der Wagen positiv, vor allem durch das niedrige Gewicht: Wenig Masse, die nach außen schiebt, macht in den Kurven richtig Spaß. Zusammen mit dem harten Fahrwerk und der präzisen Lenkung fühlt man sich wie in einem Go-Kart. Was Alpine aus der technischen Basis eines recht einfachen Kompaktwagens herausholt, ist beeindruckend. Die A290 reagiert auf jeden Lenkbefehl ohne zu murren, auch ohne Hightech-Luftfahrwerk wankt der Wagen kaum.
Zwei Punkte trüben den Rennstrecken-Spaß etwas: Die Bremsen sind zwar gut, könnten aber noch deutlich besser abgestimmt werden. Bei Vollbremsungen aus höheren Geschwindigkeiten braucht das ABS eine Gedenksekunde zu lang, bis es anständig regelt. Nach oben raus geht dem kleinen Flitzer dann schnell die Puste aus. So viel Spaß er in der Kurve macht, so langweilig ist das Durchziehen auf einer langen Gerade, wo ab Tempo 100 nicht mehr viel „Wumms“ zu spüren ist.
Trotzdem: Aus der eher unsportlichen Basis hat Alpine ein beachtliches Auto gemacht und mit dem sehr niedrigen Gewicht einen angenehmen Gegenpol zu den 2,5 – 3 Tonnen schweren SUV-Dickschiffen geschaffen, die zwar um Faktoren stärker motorisiert sind, in den Kurven ihre Pfunde aber nicht verstecken können.
Keine Überraschung bei der Assistenz
Zurück auf öffentlichen Straßen fehlt freilich noch ein wichtiger Punkt für den Alltagsbetrieb: die Assistenzsysteme. Zu ihnen gibt es wenig zu sagen, denn sie sind in allen Aspekten durchschnittlich. Der Abstandsregeltempomat macht was er soll, der Spurhalteassistent auch – solange man sich auf relativ gerade Autobahnen bewegt. Bei kurvigen Strecken kommen die Helferlein schnell ins Straucheln, zurücklehnen und das Auto machen lassen ist hier nicht möglich. Aber das dürfte wohl auch kein Alpine-Kunde erwarten, die A290 ist ja kein Chauffeurfahrzeug, sondern ein Spaßmobil, wir lassen die Assistenten die meiste Zeit deaktiviert und jagen den Wagen lieber manuell über die Straße.
Die Anti-Schlupfregelung ist auf kurvigen Bergstraßen eine ziemliche Spaßbremse, weil sie beherztes Beschleunigen am Kurvenausgang zu lange verzögert. Das ist aber kein großes Problem, denn direkt neben dem Lenkrad befindet sich extra dafür ein Knopf, der die elektronischen Helferlein ausknipst.
Laden, sonstiges, Mankos
Trotz zahlreicher Anpassungen bei Fahrwerk, Software und Optik, bleibt die zugrundeliegende Elektrotechnik im Wesentlichen gleich, das heißt: Der Akku ist mit 52 kWh nicht übermäßig groß. Nach WLTP sind zwar fast 400 Kilometer drin – die dürften in der Praxis aber bei Alpine-würdiger Fahrweise rasch auf die Hälfte oder weniger zusammenschrumpfen.
Auch die Ladeleistung von nur 100 kW ist passt nicht so recht zum flotten Flitzer, gerade bei einem höheren Verbrauch wäre schnelleres Laden zum Ausgleich umso wichtiger gewesen.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es hier aber: Auf Nachfrage bestätigen uns Alpine-Vertreter, dass die Plattform noch deutlich mehr könnte. Von einem größeren Akku bis hin zu einem Allradantrieb sei theoretisch sehr viel denkbar – konkret in Planung aber erstmal nichts.
Fazit
Es scheint ganz so, als sei Renault die Wiederbelebung der Marke Alpine gelungen. Im Gegensatz zu den vielen fast schon seelenlosen Elektroautos anderer Marken besticht die A290 mit französischem Charme, sodass man sogar darüber hinwegsehen möchte, dass Beschleunigung und Ladeleistung nicht wirklich „sportlich“ sind.
Als Spaßmobil für Hobbyrennfahrer ist die A290 ein nettes Gimmick-Auto. Auch Individualisten könnten hier auf den Geschmack kommen, schließlich sieht man außerhalb Frankreichs nicht so viele Alpine-Fahrzeuge auf den Straßen. Wer aus der Masse herausstechen möchte, könnte hier sein Traumauto finden.
Für ein Alltagsauto oder als Langstreckenauto ist die Federung dann aber doch ein ordentliches Stück zu hart, die Rennstreckentauglichkeit hat eben ihren Preis. Apropos Preis: Der ist mit 38.700 Euro ziemlich moderat geraten und relativiert die Schwachstellen. Selbst das Topmodell „GTS“, das wir als Testwagen hatten, geht mit 44.700 Euro Grundpreis immer noch in Ordnung. So scheint es gut möglich, dass Alpine es sich in der Nische bezahlbarer, sportlicher Autos bequem machen könnte.
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