Rechtstreit um Ladestationen: Fastned unterliegt Autobahn GmbH vorm EuGH

In seinem lange erwarteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof die Voraussetzungen präzisiert, unter denen eine bestehende Konzession ohne neues Vergabeverfahren geändert werden kann. Damit wird klar: Das Verhalten der Autobahn GmbH des Bundes beim Aufbau von Ladeinfrastruktur war rechtens, die Klage von Fastned hatte somit keinen Erfolg.

Bild: Tank & Rast

Im Rechtsstreit zwischen Fastned und der Autobahn GmbH um den Aufbau von Schnellladern an bewirtschafteten Raststätten in Deutschland hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) seine lange erwartete Entscheidung bekannt gegeben. Wie sich bereits im Oktober mit den Schlussanträgen des EuGH-Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona angedeutet hatte, hat der EuGH in einer zentralen Frage im Sinne der Autobahn GmbH entschieden: Die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen einen Konzessionsvertrag ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zu ändern, bestehe auch dann, wenn die Konzession ursprünglich an eine In-House-Einrichtung vergeben und der Konzessionsnehmer mittlerweile privatisiert wurde. Doch auch Fastned zeigt sich zufrieden mit dem Urteil – warum das so ist, klären wir gleich. Dafür ist jedoch der Kontext entscheidend.

Die Ausgangslage in Deutschland ist bekannt: Etwa 90 Prozent der Rastanlagen an deutschen Autobahnen werden von den Unternehmen Autobahn Tank & Rast und Ostdeutsche Autobahntankstellen betrieben – Grundlage hierfür sind rund 360 Konzessionsverträge mit dem deutschen Staat. Über diese Konzessionen konnten die Unternehmen im Grunde bestimmen, welche Unternehmen an den Raststätten etwa die Tankstelle betreiben oder welche Gastronomiebetriebe dort Speisen und Getränke verkaufen dürfen. Diese bestehenden Konzessionen wurden später ohne Vergabeverfahren um die Errichtung und den Betrieb von Ladestationen für E-Fahrzeuge erweitert. Auch bei den Ladestationen konnten Autobahn Tank & Rast und Ostdeutsche Autobahntankstellen also selbst entscheiden, welche Betreiber an einer Raststätte aktiv sein dürfen und welche nicht.

Dazu kommt: Die überwiegende Mehrheit der Konzessionsverträge – genau genommen 280 der 360 Verträge – wurden zwischen 1996 und 1998 ohne Ausschreibung an die Rechtsvorgängerin von Autobahn Tank & Rast und Ostdeutsche Autobahntankstellen vergeben. Die Tank & Rast AG war damals noch vollständig im Besitz des deutschen Staates, wurde aber später privatisiert. Im Fokus der juristischen Auseinandersetzung steht ein von der Autobahn GmbH 2022 an Tank & Rast vergebener Auftrag zum Aufbau von Schnellladern an den Raststätten.

Die Kernfrage: Was sind die „bestimmten Voraussetzungen?“

Gegen die Vergabe der Ladestationen ohne EU-weite Ausschreibung hat die Fastned Deutschland GmbH, eine Tochter des niederländischen Schnellladebetreibers Fastned, vor deutschen Gerichten geklagt – anfangs noch gemeinsam mit Tesla Deutschland, Tesla hat sich aber später aus dem Verfahren zurückgezogen. Fastned hat stets argumentiert, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur auf deutschen Autobahnraststätten für den Wettbewerb offen sein müsse – also über EU-weite Vergabeverfahren, damit sich das beste Angebot durchsetzen kann.

Das deutsche Rechtsverfahren liegt seit 2022 beim Oberlandesgericht Düsseldorf, welches bereits im Juli 2023 den EuGH „zu den Vorschriften der Europäischen Union über die Vergabe von Konzessionen“ befragt hat, „die aufgrund ihres Wertes grundsätzlich für den Wettbewerb geöffnet sein müssen“, wie es in der aktuellen Mitteilung des Gerichtshofs heißt. Denn: Eine dieser Vorschriften gestattet es unter bestimmten Voraussetzungen , eine bestehende Konzession ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zu ändern, wenn die Änderung aufgrund unvorhersehbarer Umstände „erforderlich wurde“. Fastned ist der Ansicht, diese Vorschrift gelte nicht für Konzessionen, die ursprünglich ohne Ausschreibung vergeben worden seien.

In diesem Punkt hat sich der EuGH zwar der Auffassung des Generalanwalts angeschlossen und favorisiert die Position der Autobahn GmbH. In einem anderen Punkt weichen die Luxemburger Richter jedoch von den Empfehlungen des Generalanwalts ab, der dem Gerichtshof nahegelegt hatte, sich nur auf die Klärung der eingereichten Fragen zu beschränken.

EuGH mahnt tiefere Prüfung des OLG Düsseldorf an

Tatsächlich aber geht der EuGH in dem Urteil weiter und äußert sich auch zu den genauen Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Konzessionen nachträglich ohne Ausschreibung geändert werden können. Und genau das könnte den Ausgang des noch laufenden Verfahrens vor dem OLG Düsseldorf beeinflussen – trotz der allgemeinen Ansicht, dass die nachträgliche Änderung unter Bedingungen möglich ist.

Ab Absatz 72 des Urteils wenden sich die Luxemburger EuGH-Richter mit einem Prüfauftrag an die OLG-Richter in Deutschland. Konkret geht es um die drei Voraussetzungen, die nötig sind, damit die nachträgliche Änderung der Konzession rechtens ist – die neu eingetretenen Umstände müssen für einen „seiner Sorgfaltspflicht nachkommenden öffentlichen Auftraggeber“ nicht vorhersehbar gewesen sein, dürfen den Gesamtcharakter der fraglichen Konzession nicht verändern und dürften den Wert des Vertrags „grundsätzlich um höchstens 50 % des Wertes der ursprünglichen Konzession“ erhöhen.

„In diesem Kontext ist in Bezug auf die erste dieser Voraussetzungen klarzustellen, dass entgegen der offenbar vom vorlegenden Gericht vertretenen Auffassung nicht allein deshalb davon ausgegangen werden kann, dass die Änderung einer Konzession ‚erforderlich wurde‘, weil ihre vertraglichen Bestimmungen die Situation, die sich aus den eingetretenen unvorhersehbaren Umständen ergibt, nicht erfassen“, heißt es in dem Urteil. Und auch bei dem dritten Punkt (der Erhöhung des Vertragswerts um maximal 50 Prozent) sei es „Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, […] ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Änderung den in der vorstehenden Randnummer aufgeführten Kriterien genügt.“

Aus Sicht von Fastned gibt der EuGH dem OLG die „klare Aufgabe, tiefer in den Sachverhalt einzusteigen und zu prüfen, ob nicht doch hätte ausgeschrieben werden müssen“. Das OLG Düsseldorf muss also in seinem Urteil klären, ob die bestimmten Bedingungen in diesem Fall erfüllt sind oder nicht. Das Urteil aus Düsseldorf wird also relevant – und laut Fastned „hoffentlich schnell“ vorliegen. Denn man habe weiter „Kunden im Fokus“, wie Deutschland-Chefin Linda Boll gegenüber electrive erklärt. „Das Laden soll angenehm und bezahlbar sein, auch an der Autobahn“, so Boll. „Daher bleiben wir bei unserer Position und kämpfen weiter für eine freie Ausschreibung von Ladeinfrastruktur an den Autobahnen.
Egal was passiert, die neue Bundesregierung ist in der Pflicht, kundenfreundliche Ladeinfrastruktur für die Zukunft zu bauen.“

Ganz ähnlich äußert sich das Unternehmen in einem offiziellen Statement: „Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs sind wir von Fastned zufrieden. Der EuGH gibt dem Oberlandesgericht Düsseldorf die klare Aufgabe, tiefer in den Sachverhalt einzusteigen und zu prüfen, ob der Ausbau von Schnellladeinfrastruktur an den durch Tank & Rast betriebenen Raststätten doch frei hätte ausgeschrieben werden müssen, anstatt die bestehenden Tankstellen-Konzessionen ohne Ausschreibung um das Schnellladen zu erweitern“, heißt es dort. „In der Sache wird also vor dem OLG Düsseldorf weiter verhandelt werden müssen, da die Grundfragen des Rechtsstreits noch nicht beantwortet sind. Der Düsseldorfer Vorlagebeschluss ließ eine direkte Beantwortung der inhaltlichen Fragen durch den EuGH nicht zu, sondern bezog sich auf formale Aspekte des europäischen Rechts. Wir sind weiterhin zuversichtlich, denn auch die Europäische Kommission hat sich im Verlauf des Verfahrens klar auf unsere Seite gestellt.“

„Urteil ist konsequent aus Sicht des EuGH“

Zu einer etwas anderen Einschätzung kommt Rechtsanwalt Christian Mayer, Partner bei der Kanzlei Noerr. Er bezeichnet das Urteil als „konsequent aus Sicht des EuGH“. „Die Punkte, auf die er hinweist, sind Tatsachenfragen, die nur das OLG als Tatsachengericht prüfen kann und nicht der EuGH. Für den EuGH stand nur zur Frage, ob diese Ausnahmeregelung anwendbar ist oder nicht“, erklärt Mayer gegenüber electrive. „Ob die Voraussetzungen für die Ausnahme tatsächlich erfüllt sind, muss das OLG Düsseldorf beurteilen.“

Wiederum anders sieht man die Sache bei Tank & Rast – dort geht man davon aus, dass das OLG dem EuGH in der Einschätzung folgen wird, dass die Vergabepraxis rechtlich korrekt war. „Wir begrüßen die heutige wegweisende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs. Sie schafft wichtige Klarheit und bestätigt unseren Kurs, den Ausbau des Schnellladenetzes entlang der deutschen Autobahnen konsequent voranzutreiben“, sagt ein Sprecher der Tank & Rast Gruppe. „Der Europäische Gerichtshof hat insbesondere geklärt, dass unsere Konzessionsverträge flexibel an den technischen Fortschritt angepasst werden konnten. Wir gehen davon aus, dass nun das Oberlandesgericht Düsseldorf dies abschließend bestätigen wird.“

Derzeit können sich also beide Seiten ein wenig als Gewinner fühlen. Der Bund und die Autobahn GmbH, weil die bisherige Vergabepraxis nicht für illegal erklärt wurde. Und Fastned, weil auch hier das Verfahren noch nicht beendet ist – das OLG Düsseldorf muss die Voraussetzungen genau prüfen. Und Faktoren wie etwa die Wertsteigerung um höchstens 50 Prozent sind nicht trivial, da mit dem steigenden E-Auto-Anteil und dem europäischen CO2-Ziel 2035 bei Neuzulassungen der Wert von Ladeinfrastruktur wohl steigen wird – aber wie weit und zu welchem Zeitpunkt.

Allerdings gibt es auch zwei Verlierer: die Elektromobilität und die Kunden. „Die kurzfristigen Folgen für die Elektromobilität sind klar: Der Stillstand beim Ausbau von Ladesäulen an Raststätten geht weiter. Eine klare Entscheidung des EuGH in die eine oder andere Richtung hätte den Stillstand beendet“, sagt Rechtsanwalt Mayer. „Hätte der EuGH die Vergabepraxis für unzulässig erklärt, weil die Ausnahmeregelung nicht anwendbar gewesen wäre, wäre das Verfahren zumindest für den Bund sofort vorbei gewesen.“

Verfahren hat Lade-Ausbau an Autobahnen ausgebremst

Das Verfahren zieht sich also weiter. Dabei hat es jetzt schon enorme Auswirkungen auf die Lade-Branche in Deutschland: Solange nicht rechtssicher geklärt war, ob die Erweiterung der Konzession auf Ladestationen tatsächlich zulässig war, wurden de facto kaum noch neuen Ladestationen an deutschen Rastanlagen mehr gebaut. Im März 2024 wurde bekannt, dass die Autobahn GmbH und Tank & Rast den weiteren Ausbau vorläufig eingefroren haben. Denn wären die Vergabepraxis ohne Ausschreibung für unzulässig erklärt worden, hätte den Ladestationen die rechtliche Grundlage gefehlt. Es drohte eine kostspielige Rückabwicklung, falls die seit 2022 aufgebauten Ladesäulen für illegal erklärt werden. Das Risiko wollte angesichts der Investitionen in größere HPC-Standorte kein Betreiber eingehen.

Konkrete Folgen sind heute an den Raststätten teilweise sichtbar. Ladeparks an Raststätten, die in Stoßzeiten oft voll ausgelastet sind, werden nicht ausgebaut, obwohl der Standort bereits für zusätzliche Ladesäulen vorbereitet ist. Die Autobahn GmbH selbst hat alte Triple Charger, die am Ende ihrer Nutzungsdauer waren, mit neuen Alpitronic Hyperchargern HYC300 ersetzt. Damit diese unter die bisher geltenden Regelungen fallen, sind die eigentlich sehr leistungsfähigen 300-kW-Säulen auf 50 kW Ladeleistung limitiert. Und beim Startschuss für das initiale E-Lkw-Ladenetz spart der Bund selbst die bewirtschafteten Autobahn-Raststätten vorerst aus – und begnügt sich mit Lkw-Ladeparks an unbewirtschafteten Parkplätzen, bis die Sache rechtlich geklärt ist.

curia.europa.eu (Mitteilung des EuGH als PDF), curia.europa.eu (EuGH-Urteil vom 29. April)

9 Kommentare

zu „Rechtstreit um Ladestationen: Fastned unterliegt Autobahn GmbH vorm EuGH“
Günther
29.04.2025 um 11:40
Ein Armutszeugnis für Deutschland zu lasten der E-Mobilität...
Horst
29.04.2025 um 11:50
Man erinnere sich, dass dieses Monopol den Autofahrern nicht schaden sollte und deswegen vorgegeben wurde, dass Toilette kostenlos zu Verfügung zu stellen sind. (Spoiler: werden sie nicht). Und dass sprit 30ct mehr als am Autohof kostet war damals sicher auch nicht geplant.
HB
29.04.2025 um 13:11
Man sieht ja wie die Toiletten aussehen wenn sie kostenlos sind. Die möchte ich nicht benutzen müssen :(
Thierry Oehrle
29.04.2025 um 14:46
Dann gehen Sie also in England, Schweiz, Frankreich, Italien oder Spanien nicht auf die Toilette an der Autobahn? Kostet dort nichts und ist dennoch meist sauberer als in Deutschland.
Peter E.
29.04.2025 um 12:29
Fastned soll endlich diesen sinnlosen Widerstand aufgeben und den Weg für die Elektromobilität in Deutschland freigeben. Das ist doch nur noch peinlich was die machen.
Fred
29.04.2025 um 15:26
Peinlich ist´s, wenn der Staat einem privaten Monopolisten de fakto bedingungslos die Entscheidungshoheit übner zukünftige Mobilität überlässt.
ioniqKnechter
29.04.2025 um 13:29
An Autobahnraststätten lade ich nur im Notfall – also wenn mein Akku kurz davor ist, einen Abschiedsbrief zu schreiben. Ich bevorzuge eindeutig Autohöfe: Erstens liegen die oft direkt an der Ausfahrt, und zweitens gibt’s dort mehr fürs Geld – bessere Snacks, günstigeren Kaffee.
FM
29.04.2025 um 13:54
Eigentlich fast zum Lachen: Ein jahrelanger Rechtsstreit behindert und verzögert den Aufbau der Ladeinfrastruktur an den mit Abstand wichtigsten Positionen: Den Autobahnen. Natürlich, die allermeisten Ladevorgänge erfolgen zuhause, beim Arbeitgeber oder anderweitigem Destination-Charging. Für die Akzeptanz der Elektromobilität für die breite Masse ist dies allerdings nicht entscheidend. Hier geht es fast ausschließlich um die Urlaubsfahrt nach Italien, siehe Reichweitendiskussion vs. Alltagsdistanz.Unglaublich schade, dass die Richter der Marktmacht von T&R nicht Einhalt geboten haben um endlich wirklichen Wettbewerb zu ermöglichen.
Norman
29.04.2025 um 16:56
Es ist weder Aufgabe des EuGH noch des OLG in diesem Verfahren das Monopol von T&R und Co zu beschneiden. Das ist die Aufgabe der deutschen monopolkommission.de und des Bundesverkehrministeriums. Die polititsche Führung im Verkehrministerium des Bundes hat aber keinerlei Interesse am Ist-Zustand zu rütteln. Was sie offensichtlich daran hindert, das müssten Sie die Herren (sind nur Herren) selbst fragen. Die Einnahmen aus der Konzession (3% vom Umsatz) sind jedenfalls ein Witz im Vergleich zum Umsatz der T&R und Co. Natürlich existieren Stimmen die eine Reform oder Rückverstaatlichung der Raststättenbetriebe fordern. Da diese Stimmen vornehmlich von politischen Linken kommen, haben €DU/€SU diese abgewiesen. Solange wie das Bundesverkehrsministerium durch €DU/€SU besetzt wird, kommt eine strukturelle Reform nicht in Betracht.
Gregor
29.04.2025 um 16:37
Der Rechtsstreit ist immernoch nicht entschieden. Es bleibt also spannend und verzögernd. Eigentlich müsste die Politik endlich eingreifen und die Rastplätze für alle ausschreiben. Es ist eine Schande das das hier angeblich nur T&R gehören soll, obwohl denen der Platz gar nicht gehört.

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