DHL und Scania testen selbstentwickelten E-Lkw mit Range-Extender
Mehrere Nutzfahrzeug-Hersteller suchen nach Wegen, um mit „sauberen Antrieben“ weite Distanzen abzudecken. Hauptziel ist dabei, den Batterie-elektrischen Antrieb zu übertreffen, der im Truck-Bereich aktuell bei 500 bis 550 Kilometern an seine Grenzen kommt (jedenfalls wenn man noch eine vernünftige Nutzlast haben will). Zu Oberleitungs-Lkw und Fahrzeugen mit Brennstoffzelle oder Wasserstoff-Verbrennungsmotor gesellt sich nun erstmals in unseren Breiten ein „EREV“ als potenzielle Technologie hinzu. Die Abkürzung steht für „Extended Range Electric Vehicles“ und ist uns bisher vor allem vom chinesischen Pkw-Markt ein Begriff. EREVs sind teilelektrifizierte Fahrzeuge, die sich extern mit Strom laden und auch mit Kraftstoff betanken lassen – also wie Plug-in-Hybride. Im Unterschied zu diesen werden die Räder bei EREVs aber immer allein vom Elektromotor angetrieben. Sind die Batterien leer, springt ein kleiner Verbrennungsmotor an Bord an und generiert den Strom für den Motor. Dieser Generator wird im Fachjargon als Range-Extender bzw. Reichweitenverlängerer bezeichnet.
Scania und DHL sehen in dieser Technologie Potenzial für den Güterverkehr auf der Straße. Ohne bisher Aufhebens um die gemeinsame Entwicklung eines solchen Lkw-Antriebs zu machen, hat das Duo bereits am 19. September 2024 ein Patent auf ein solches System beim Deutschen Patent- und Markenamt in München angemeldet. Jetzt veröffentlichen beide Seiten Details zu dem Projekt. Bei der EREV-Technologie sehen sie den Vorteil, dass man dank ihr „auf batteriebetriebene schwere Straßenfahrzeuge umsteigen kann, ohne auf eine vollständige Ladeinfrastruktur warten zu müssen“. Der E-Lkw mit Reichweitenverlängerer fahre dabei „zu 80 bis 90 Prozent mit erneuerbarer Energie“.
Lkw mit Range-Extender im DHL-Dienst
Wie sich die Technologie auf der Straße bewährt, soll nun ein Testlauf bei DHL zeigen: Der neue Scania-Truck wird ab diesen Monat im Unternehmensbereich Post & Paket Deutschland für den Transport von Paketen zwischen Berlin und Hamburg eingesetzt und dort „mehrere Monate intensiv getestet, bevor gegebenenfalls weitere Fahrzeuge für die DHL-Flotte angeschafft werden“, wie es aus der Konzernzentrale heißt. Das Fahrzeug soll konkret in DHLs sogenanntem „Hauptlauf“ zwischen den beiden Großstädten eingesetzt werden.
Aber gehen wir noch einmal zwei Schritte zurück, um zu verstehen, wie die Entwickler bei Scania vorgegangen sind: Als Basis des EREV dient Scanias rein elektrischer Schwerlast-Lkw vom Typ R450e, der je nach Konfiguration mit mehreren 104-kWh-Batteriepacks (Kapazität: 416 oder 624 kWh, im Laufe des Jahres kommen die Optionen 520 und 728 kWh hinzu) ausgestattet ist. In der Sonderanfertigung haben die Schweden die kleinste Kapazität gewählt und anstelle eines zusätzlichen Akkus den Generator eingebaut. Das reduziert zwar die Reichweite im Akkubetrieb, sorgt aber für die oben skizzierte Benzin-basierte Energiereserve. „Das Fahrzeug hat so eine Reichweite von 650 bis 800 Kilometern“, teilen die Partner mit. Die genaue Distanz soll aus den nun angekündigten Tests hervorgehen.
Bei dem EREV-Exemplar handelt es sich konkret um einen 10,5 Meter langen Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 40 Tonnen, der von einem 230-kW-Elektromotor (295 kW Peak) angetrieben wird. Die Energie kommt von besagter 416-kWh-Batterie und dem Generator mit 120 kW Leistung. Dieser kann vorerst nur mit Benzin betrieben werden, soll später aber auch mit „erneuerbarem Diesel bzw. HVO“ laufen, wie die Verantwortlichen mitteilen. Zur Ladefähigkeit oder zum Fassungsvermögen des Kraftstofftanks äußern sich die Entwicklungspartner nicht, dafür sprechen sie von einer Höchstgeschwindigkeit von 89 km/h und einem Fassungsvermögen von rund 1.000 Paketen. Aussagekräftiger wären sicher konkrete Daten zu Ladevolumen und Nutzlast. Möglicherweise werden die Tests dazu spruchreife Werte bringen. Wichtig ist DHL und Scania noch, dass der Sonder-Lkw einen Anhänger mit einer weiteren Wechselbrücke ziehen kann und dass EREVs grundsätzlich mit einer Software ausgestattet werden können, die die Nutzung des Generators einschränkt. „Dadurch können die Treibhausgasemissionen reduziert und auf ein bestimmtes Niveau begrenzt werden“, so DHL – freilich zu Ungunsten der Reichweite.
„Pragmatische Lösung“ für die Gegenwart
Als Abkehr zur rein elektrischen Roadmap wollen die Initiatoren des Versuchs den EREV-Vorstoß unterdessen nicht verstanden wissen. Beide bezeichnen vollelektrische Fahrzeuge als die „ultimative Lösung für ein nachhaltiges Verkehrssystem“, weisen jedoch darauf hin, dass die zügige Elektrifizierung des Schwerlastverkehrs derzeit an mehreren Faktoren scheitere – „darunter fehlende Ladepunkte, hohe Kosten für das Vorhalten ausreichender Ladekapazitäten in den Depots zu saisonalen Spitzenzeiten, die Netzbelastung und hohe Strompreise zum Beispiel an windstillen Wintertagen“. Hier biete das EREV eine Lösung.
In den Worten von Tobias Meyer, Vorstandsvorsitzender der DHL Group, klingt das so: „Es wird noch etwas dauern, bis die nötigen Voraussetzungen für eine vollständige Umstellung auf batterieelektrische Lkw, vor allem in einem so großen System wie dem deutschen DHL-Paketnetz, geschaffen sind – durch ein ausreichend robustes Stromnetz, eine verlässliche Ökostromversorgung und eine flächendeckende Ladeinfrastruktur. Anstatt darauf zu warten, arbeiten DHL und Scania gemeinsam an einer pragmatischen Lösung, die eine nachhaltigere Logistik ermöglicht und die CO2-Emissionen um mehr als 80 Prozent reduziert.“
Meyer ist überzeugt, dass EREVs als praxistaugliche Technologie einen direkten Beitrag zur kurzfristigen Verringerung der Treibhausgasemissionen im Güterverkehr leisten können – und fordert auch die Politik auf, solche Fahrzeugkonzepte zu fördern: „Derartige Emissionsreduktionen sollten sich in den Straßennutzungsgebühren und den CO2-Flottengrenzwerten der EU entsprechend widerspiegeln“, so Meyer. „Wir sehen diese Kooperation als Beispiel eines erfolgreichen Innovationsprojektes von zwei Unternehmen, die sich dem aktiven Beitrag zum Klimaschutz verschrieben haben.“
Auch Scania-CEO Christian Levin wirbt für eine Horizonterweiterung bei der Elektrifizierung: „Die Zukunft ist elektrisch, aber auf dem Weg in diese Zukunft darf das Perfekte nicht der Feind des Guten sein. Das von uns gemeinsam mit DHL entwickelte Fahrzeug ist ein Beispiel für mögliche Übergangslösungen, die die Dekarbonisierung des Lkw-Verkehrs bis zur vollständigen Elektrifizierung des Verkehrswesens weiter vorantreiben können.“ Eine effektive Klimawende setze voraus, dass derartige Lösungen auf politische Akzeptanz stoßen und durch höhere Investitionen in den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und die Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen unterstützt werden.
Was Scania und DHL nicht sagen, ist dass natürlich auch die Range-Extender-Technologie neben ihren Vorteilen gewisse Nachteile hat. Neben den vom Benzin-Generator verursachten Emissionen ist dies der Umstand, dass sich EREVs bei einem erhöhten Leistungsbedarf schwertun. Hintergrund ist, dass die Leistung des Generators eher auf eine konstante Last zum (schonenden) Laden der Batterie ausgelegt ist, nicht aber um den höheren Leistungsbedarf beim Anfahren oder Bergauf-Fahren zu decken. Genau dann kann es aber bei aktuellen EREV-Systemen zu Problemen kommen: Ist der Ladestand der Batterie niedrig, reicht der Batteriestrom nicht aus, den Leistungsbedarf des Antriebs bei solchen Fahr-Szenarien zu decken – der Verbrenner läuft dann also unter Volllast, um Strom zu erzeugen. Diese Leistung reicht aber in der Regel nicht aus, um den Leistungsbedarf des Antriebs direkt zu decken. Daher haben heutige Range-Extender-Autos bei leerem Akku oft eine deutlich geringere Leistung als mit vollem Akku.
In China gewinnen EREVs im Pkw-Bereich dennoch schnell Marktanteile. Denn viele Chinesen, gerade im ländlichen Raum mit schlechterer Ladeinfrastruktur, wünschen sich hohe Reichweiten, da sie nicht so häufig laden wollen bzw. können wie es bei einem BEV oder bei einem PHEV nötig wäre. Durch die Expansion einiger chinesischer OEMs schwappen erste E-Pkw mit Range-Extender aktuell auch nach Europa. Das E-Taxi „TX“ von LEVC in Großbritannien ist dabei ein Beispiel für eine sehr frühe Anwendung dieser Technologie in Europa.
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