eactros 600 e lkw daimler truck 2024
Bild: Daimler Truck AG
HintergrundPolitik

Lkw-Kurvenfahrt zwischen Klimaschutzzielen und Sondervermögen

Das Umweltbundesamt hat Deutschlands Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 prognostiziert – und sagt im Verkehrssektor eine beträchtliche Lücke zu den geltenden Klimaschutzzielen voraus. Der Lkw-Verkehr ist dabei sowohl Sorgenkind als auch Ansatzpunkt, um doch noch Boden gutzumachen. Parallel bewegt sich die Politik mit der Lockerung der Schuldenbremse in eine Richtung, die wieder auf E-Förderungen hoffen lässt. Eine Lageanalyse.

Wir schreiben März 2025 und im „alten“ Bundestag ging diese Woche eine historische Grundgesetzänderung durch, die der mutmaßlich nächsten schwarz-roten Regierung dank eines 500-Milliarden-Euro-Sondervermögens großen Handlungsspielraum bei Infrastruktur- und Klimaschutz-Investitionen gibt. Freilich muss am Freitag noch der Bundesrat zustimmen, aber der Gedankengang sei erlaubt, dass die Grundgesetzänderung potenziell wieder ausreichend Mittel in den Klima- und Transformationsfonds spült, um die Lkw-Elektrifizierung wieder zu fördern und den von den Logistikern geforderten Schluss des Finanzierungskreislaufs Straße doch noch erreichen zu können. Kurz gefasst: Ein Comeback der 2024 ad-hoc abgewürgten KsNI-Förderung für alternativ angetriebene Lkw war wohl nie so wahrscheinlich wie jetzt.

Wie angespannt die Branche die politische Woche in Berlin verfolgt hat, zeigt exemplarisch ein Statement von Alexander Vlaskamp, CEO bei MAN Truck & Bus, auf Linkedin: „Die Tatsache, dass der Deutsche Bundestag in erster Lesung einen Sonderfonds in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur in Deutschland beschlossen hat, ist ein hoffnungsvolles Zeichen für die Wirtschaft“, schreibt der Manager. Jetzt sei es wichtig, nicht nur in Teer und Beton zu investieren, sondern auch in Technologie. „Im 21. Jahrhundert bedeutet Infrastrukturausbau nicht nur Brücken, Tunnel, Schienen und Straßen. Das ist die Basis und die Erneuerung ist längst überfällig. Infrastruktur bedeutet heute auch Ladeinfrastruktur für Autos und (!) Nutzfahrzeuge […]“, so Vlaskamp. „Ich appelliere an die neue Bundesregierung, das Geld im Verkehrsbereich nicht nur zur Behebung bestehender Schäden zu verwenden. Wir sollten es auch nutzen, um Deutschland wirklich voranzubringen: Durch Investitionen in ein leistungsfähiges Ladenetz für Nutzfahrzeuge und damit in ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Verkehrssystem als Rückgrat unserer Wirtschaft.“

Die Betonung liegt dabei auf „zukunftsfähig und nachhaltig“. Denn welche Bedeutung der Straßengüterverkehr für die Umweltbelastung und damit im Umkehrschluss auch für die potenzielle Entlastung hat, wird selten so deutlich, wie in den Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA). Die Behörde stellt jährlich eine Projektion der in Deutschland perspektivisch verursachten Emissionen vor – auch jetzt wieder: In dem frisch gedruckten 2025er Papier bescheinigen die Studienmacher, dass das Klimaschutzziel von mindestens 65 Prozent Treibhausgas-Minderung gegenüber 1990 bis zum Jahr 2030 durchaus in greifbare Nähe rückt. Aber! Zwei Sektoren hinken stark hinterher: der Gebäude- und der Verkehrssektor. Im Verkehr beträgt die Überschreitung zwischen 2021 und 2030 geschätzte 169 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent.

Dazu folgender Exkurs: Während die Treibhausgasemissionen in Deutschland seit 1990 stark gesunken sind, gab es im Verkehrssektor laut UBA bisher kaum eine Verbesserung. Der Anteil des Verkehrs an den Gesamtemissionen ist seit 1990 von etwa 13 auf fast 20 Prozent im Jahr 2022 gestiegen, was u.a. am stetig wachsenden Straßengüterverkehr liegt. Während der Pandemie sanken die Emissionen zwar deutlich, 2022 verzeichnete Deutschland aber wieder einen Anstieg. Im selben Jahr verursachte der Verkehr 36 Prozent aller NOx-Emissionen und 19 Prozent des Feinstaubs in der Luft.

uba 2025 thg emissionen

Im Lkw-Verkehr sind die Emissionen der Luftschadstoffe pro Kilometer seit 1995 durch bessere Motoren, Abgastechnik und eine bessere Kraftstoffqualität zwar gesunken. Die ⁠Fahrleistung⁠ der Lkw ist zwischen 1995 und 2022 aber von 47,8 auf 63,2 Milliarden Kilometer gestiegen. Die absoluten CO2-Emissionen im Betrieb des Straßengüterverkehrs erhöhten sich daher trotz technischer Verbesserungen um 21 Prozent.

Größtenteils wegen des Verkehrs droht Deutschland also das Etappen-Klimaziel für 2030 und anschließend auch die Netto-Treibhausneutralität im Jahr 2045 zu verfehlen. Wichtig: Das Amt erneuert jedes Jahr seine Prognosen und verfeinert sie zunehmend mittels „methodischer Verbesserungen“. Die jetzige Prognose berücksichtigt alle (Anreiz-)Instrumente, die bis Oktober 2024 ausreichend klar definiert waren und fällt nun pessimistischer aus als die letztjährige Schätzung auf Basis der Projektionsdaten von 2024: Die nun angenommene Überschreitung von 226 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent der Sektoren Verkehr und Gebäude fällt um 100 Millionen höher aus als letztes Jahr hochgerechnet.

uba 2025 thg emissionen 1

Erstmals stärker in die Verkehrs-Projektion eingeflossen sind im aktuellen Papier einige sogenannte sektorübergreifende Entwicklungen, etwa eine geringere Produktion im verarbeitenden Gewerbe, die den Güterverkehr beeinflusst. Oder die absehbaren Preise und Produktionskapazitäten von Pkw, die die Emissionen bedingen. Das UBA ordnet ein: „Dies führt im Vergleich zu den Projektionsdaten 2024 zu einer konservativeren Einschätzung der Wirkung von CO2-Flottenzielwerten von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen. Im Ergebnis wird insbesondere für Pkw aber auch für leichte Nutzfahrzeuge ein langsamerer Hochlauf der Elektromobilität projiziert.“ Die im Jahr 2024 verschärften CO2-Flottenzielwerte für schwere Nutzfahrzeuge ab 2030 wirkten sich dagegen emissionsmindernd aus.

Apropos schwere Nutzfahrzeuge: Brennstoffzellen-Lkw weisen in der neuen Hochrechnung der Experten bis 2030 höhere Neuzulassungsanteile auf als noch in den Projektionsdaten 2024. Denn sie profitieren neuerdings von einer drei- statt zweifachen Anrechenbarkeit bei der THG-Quote, was ihre Nutzung lukrativer machen wird. Auch nehmen die Analysten an, dass die CO2-Flottenzielwerte für Nutzfahrzeuge in Deutschland wegen „der ambitionierten Ausgestaltung der Lkw-Maut übererfüllt werden“. Hersteller müssen den CO2-Ausstoß ihrer neu zugelassenen Lkw und Sattelmaschinen (ab 16 Tonnen) ab diesem Jahr bekanntlich um 15 Prozent gegenüber 2019 senken. Grundsätzlich geht das UBA davon aus, dass die Güterverkehrsleistung durch weniger Produktion im verarbeitenden Gewerbe und in der Industrie gegenüber früheren Projektionen abnimmt – das gilt aber nicht nur für die Straße, sondern auch für die Schiene, die Luft- und die Schifffahrt.

Keine Zweifel lässt die Studie daran, dass die aktuell projizierte Minderung der THG-Emissionen im Sektor Verkehr überhaupt nur erreichbar ist, wenn die CO2-Flottenzielwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sowie bei den schweren Nutzfahrzeugen nicht abgeschwächt werden. Die EU-Kommission hat just publik gemacht, genau das bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen aber zu veranlassen.

So bleibt festzuhalten, dass die Analysten des UBA im Verkehr zwar einen kontinuierlichen Rückgang der Emissionen bis 2050 sehen, doch dieser weiterhin von einem „zu hohen Ausgangsniveau“ startet und eine „Trendwende im Sinne einer beschleunigten Minderung“ nicht zu erkennen ist. Die Folge: „Mit den derzeitigen klimapolitischen Instrumenten und den Rahmenbedingungen ist es nicht absehbar, dass in allen Sektoren ausreichend tiefgreifende Transformationen hin zur Treibhausgasneutralität gelingt“, schreibt das UBA, verfasste diese Einschätzung allerdings noch vor der jetzigen Gesetzesänderung zur Schuldenbremse.

Dieser Paukenschlag steht beispielhaft dafür, dass Vorhersagen zu den politischen Rahmenbedingungen aktuell selbst auf Monatsbasis ungewiss sind: Während die EU bei den Klimazielen nachzugeben droht, könnte Deutschland einen Konjunktur-Booster anwerfen. Gewiss ist nur, dass die Branche, das Umweltbundesamt und wir die Entwicklung minutiös verfolgen werden.

Die vom UBA ausgearbeitetenTreibhausgas-Projektionen werden im Rahmen des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) stets an den Deutschen Bundestag und den Expertenrat für Klimafragen sowie an die Vereinten Nationen und die EU berichtet.

umweltbundesamt.de (Daten zum Verkehr), umweltbundesamt.de (Studie)

0 Kommentare

zu „Lkw-Kurvenfahrt zwischen Klimaschutzzielen und Sondervermögen“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert