
Erste Fahrt im neuen Mercedes GLC: Elektrischer Paarlauf
Wenn Drummond Jacoy über den Mercedes GLC spricht, rutscht ihm verdächtig oft das Adjektiv „alt“ heraus und er beißt sich auf die Zunge. Schließlich hat der Geländewagen noch keine drei Jahre auf dem Buckel und noch nicht einmal ein Facelift bekommen. Doch man kann dem Schotten nicht böse sein.
Schließlich ist er der Chief Engineer des neuen GLC und hat diesmal ein bisschen früher mit der Arbeit begonnen. Denn statt ein Auto nach dem anderen zu bringen, probt Mercedes bei seiner absatzstärksten Baureihe künftig den Paarlauf und der Verbrenner wird von einem eigenständigen, nagelneuen E-Modell flankiert – aber halt nicht mehr als EQC, sondern als elektrischer GLC.
Alt oder neu, das ist die Frage
Da darf man mit alt und neu schon mal durcheinander kommen – zumal es Jacoy genau darum geht. „Es soll für den Kunden keine Unterschiede mehr geben zwischen den beiden Welten“, zitiert der Chefingenieur aus seinem Briefing. „Der Neue soll alles mindestens so gut oder sogar noch besser können als der Alte“, sagt Jacoy und schiebt mit einem Schulterzucken schnell ein „Sorry: der Aktuelle“ nach.
Um das zu beweisen – und wahrscheinlich auch um die schlechten Erinnerungen an den unglücklichen EQC zu tilgen – bittet er schon sechs Monate vor der Weltpremiere auf der IAA in München und ein Jahr vor dem Marktstart zur Testfahrt im Prototypen und räumt dafür sogar den Fahrersitz.












Dort erlebt man den außen wie innen noch stark getarnten Gegner von Audi Q6 e-tronund dem kommenden iX3 aus BMWs Neuer Klasse als genauso engagiert wie den aktuellen GLC. Nur, dass er noch stärker antritt und es einem zum Beispiel beim Überholen noch leichter macht.
Kein Wunder, wenn die Topversion schon diesseits von AMG zwei Motoren mit zusammen 320 kW hat und der Motor im Heck mit einem zweistufigen Getriebe gekoppelt ist – wie beim elektrischen CLA. Damit beschleunigt er an der Ampel wie ein Sprinter, hat aber auf der Autobahn den langen Atem eines Marathon-Läufers, beschreibt Jacoy diesen Kunstgriff, von dem der Fahrer nichts spürt – außer, dass es immer und bei jeder Gelegenheit überraschend flott voran geht. Es sei denn, man nimmt den Fuß vom Fahrpedal und hat vorher die maximale Rekuperation eingestellt. Denn zum ersten Mal bietet Mercedes hier ein ernstzunehmendes und echtes One-Pedal-Fahren.
Aber der GLC will nicht nur der Dynamiker in der Stuttgarter SUV-Familie sein, sondern auch ein souveränes, entspanntes Fahrverhalten bieten. Dabei hilft allen Versionen der um etwa zehn Zentimeter gestreckte Radstand im Vergleich zum Verbrenner und das große Gewicht des Akkus, das den Schwerpunkt drückt.
Und in den Top-Versionen hilft zudem eine Luftfederung, mit der sich die Fahrprofile ein bisschen weiter spreizen lassen. Eben noch war der Prototyp straff angebunden und hat den Fahrer mitgenommen auf seine Kurvenhatz, jetzt ist er entkoppelt und rollt watteweich über eine Schlaglochpiste, die zurück zur Garage führt. Dort fällt kurz vor dem Ende der Testfahrt noch eine weitere Finesse auf, die Jacoy dem Neuen spendiert hat: Ähnlich wie EQS und EQE bekommt auch der GLC eine Hinterachslenkung und fühlt sich damit ausgesprochen handlich an.
Dass der neue GLC dem alten nicht nur beim Fahren Paroli bieten kann, zeigt sich beim Positionswechsel, wenn Jacoy seinen Gast mal nach hinten bittet. Dann spürt man die rund zehn Zentimeter mehr Radstand als Freiraum vor den Knien, spürt das lichte Raumgefühl unter dem großen Panorama-Dach und lernt, dass Kofferraum und Anhängelast ähnlich sind wie bei den Verbrennern – nur dass es beim GLC zudem noch einen Frunk gibt, der seinem Namen alle Ehre macht. Zahlen nennt Mercedes noch nicht, „der Aktuelle“ kann je nach Antrieb zwischen 1,8 und 2,5 Tonnen ziehen, beim Plug-in-Hybrid sind es glatte zwei Tonnen.
Fast 95 kWh Akku für 650 Kilometer Reichweite
Mehr Platz, souveräne Fahrleistungen und auch bei der Reichweite auf Augenhöhe mit dem aktuellen Modell: So stolz Mercedes auf seinen MMA-Baukasten ist, der jetzt mit dem CLA seinen Einstand gibt: Mit dem GLC hätte Jacoy diese Architektur gesprengt. Doch weil die EVA von EQE und EQS jetzt auch nicht gerade die jüngste und beste ist, hat Mercedes für seinen Bestseller (und natürlich noch ein paar andere Modelle) einfach auf Basis der CLA-Technik einen neuen, größeren Baukasten entwickelt. Schon vor der CLA-Premiere haben die Mercedes-Entwickler immer wieder betont, dass die für die MMA entwickelten Komponenten für andere Plattformen skalierbar seien. Das Konzept bleibt gleich, nur die genaue Auslegung variiert je nach Größenklasse.
So setzt der „neue“ GLC ebenfalls auf 800-Volt-Akkus, die dann bei mindestens 320 kW entsprechend schnell laden können und im besten Fall auf 94,4 kWh kommen. „Damit liegt die Normreichweite bei über 650 Kilometern“, sagt Jacoy vage. Doch wenn schon der Bordcomputer im nicht ganz vollen Prototyp bei flotter Fahrt und kaltem Wetter auf 636 Kilometer Restreichweite kommt, sollte es fast für den 700er-Club reichen.
Die erwähnte Top-End-Batterie erhält dann auch eine Siliziumoxid-Beimischung in das Grafit der Anode. An der Kathode kommt hier eine NMC-Zellchemie zum Einsatz. Wie beim elektrischen CLA wird die günstigere Basis-Batterie eine „andere Zellchemie“ haben, wie Mercedes angibt – also LFP-Zellen.
Startet der Elektro-GLC unter 55.000 Euro?
Beim Antrieb kommt an der Hinterachse die Mercedes-Eigenentwicklung mit Zwei-Gang-Getriebe zum Einsatz – dabei handelt es sich um eine PSM, also eine permanenterregte Synchronmaschine mit Dauermagneten im Rotor. Bei den 4MATIC-Modellen mit Allradantrieb sitzt eine zweite PSM an der Vorderachse, die die Schwaben aber von einem Zulieferer einkaufen. Da dieser Motor nicht die ganze Zeit mitläuft und sonst nur Schleppverluste verursacht, kann er mit einer eigenen Kupplung blitzschnell zu- oder abgeschaltet werden.
Bleibt zum Schluss noch die Frage nach dem Preis, bei der Jacoy plötzlich auf stumm schaltet und auf Nachfrage nochmal sein Briefing zitiert: „Keine Kompromisse, keine Abstriche – wir wollen dem Kunden die Wahl leicht machen.“ Wenn man diesen Marketing-Sprech entwirrt, lässt sich daraus die Hoffnung auf einen identischen Einstiegspreis ableiten. Doch selbst mit allem Optimismus und einer abgespeckten Basisversion mit einem Motor und kleinem Akku ist kaum anzunehmen, dass der elektrische GLC künftig tatsächlich wie der Verbrenner unter 55.000 Euro beginnt. Zumindest am Anfang wird es wohl eher auf Anfang 70.000 Euro heraus laufen.
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