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Elektrische Entzauberung: Wie BYD mit dem Atto 2 in der Realität ankommt

Sie sind der Shooting Star unter den chinesischen Autobauern und weltweit bei den E-Autos bereits kurz hinter Tesla. Doch in Europa tut sich BYD noch schwer. Kann der kompakte Atto 2 das richten?

Weltweit haben sie im vergangenen Jahr über vier Millionen Autos verkauft und in China sind sie unangefochten der grüne Marktführer. Doch in Deutschland meldet das KBA kaum 3.000 Zulassungen für BYD – nicht pro Monat, sondern im gesamten Jahr 2024. Und trotzdem ist die Aufmerksamkeit jedes Mal groß, wenn das Unternehmen aus Shenzen ein neues Auto herausbringt. Deshalb schauen auch jetzt wieder alle genau hin, wenn sie zum März den Atto 2 von der Leine lassen.

Dabei hegen sie große Hoffnungen. Denn als hoch aufragender Kompakter von 4,31 Metern ist der Atto 2 nicht nur ihr kleinstes SUV und zum Grundpreis von wohl ganz knapp unter 30.000 Euro ihr billigster Export überhaupt. Sondern er zielt auch noch in das mit Abstand wichtigste Segment des Markts hierzulande und ist obendrein das Auto, bei dessen Entwicklung sie am strengsten nach Europa geschaut haben. Wenn das mal kein Grund ist für eine gewisse Aufmerksamkeit.

Dass Europa im Fokus war, erkennt man nicht nur an den Abmessungen, sondern man sieht es auch am seriösen Auftritt. Zwar will der Name nicht so recht zu Seal, Dolphin & Co passen, und die Linie hat nichts von der Ocean Beauty, die sie uns sonst schmackhaft machen wollen. Doch der Atto 2 verkneift sich alle Provokation oder Effekthascherei, wirkt wie aus einem Guss und steht einfach satt und sauber da.

Vor allem aber merkt man ihre europäische Orientierung im Innenraum: Ja, es gibt wie immer einen drehbaren Bildschirm, die Animationen der 360-Grad-Kameras beim Rangieren sind eher irritierend als erhellend, die Assistenz- und Warnsysteme sind sensibel bis kurz vor dem Tinnitus und irgendwo in den Tiefen des Menüs findet man auch einen Karaoke-Modus.

Aber als hätten sie tapfer alle westliche Kritik an den vielen Newcomern aus dem Osten ausgewertet, gibt es wieder vernünftige Schalter an Lenkrad, Bedieninseln mit Tastern in den Türen und eine weitere Knöpfchensammlung auf dem Mitteltunnel, aus der sogar wieder einen Art Schaltknauf ragt. Und selbst wenn man dessen Diamanten-Muster oder den Druckwalzen in den Lenkradspeichen den Kostendruck anmerkt, sieht das alles gut aus und fühlt sich auch so an.

BYD enttäuscht bei der Batterie

Dazu noch bequeme Sessel, eine auf Anhieb gute Sitzposition und obendrein eine unauffällige aber vertrauenserweckende Abstimmung von Fahrwerk, Lenkung und Bremsen – fertig ist die perfekte Familienkutsche. Selbst das Platzangebot in der zweiten Reihe ist dank 2,62 Metern Radstand ok und der Kofferraum mit 400 bis 1.340 Litern in Ordnung. Fehlt eigentliche nur noch der Frunk, für den unter der Haube trotz Frontantriebs noch mehr als genug Platz wäre.

Schade nur, dass sie über die Fokussierung auf den europäischen Geschmack offenbar ihre eigenen Stärken vergessen haben. Denn ausgerechnet der größte Batteriehersteller der Welt und selbsternannte Innovationsführer enttäuscht bei der Elektrotechnik – wo BYD beim Sealion 7 doch endlich auf dem Weg war, ein E-Auto mit attraktiven Daten zu bringen.

Während Antrieb und Fahrleistungen mit 133 kW, 7,9 Sekunden von 0 auf 100 und 160 km/h Spitze noch zum gehobenen Durchschnitt zählen, ist der LFP-Akku mit 45 kWh kleiner als bei den avisierten Konkurrenten, so dass der Atto 2 nach spätestens 312 Normkilometern an die Ladesäule muss. Wo dann die eigentliche Enttäuschung lauert: Mit gerade mal 65 kW Maximalleistung zählt er zu den lahmsten Ladern überhaupt. Nur der Leapmotor T03, der Fiat 500E und der Dacia Spring lassen sich noch mehr Zeit.

Selbst damit könnte BYD bei kostenbewussten Kunden vielleicht noch punkten. Wenn den wenigstens der Preis stimmen würde. Doch mit wohl 29.990 Euro für den Einstieg und etwa 32.000 Euro für den ansonsten immerhin sehr großzügig ausgestatteten Boost schielen die Chinesen beim Preis zwar nach Autos wie dem VW ID.3, dem Skoda Elroq oder dem Kia EV3, bewegen sich mit dem Auto an sich tatsächlich aber auf einem Niveau noch unter Stellantis-Modellen wie dem Opel Frontera oder dem neuen Citroën ë-C3 Aircross. Denn die sind nicht nur praktischer und laden besser, sondern sind zum Teil noch zehn Prozent billiger – der Citroën ist etwas größer als der Atto 2, startet aber schon bei 26.490 Euro. Und der etwas kleinere Fiat Grande Panda, den wir vergangene Woche im Test hatten, hat quasi eine gleich große Batterie, die gleiche WLTP-Reichweite, kann mit bis zu 100 kW laden und kostet 5.000 Euro weniger. Und sie kommen von Marken, die ein großes Händler- und Servicenetz bieten und sich über Jahrzehnte ein gewisses Vertrauen aufgebaut haben. Alles Faktoren, die BYD bislang noch nicht bieten kann.

Zu hohe Preise für zu kleine und zu lahme Akkus – selbst in der eigenen Organisation rumort es da gewaltig und das europäische Marketing hat bereits eine lange Wunschliste nach Shenzen geschickt. Und der Frunk ist da kaum mehr als eine Fußnote: „Denn so einen schlechten Einstand hat unser bisher vielleicht bestes Auto nicht verdient“, ärgert sich der europäische Marketingchef Francis Ji.

Ein bisschen Hoffnung darf sich MisterJi allerdings machen. Denn in Herbst kommt als Topmodell der Comfort mit größerem Akku für 400 Kilometer und schnelleres Laden, der trotzdem noch unter 35.000 Euro bleiben soll. Und zum Jahresende soll dann in Ungarn auch das erste europäische BYD-Werk die Produktion aufnehmen – und den Chinesen die Last von zusammen 27 Prozent Zoll nehmen. Selbst wenn die Produktion dort etwas teurer sein dürfte als daheim, könnten sie dann trotzdem spürbar die Preise senken und BYD in der Zulassungsstatistik so doch noch nach oben bringen.

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