
Kleinwagen mit großen Hoffnungen: So fährt Nios Neffe Firefly
„Hey Nomi, wo bist du?“ Der Ruf nach der digitalen Beifahrerin verhallt im neuesten Nio ungehört. Und traurig fällt der Blick aufs Armaturenbrett, wo sonst der Comic-Knubbel mit den Kulleraugen klimpert. Und auch sonst ist einiges anders.
Denn erstens ist das Auto gleich drei Nummern kleiner als der ET5, mit dem die Palette für Preise knapp unter 60.000 Euro bislang begonnen hat, vom neuen Flaggschiff ET9 auf Maybach-Niveau ganz zu schweigen. Und zweitens sucht man das Nio-Logo mit dem stilisierten Himmel über der Bergkuppe vergebens auf der Haube.
Aber streng genommen ist dieser Nio kein Nio und will auch gar keiner sein. Zwar steht auch hinter dem vier Meter kurzen Viertürer William Li, die chinesische Antwort auf Elon Musk, oder besser sein Team im Entwicklungs- und Designzentrum in München. Um endlich Masse und damit vielleicht doch noch Kasse zu machen und neue, größer Segmente zu erschließen, wird er als Firefly verkauft und begründet damit eine Submarke, genau wie es Citroen damals mit DS oder Seat mit Cupra gemacht hat. Und BMW hat Mini für Premium-Kleinwagen, auch wenn hier Mini übernommen und als Submarke eingegliedert wurde – und nicht ausgegründet.






















Aus den seriösen Luxuslinern für umweltbewegte Besserverdiener wird so ein knuffig-charakterstarker Kleinwagen, der die Preise für das China-Visum mit Nio-Stempel mal eben fast halbiert. Statt knapp 60.000 Euro wird der Firefly wohl ziemlich genau 30.000 Euro kosten, wenn er mit etwas Glück noch vor dem Jahresende nach Deutschland kommt. Dass er damit fast doppelt so teuer ist wie daheim in China, liegt zum einen an den EU-Strafzöllen. Nicht umsonst geht es in Norwegen schon bei umgerechnet etwa 25.000 Euro los.
Und es liegt zum anderen an den gehobenen Ansprüchen der Europäer sowie dem auch für einen Kleinwagen großen Selbstbewusstsein seiner Macher, die sich gegenseitig befruchten. Die einen fordern eine üppige Komfortausstattung und vor allem fünf zweifelsfreie Euro-NCAP-Sternen beim Crashtest. Und die anderen wollen sich nicht mit Sparbrötchen messen wie dem BYD Dolphin, dem Citroen C3 oder gar dem Leapmotor T03. Sondern sie sehen Firefly als Lifestyle-Marke und messen sich vor allem mit dem Mini, der ja als Münchner Kindl mit chinesischer Heimstadt eine ganz ähnliche Genese hat.
Ähnlicher Anspruch wie Mini, aber ganz anderer Innenraum
Außen geben sich beide gleich extrovertiert und charakterstark, wobei der Firefly nicht so pausbackig wirkt und etwas gender-neutraler ist, was vielleicht auch an den drei LED-Punkten pro Scheinwerfer anstelle der Glubschaugen liegt. Aber innen könnten die Unterschiede kaum größer sein: Da der verspielte und hoffnungslos überdrehte Globetrotter aus dem BMW-Imperium, dort stark zurück genommene Schrumpf-Nio, der so seriös eingerichtet ist wie das Vorzimmer einer Anwaltskanzlei – und ähnlich nobel. Denn auch wenn William Lis Truppe den Rotstift gespitzt hat, wurde nicht an der Materialqualität oder der liebe zum Detail gespart.
Auch beim Platzangebot ist Nios Kleinwagen ein ganz großer: 2,62 Meter Radstand für eine echte Skateboard-Plattform und die Freiheit, den Motor an die Hinter- statt die Vorderachse zu flanschen. Das weitet den Raum und gibt selbst der Rückbank eine ungewöhnliche Reisetauglichkeit. Zumal das Panoramadach alles noch weiter und luftiger wirken lässt. Vom Ladevolumen ganz zu schweigen. Schließlich kommen zu 404 bis 1.253 Litern Kofferraum noch der mit 92 Litern wohl größte Frunk diesseits der Oberklasse und obendrein zwei Dutzend Ablagen in der Kabine bis hin zu den beiden großen Geheimfächern unter dem Beifahrer- und dem Rücksitz. Platz hat er, der Firefly. Doch wie fährt er sich?
Und als wäre die Klatsche im Innenraum-Segment nicht schon schlimm genug für die Münchner Nachbarn, fährt der Firefly – von wegen Go-Kart-Feeling –zumindest in seinem angestammten Revier auch noch besser. Mag schon sein, dass der bayerische Auswärtsspieler vor den Toren der Stadt mehr BMW-Gene bekommen hat und die Freude am Fahren besser transportiert – hier unser Fahrbericht des Mini Cooper E. Aber in den Häuserschluchten des Citydschungels ist ihm der Firefly voraus. Weil er den Motor hinten hat, ist vorn mehr Platz für größere Lenkwinkel und der Wendekreis schrumpft auf 9,40 Meter. Viel mehr als den Steuererklärungs-Bierdeckel unseres künftigen Kanzlers braucht es deshalb für einen Kurswechsel nicht.
Und Antrittsstärke war bei einem Elektroauto ja noch nie ein Problem. Denn so mickrig 105 kW auch klingen mögen bei gut und gerne 1,5 Tonnen Leergewicht, so viel reißen die 200 Nm wieder heraus, die schließlich von der ersten Sekunde an anliegen. Deshalb wirken die 8,1 Sekunden von 0 auf 100 km/h gleich viel spitziger und zumindest für einen elektrischen Kleinwagen mit Fokus auf den Stadtverkehr gehen auch die 150 km/h in Ordnung, die Nio dem Nachwuchs zugesteht.
Zum agilen Fahrverhalten kommen noch ein paar elektrische Eigenheiten: Wer irgendwann auf dem Bildschirm den richtigen Menüpunkt findet, kann zuverlässig auch nur mit einem Pedal fahren und selbstredend berechnet die Navigation ihre Route mitsamt der Ladestopps.
Batterie-Tausch technisch möglich, praktisch vorerst nicht
Und dafür hat sie viel zu rechnen. Denn der LFP- Akku ist mit 42,1 kWh relativ klein und die Reichweite mit 330 Kilometern vergleichsweise bescheiden. Wenigstens sind das immerhin schon europäische Werte, die etwas strenger sind als die in China. Trotzdem muss man sich die mit einem weiteren Verweis aufs Stadtauto und die Kurzstrecke schönreden damit die Sympathiewerte des Glühwürmchens nicht abstürzen.
Auch wenn der Firefly kein Nio sein will, übernimmt er ein paar Tugenden seiner großen Cousins: So kann der E-Kleinwagen etwa seinen Akku wechseln. Der Haken: Da die Batterie viel kleiner ist als die 75- oder 100-kWh-Akkus der Nio-Modelle, können die Firefly-Batterien nicht einfach in den bekannten (und in Europa immer noch seltenen) Nio-Swapping-Stations getauscht werden. Ein einst angekündigtes, Firefly-eigenes Tauschsystem hat Nio offenbar vor wenigen Tagen kassiert und will stattdessen die Firefly-Akkus in die nächste Generation seiner Nio-Tauschstationen integrieren. Die gibt es schlichtweg noch nicht, womit das Feature selbst in China aktuell noch nicht genutzt werden kann, von Europa ganz zu schweigen. Daher bleibt es vorerst bei der eher lahmen Ladeperformance mit 11 kW am Wechsel- und 100 kW am Gleichstrom, die dem sonst innovativen Fahrzeug für’s Erste viel Strahlkraft raubt.
Ach ja – und noch was hat Firefly von Nio übernommen: Den digitalen Beifahrer. Der flirtet den Fahrer zwar jetzt nicht mehr mit seinem Comic-Charakter an, plappert aber dank ChatGPT genauso munter und vielsprachig drauf los. Nur dass der Copilot einen neuen Namen hat und jetzt auf Lumo härt. Danke Nomi, du hättest doch auch gleich sagen können, dass du noch eine Cousine hast.
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