E-Lkw-Hersteller Nikola beantragt Insolvenz nach Chapter 11
Dem 2014 gegründeten E-Lkw-Hersteller Nikola geht das Geld aus: Am heutigen 19. Februar haben die Nikola Corporation und neun Tochtergesellschaften beim United States Bankruptcy Court in Delaware ein Insolvenzverfahren gemäß Chapter 11 des Bankruptcy Code beantragt. Ein solches Verfahren hat in den USA eine Sanierung zum Ziel. Zum Vergleich: Ist ein Unternehmen gänzlich zahlungsunfähig und sieht keine Grundlage für einen erfolgreichen Weiterbetrieb, wird es nach den Regeln des Chapter 7 abgewickelt.
Mit einer Chapter-11-Insolvenz wird Nikola nun bis zum Abschluss seiner angestrebten Reorganisation vor rechtlichen Schritten der Schuldner geschützt. Die Firma aus Phoenix im US-Bundesstaat Arizona gibt auch an, noch über etwa 47 Millionen US-Dollar an Barmitteln zu verfügen, um die Zeit bis zu einem angestrebten Verkauf zu überbrücken.
Überraschend kommt der Chapter-11-Antrag zum jetzigen Zeitpunkt nicht: Schon im Dezember warnte der E-Lkw-Hersteller in einer Pflichtmitteilung an die US-Börsenaufsicht, dass er nicht genug Geld habe, um das nächste Quartal zu überstehen. Um seine Ausgaben zu reduzieren, entließ Nikola daraufhin im großen Stil Mitarbeiter. Ende Januar kamen dann erste Gerüchte auf, dass Nikola den Verkauf von Unternehmensteilen oder des gesamten Unternehmens erwäge. Anschließend machte Konkurrent Mullen Automotive Anfang Februar publik, das Batteriegeschäft von Nikola aufzukaufen.
Nikola hofft auf „strukturierten Verkaufsprozess“
Zu einem Turnaround hat das alles nicht gereicht – und Nikola macht auch keine weiteren Sanierungsabsichten publik. Stattdessen gibt die Firma an, vor Gericht eine Genehmigung für einen Versteigerungs- und Verkaufsprozess (gemäß Abschnitt 363 des US Bankruptcy Code) beantragt zu haben. Denn: „Nach monatelanger aktiver Verfolgung verschiedener Alternativen“ kam Nikola zu dem Schluss, dass „ein strukturierter Verkaufsprozess die bestmögliche Lösung darstellt, um die Vermögenswerte zu maximieren.“ Man beabsichtige, alle oder Teile der Vermögenswerte zu verkaufen und eine geordnete Abwicklung der Geschäfte einzuleiten.
Kommt das Gericht Nikola entgegen, könnten interessierte Parteien ihre verbindlichen Angebote für den Erwerb der Nikola-Vermögenswerte also in einem Bieterverfahren einreichen. Um die Zeit bis zu einem potenziellen Aufkauf zu überbrücken, soll der Geschäftsbetrieb „eingeschränkt“ weitergehen und auch die verbliebenen Mitarbeiter weiter bezahlt werden. „Vorbehaltlich der gerichtlichen Genehmigung beabsichtigt das Unternehmen, bestimmte direkt erbrachte Service- und Supportleistungen für die derzeit im Einsatz befindlichen Fahrzeuge, einschließlich bestimmter HYLA-Tankvorgänge, bis Ende März 2025 fortzuführen“, teilt Nikola mit. Danach werde man einen oder mehrere Partner benötigen, um diese Aktivitäten zu unterstützen.
Nikola-Präsident und -CEO Steve Girsky äußert, dass seine Firma wie andere Unternehmen in der eMobility-Branche mit „verschiedenen Markt- und makroökonomischen Faktoren“ konfrontiert worden sei, die seine Geschäftsfähigkeit beeinträchtigt haben. „In den vergangenen Monaten haben wir zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um Kapital zu beschaffen, unsere Verbindlichkeiten zu reduzieren, unsere Bilanz zu bereinigen und Barmittel zur Aufrechterhaltung unserer Geschäftstätigkeit zu erhalten. Leider haben unsere besten Bemühungen nicht ausgereicht, um diese erheblichen Herausforderungen zu bewältigen, und der Vorstand hat beschlossen, dass Chapter 11 unter den gegebenen Umständen den bestmöglichen Weg für das Unternehmen und seine Stakeholder darstellt“, so der frühere GM-Manager.
Nikola verlor zuletzt 200 Millionen USD pro Quartal
Dass Nikola über Jahre tief in der Verlustzone steckte und auch keine Besserung ist Sicht war, offenbaren in der Tat sämtliche bis dato veröffentlichten Geschäftsberichte des Unternehmens. Nur zum Halbjahr 2024 sah es einmal so aus, als könnte sich das Unternehmen etwas berappeln. Offenbar aber nur ein Intermezzo. Die Kollegen vom US-Portal Electrek gaben im Dezember an, dass Nikola etwa 200 Millionen Dollar pro Quartal verliere.
Und auch jenseits der Liquiditätsengpässe hat Nikola einiges hinter sich. Etliche Branchenbeobachter prophezeiten der Firma bereits vor gut zwei Jahren das Aus, als der einstige Gründer und ehemalige CEO Trevor Milton wegen Betrugs verurteilt wurde. Er hatte Aktionäre über die Technologie des Unternehmens belogen. Die Entschädigungssummen spielten daraufhin noch bis in die Gegenwart eine Rolle.
Auch nach dem Gerichtsprozess gegen Milton ging es chaotisch weiter. 2023 entschied Nikola seinen Anteil am Europa-Joint Venture mit Iveco vollständig an den italienischen Lkw-Hersteller zu verkaufen, was einem Rückzug aus Europa gleichkam. Im selben Jahr musste Nikola alle 209 ausgelieferte Batterie-Lkw zurückrufen. Immerhin: Den Fokus hatte das Unternehmen bereits zuvor vermehrt auf den Brennstoffzellen-Lkw gelegt. Aus der kapitalintensiven Startphase kam Nikola aber im Prinzip nie hinaus. Neben den akuten Geldsorgen soll sich das Unternehmen zuletzt auch juristisch eingezingelt gefühlt haben. Laut Electrek sei Nikola „mit einer Reihe von Klagen von Aktionären, Lieferanten und Partnern konfrontiert“.
Gut zehn Jahre ist Nikola alt geworden. Zur Bilanz des Unternehmens gehört die Markteinführung der ersten kommerziell verfügbaren H2-Lkw der Klasse 8 in Nordamerika und die Entwicklung eines H2-Tankstellennetzes namens HYLA das Nord- mit Südkalifornien verbindet. Nikola-Kunden sollen mit den Batterie-elektrischen und Brennstoffzellen-Lkw des Unternehmens laut CEO Girsky bisher 3,3 Millionen Meilen zurückgelegt und das HYLA-Tankstellennetz gut 330 Tonnen Wasserstoff abgegeben haben.
4 Kommentare