
VW ID. EVERY1: So stellt sich Volkswagen den 20.000-Euro-Stromer vor
Keine Frage: Die Hoffnungen, die man in Wolfsburg in den ID. EVERY1 steckt, sind groß. Schon vor der Weltpremiere am Mittwoch in Düsseldorf hat das Top-Management bei einer Betriebsversammlung der eigenen Belegschaft erste Designskizzen des kommenden Elektro-Kleinwagens gezeigt. Das Feedback soll positiv ausgefallen sein, was man in letzter Zeit sicher nicht oft sagen konnte, wenn der VW-Vorstand vor die eigenen Mitarbeiter getreten ist – der Tarifstreit und die Drohung von Werksschließungen ist in den Köpfen noch zu präsent.
Doch nicht nur die Hoffnungen sind groß, sondern auch der Druck. Etwas über fünf Jahre, nachdem der erste ID.3 vom Band gelaufen ist – damals hieß die Bundeskanzlerin noch Angela Merkel, nur um die Zeitspanne zu verdeutlichen –, haben die Elektroautos von Volkswagen auf Basis des MEB so langsam ein wettbewerbsfähiges Niveau erreicht. Die Software war anfangs schlicht noch nicht marktreif, die Autos gemessen am verbauten Hartplastik zu teuer, Schlagzeilen und Maßstäbe haben andere gesetzt. Inzwischen verkaufen sich die Elektro-VWs – auch dank einiger Updates – zunehmend besser, der ID.7 ist in Europa regelrecht erfolgreich.
An einer Stelle sind die Wolfsburger aber nach wie vor blank: bei den bezahlbaren Elektro-Kleinwagen. Während Stellantis, Renault und Hyundai ihre Modelle unter 25.000 Euro auf den Markt bringen, will VW erst 2026 die Serienversion zur 2023 präsentierten Studie ID.2all zeigen. Immerhin soll danach das Premieren-Tempo hoch bleiben, denn es folgen nicht nur das entsprechende Kleinwagen-SUV der Vier-Meter-Klasse, sondern weitere Ableger von Skoda und Cupra. Und dann im Jahr 2027 soll der ID.1 mit rund 20.000 Euro Verkaufspreis nochmals ein neues Segment für VW erschließen.
VW rollt das E-Kleinwagen-Feld von hinten auf
Aber: VW muss liefern, denn noch einmal wird es der Markt wohl nicht verzeihen, wenn nicht fertig entwickelte E-Autos von den Bändern laufen, während die Konkurrenz abliefert. Volkswagen ist schon jetzt spät dran. Bisher ist es den Wolfsburgern zwar immer wieder gelungen, das Feld von hinten aufzurollen, denn selbst als sich Anfang der 2000er Jahre der SUV-Boom abgezeichnet hatte, hat sich Volkswagen mit dem Tiguan Zeit gelassen. Und dann doch einen Bestseller auf den Markt gebracht. Die Hoffnung ist, dass der ID.1 und ID.2 das wiederholen. Nur: Sie müssen es halt auch. Das ist auch Konzernchef Oliver Blume klar: „Das ist kein Auto, mit dem wir reich werden. Dennoch ist der ID. EVERY1 extrem wichtig, weil er ein sympathischer Imageträger ist und für die Marke neue Kundengruppen erreicht“, sagte er im Hintergrundgespräch mit Journalisten am Rande der Präsentation in Düsseldorf.
Zur Premiere des Showcars bemüht denn auch das Marketing die ganz großen Vergleiche. „Mit kompakten und sympathischen Autos ermöglicht Volkswagen seit dem Käfer Millionen von Menschen bezahlbare Mobilität“, so die Wolfsburger. Anders als ein ID.7 jenseits der 50.000 Euro haben die E-Kleinwagen tatsächlich das Zeug, als „bezahlbare“ Autos die Elektromobilität in die Masse zu tragen – wenn denn die Daten dem Preis angemessen sind. Denn rein über das Preisschild kann es nicht gehen, dazu ist die Konkurrenz schon jetzt vorne mit dabei – und 2027 erst recht.



























Und tatsächlich hat VW direkt zur Premiere schon einige Eckdaten genannt, obwohl es bei dem Showcar vor allem um das Design geht – dazu gleich mehr. Wie schon der ID.2all und dessen Sportversion ID. Concept GTI gehört der ID. EVERY1 zur Electric Urban Car Family und basiert auf dem neuen modularen E-Antriebs-Baukasten mit Frontantrieb. Im kleinen ID. EVERY1 kommt ein neu entwickelter Elektromotor mit 70 kW zum Einsatz, der eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h ermöglichen soll. Details zur Batterie gibt es noch nicht, die (WLTP-)Reichweite soll aber bei „mindestens 250 Kilometern“ liegen, so VW.
Das klingt zunächst nicht überragend, zur Einordnung kurz ein Blick auf die Konkurrenz: Aktuell angebotene Modelle unter 20.000 Euro sind etwa der Dacia Spring oder Leapmotor T03 – Renault plant zwar den elektrischen Twingo für 20.000 Euro und einen neuen Dacia-Kleinwagen für 18.000 Euro, hat aber noch keine Daten genannt. Den in China gebauten Spring gibt es mit 33 oder 48 kW Leistung, etwa 225 Kilometern WLTP-Reichweite und der Spring kann auch maximal 125 km/h fahren. Der Leapmotor bietet aber schon heute grob das, was VW für 2027 verspricht: 70 kW Leistung und 263 Kilometer Reichweite. Allerdings gibt es hier Abstriche beim Laden: Es dauert 36 Minuten, um den Ladestand von 30 auf 80 Prozent zu bringen.
ID. EVERY1 | bekannte Fakten |
---|---|
Abmessungen | 3,88×1,82×1,49m |
Leistung | 70 kW |
Höchstgeschwindigkeit | 130 km/h |
Reichweite | 250 km |
Preis | „rund“ 20.000 Euro |
Hier könnte der ID.1 also punkten, zur Ladeleistung des Serienmodells macht VW aber noch keine Angaben. Die 32 kW, die sich rechnerisch bei der 37,7 kWh großen Batterie des Leapmotor ergeben, dürfte der VW zwar wohl knacken. Wenn man davon ausgeht, dass der ID.1 einen 35-kWh-Akku erhält (ein Hyundai Inster mit 42 kWh kommt auf fast 330 WLTP-Kilometer, der ID.1 wird also deutlich unter 40 kWh liegen), würden für den Standard-Ladevorgang von zehn auf 80 Prozent knapp 25 kWh benötigt. Will VW das in einer halben Stunde schaffen, sind 50 kW im Schnitt nötig, bei 25 Minuten sind es 60 kW. Und könnte VW den Akku in diesem Fenster mit 2C, also dem Doppelten des Energiegehalts laden, wären 21 Minuten möglich.
Nur: Zur Batterie schweigen die Wolfsburger wie erwähnt eisern. Es ist also nicht einmal genau klar, welche Zellchemie im ID.1 zum Einsatz kommen wird. Beim ID.2 wird es in der Basis wohl einen LFP-Akku geben, die angekündigte Top-Version mit 400 Kilometern Reichweite wird aber einen NMC-Akku erhalten. Hyundai schafft es schon 2025, den Inster mit 42-kWh-Batterie ab 23.900 Euro anzubieten und dabei NMC-Zellen zu nutzen. Andere 25.000-Euro-Stromer setzen meist auf LFP-Zellen, was zum Beispiel Nachteile bei Kälte nach sich ziehen kann – vor allem, wenn aus Kostengründen die Batterieheizung gespart wird. Da wird VW aufpassen müssen.
Verlassen wir das Reich der Spekulationen und blicken auf das, was schon bekannt ist: Der ID. EVERY1 ist 3,88 Meter lang und 1,81 Meter breit und wird damit laut VW zwischen dem alten e-Up! (3,60 Meter) und dem ID.2all (4,05 Meter) bzw. dem Verbrenner-Polo (4,07 Meter) angesiedelt. Der gerade erwähnte Hyundai Inster ist etwa 3,83 Meter lang, aber 20 Zentimeter schmaler. Der Leapmotor T03 gleicht mit 3,62 Metern eher dem ehemaligen e-Up!, der Spring ist 3,70 Meter lang. Und die beiden Modelle sind auch schmaler, sie bewegen sich im Bereich von 1,60 Metern.
Das ist dem ID. EVERY1 auch anzusehen – im positiven wie negativen Sinne. Dank der zusätzlichen Breite bietet der etwas sportlichere und stämmigere Proportionen wie die genannten Konkurrenzmodelle – und wahrscheinlich auch spürbar mehr Luft im Innenraum. In engen Altbau-Garagen oder Großstadt-Parklücken dürfte es in den anderen Modellen einfacher zu parken und auszusteigen sein wie in dem VW. Und bei der Aerodynamik und dem Autobahn-Verbrauch macht sich die größere Frontfläche vermutlich ebenfalls negativ bemerkbar. Ja, als Elektro-Kleinwagen wird der ID.1 kein Langstrecken-Fahrzeug sein. Aber um das Versprechen bezahlbarer Mobilität – wir erinnern uns an den Käfer-Vergleich – zu erfüllen, muss der ID.1 auch viele Kundenprofile abdecken können. Und dazu gehört auch die Autobahn auf der Pendelstrecke oder mal am Wochenende bei einem Ausflug. Dabei können noch bis zu drei weitere Personen mitfahren – der ID. EVERY1 ist als Viersitzer ausgelegt, die Serienversion wird es wahrscheinlich auch sein. Dann passen noch 305 Liter in den Kofferraum, was in etwa auf dem Niveau des Dacia Spring liegt.
ID.1 erhält wohl Rivian-Software-Architektur
Wie sich der ID.1 profilieren will, wenn die Kleinwagen-Maße rein physikalisch den verfügbaren Platz begrenzen und Faktoren wie die Batterie den Spielraum beim Preis einengen, macht VW bei der Premiere klar. Vor allem mit der Software, die einst den MEB-Start mit verhagelt hat, soll der ID.1 punkten. „Bei zukünftigen Modellen sprechen wir von Customer Defined Vehicles. Der ID. EVERY1 zeigt, dass wir unsere Kunden, ihre Wünsche, ihre Interessen und ihre Vorlieben, konsequenter als je zuvor in den Mittelpunkt der Fahrzeugentwicklung rücken“, sagt Kai Grünitz, Volkswagen Markenvorstand für den Geschäftsbereich Technische Entwicklung. „Als erstes Modell im gesamten Konzern“ soll die Serienversion des ID. EVERY1 eine grundlegend neue, besonders leistungsfähige Software-Architektur nutzen – also vermutlich jene Architektur, die gemeinsam mit Rivian entwickelt wird. „So kann der künftige Basis-Volkswagen neue Funktionen über den gesamten Lebenszyklus erhalten, wenn es seine Benutzer wünschen. Auch nach dem Neuwagenkauf lässt er sich individuell an ihre Bedürfnisse anpassen“, schreibt VW. Details bleiben aber noch abzuwarten.
Das gilt auch für das Design, wo der ID. EVERY1 aber schon die grobe Richtung für das Serienmodell vorgeben soll. „Unser Anspruch war es, etwas Mutiges und doch Zugängliches zu schaffen“, sagt Chefdesigner Andreas Mindt. „Der ID. EVERY1 tritt selbstbewusst auf, bleibt aber sympathisch – dank Details wie den dynamischen Frontleuchten und dem ‚lächelnden‘ Heck. Diese Designelemente machen ihn zu mehr als nur zu einem Auto: Sie verleihen ihm Charakter und eine Identität, mit der sich Menschen verbinden können.“
Tatsächlich gibt es – etwa bei der Form der Scheinwerfer – gewisse Ähnlichkeiten zur Studie ID.Life, die VW auf der IAA 2021 gezeigt hatte. Dieser Entwurf als Ausblick für den ID.2 fiel mit seinen Retro-Anleihen aber durch und wurde vom neuen VW-Markenchef Thomas Schäfer verworfen – Mindt als neuer Designchef hat dann den ID.2all mit gefälligeren Linien entworfen.
„Perfekte“ Raumökonomie dank Frontantrieb
Der Entwurf des ID. EVERY1 soll nach den gleichen Grundprinzipien entstanden sein, die Mindt schon damals als „zentrale Eckpfeiler der neuen Design-Sprache“ vorgestellt hatte: Stabilität, Sympathie und das überraschende Element „der Secret Sauce“. Die visuelle Stabilität ergibt sich beim ID. EVERY1 über die ausgestellten Radhäuser, die für ein solches Fahrzeug vergleichsweise großen 19-Zoll-Felgen und eben die 20 Zentimeter zusätzliche Breite (mit den erwähnten Nachteilen). Die Sympathie soll durch die freundliche Ausstrahlung erreicht werden – die markanten LED-Scheinwerfer und der stilisierte Kühlergrill sollen vertraut wirken. Zudem ist das ganze Fahrzeuge im „goldenen Schnitt“ proportioniert, den Menschen unbewusst als sympathisch empfinden. „Einfach erklärt, ist es das Verhältnis von drei Fünfteln zu zwei Fünfteln eines Bildes, einer Skulptur oder eben der Aufteilung einer Fahrzeugansicht. Schon Leonardo da Vinci folgte bei Kunstwerken wie der Mona Lisa diesem geometrischen Prinzip“, so VW. Auf den ID. EVERY1 übertragen heißt das: Die zwei Fünftel zu drei Fünftel teilen in der Seitenansicht etwa das Fensterband von den Karosserieflächen, am Heck ist es das Verhältnis vom Stoßfänger zur flachen Heckscheibe. Und auch die Frontpartie mit dem schwarzen „Kühler“ folgt dem goldenen Schnitt.
Die „Secret Sauce“ ist hingegen nicht so direkt zu erkennen – sie soll ja auch „geheim“ sein. Das „Flying Roof Concept“ sieht eine mittig abgesenkte Dachlinie vor, was vor allem von oben eine sehr markante Ansicht ergibt. Diese Vertiefung in der Dachmitte wird von dem dritten Bremslicht am Heck aufgegriffen, die beiden Außenflächen bilden den Dachabschluss als aerodynamische Abrisskante. So soll auch der Luftfluss verbessert werden, was die Reichweite erhöht. Die Kopffreiheit hinten soll aber nicht beeinträchtigt werden.
Bleibt noch der Blick in den Innenraum: Hier spricht VW von einem „revolutionären Raumriesen“. Der neue Frontantriebs-MEB soll eine „perfekte“ Raumökonomie ermöglichen. Zumindest in der Studie gibt es einen zentralen Touchscreen und darunter echte Tasten für die Klimaanlage, Sitzheizung und die Audio-Lautstärke. Außerdem gibt VW an, dass die „haptisch angenehmen Oberflächen in warmen, freundlichen Farben ausgeführt“ seien und es eine „loungartige Sitzanlage“ geben soll. Auch hier gibt man sich nach dem Hartplastik-Desaster der ersten ID.3 geläutert.
VW als „Marke für alle“
Zudem sollen kleine Details den Praxisnutzen erhöhen: Das Armaturenbrett ist etwa von horizontalen Linien geprägt, in die auf der Beifahrerseite auch eine kleine Schiene integriert ist. Dort lässt sich etwa ein Tablet-Halter einclipsen, oder ein kleiner Tisch. Und die Mittelkonsole kann – wie im großen ID. Buzz – auf einer Schiene als „multifunktionale Ablage“ bis zur Rückbank verschoben werden.
In Summe aller Eigenschaften vom Antrieb über das Design bis hin zur in Europa geplanten Produktion (es steht aber noch kein genaues Werk fest) sieht Markenchef Thomas Schäfer im ID. EVERY1 „das letzte Puzzleteil auf unserem Weg zur breitesten Modellauswahl im Volumensegment“. „Wir bieten dann für jeden Kunden das passende Auto mit passendem Antrieb – inklusive bezahlbarer vollelektrischer Einstiegsmobilität“, so Schäfer. „Unser Anspruch: Wir werden bis 2030 der weltweit technologisch führende Volumenhersteller. Und zwar als Marke für alle – so wie man es von Volkswagen erwarten darf.“
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